Digitalisierung : Blockchain in der Industrie: Disruption nach Desillusionierung?

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„Im industriellen Bereich sehen wir vor allem für das Supply-Chain-Management sehr interessante Anwendungsfälle“

- © Bild: Adobe

Wir erinnern uns, nach dem Erfolg des Bitcoin wurde auch der darunter liegenden Blockchain-Architektur eine große Zukunft vorausgesagt. Dabei sollte die Blockchain nicht nur eine technische Revolution begründen, sondern auch tiefgreifende Veränderungen in vielen Branchen und sozialen Institutionen auslösen. Die anfängliche Euphorie hat sich mittlerweile gelegt und ist einer guten Portion Realismus gewichen. Laut Gartner, einem führenden IT-Forschungs- und Beratungsunternehmen, befreit sich gerade die Blockchain-Technologie gemäß dem „Hype Cycle“ aus dem „Tal der Enttäuschungen“. Die Prognosen von Gartner beschreiben aktuell wieder einen Aufwärtstrend. Somit sollen die technologischen Fortschritte als auch praktischen Anwendungen, die durch die Blockchain unterstützt werden, weiter zunehmen.

Wann kommt der große Durchbruch?

Die Ursache für den Einbruch lag laut Gartner daran, dass die Blockchain noch keine digitale Geschäftsrevolution in wirtschaftlichen Ökosystemen ermöglichen konnte. Dies wird laut Gartner geschehen, wenn die Blockchain-Plattformen skalierbar und interoperabel sind und eine Smart-Contract-Portabilität sowie blockchainübergreifende Funktionalität unterstützt werden kann. Für Gartner wird die vollständige technologische Etablierung der Blockchain erst mit einer technisch und operativ vollständigen Skalierbarkeit erfolgen, was noch bis mindestens 2028 dauern könnte.

„Bei neuen Technologien, die das Potenzial haben unsere Wirtschaft fundamental zu ändern, dauert es zum Durchbruch meist länger als man glaubt“, konstatiert Vinzenz Treytl, Area Manager für die betriebswirtschaftliche Begleitung von Blockchain-Projekten bei der ABC Research GmbH in Wien. „Vergleichsweise wurden die grundlegenden Technologien und Protokolle des Internets teilweise schon in den 1950ern und 1960ern erdacht. Anfang der 1990er erfolgte dann mit der Entwicklung von HTML ein weiterer Schub.“ Obwohl damals die Technologie bereits mit viel Euphorie in der Öffentlichkeit begleitet wurde, war es noch ein langer Weg bis sich das Internet so allgegenwärtig und ausgeprägt präsentierte, wie wir das heute kennen.

Wenn man die Blockchain unter diesem Gesichtspunkt betrachtet, dann steht sie in etwa dort, wo sich vielleicht das Internet Mitte der 1990er Jahre befand. „Die Öffentlichkeit nimmt die Technologie wahr, technologieaffine Unternehmen und Private nutzen die Technologie bereits, aber es liegt noch ein weiter Weg bis zur Durchsetzung am Markt“, so Treytl. „Und natürlich ist so eine Entwicklung auch immer mit Rückschlägen und Wachstumsschmerzen verbunden.“

Technologie darf kein Selbstzweck sein

Da die Blockchain nicht auf einen bestimmten Anwendungsfall beschränkt ist, kann sie in fast allen Sektoren eingesetzt werden. Das macht sie zu einer hervorragenden Technologie für die Zukunft. Dazu müssen die Entscheider jedoch die konzeptionellen Unterschiede zu klassischen IT-Systemen verstehen. Dies wurde in der Vergangenheit nicht immer berücksichtigt. Beispielsweise kam die Blockchain zum Einsatz, um häufig die gleichen Aufgaben zu übernehmen, die eine herkömmliche Datenbank ebenfalls lösen könnte. „Bei der Blockchain-Technologie darf man nicht vergessen, dass eine Technologie nie Selbstzweck sein sollte“, so Treytl. „Hierbei muss darauf geachtet werden, dass der Wert, den ein Unternehmen mit der Blockchain für den Kunden schaffen will, im Zentrum stehen muss und nicht eine bestimmte technische Lösung.“

Nicht wenige Entscheider glauben, die bereits am Markt angebotenen Blockchain-Lösungen sind technisch und auf alle Bedarfe hin ausgereift. Das Gegenteil ist der Fall: Der Markt besteht noch aus größtenteils fragmentierten Plattform-Angeboten, die sich gegenüber Konkurrenzprodukten auf verschiedene Arten differenzieren. Gemäß Gartner müssten noch viele Angebote beispielsweise für einen umfänglichen Einsatz in der Produktion mit den dazu erforderlichen System-, Sicherheits- und Netzwerk-Managementdiensten ausgestattet werden. Was aber nicht bedeutet, dass die Unternehmen schon mit kurzen experimentellen Projekten starten könnten, die eine eng begrenzte Zielsetzung verfolgen.

Dabei ist es herauszustellen, was die Distributed-Ledger-Technologie (DLT) und der dezentrale Konsensus mit der Funktion von Smart Contracts alles bewirken können. „Dafür ist es entscheidend, die Rolle des eigenen Unternehmens neu zu denken“, unterstreicht Treytl. „Die Blockchain ist eine dezentrale Technologie, die ihre Stärken nur in einem dezentralen Umfeld voll ausspielen kann. Dafür muss man das eigene Unternehmen in einem Netzwerk- bzw. Ecosystem-Kontext verstehen lernen.“ Mit anderen Worten: Wo ist es beispielsweise wertstiftend, eigene Daten mit Kunden, Lieferanten aber auch Konkurrenten zu teilen? Diese dezentrale Betrachtungsweise fällt Unternehmen manchmal etwas schwer.

Anwendungsfälle mit großem Potenzial

Bislang konnte sich die Blockchain-Technologie beispielswiese in der Finanzindustrie durchsetzen. „Wir sehen im Moment die größte Verbreitung in der Finanzindustrie“, sagt Treytl. „Das Finanzwesen bildet nicht nur die Basis für die Neugestaltung bestehender Infrastrukturen, sondern ermöglicht auch die Digitalisierung von bestehenden Vermögenswerten. Darüber hinaus führt sie – unter dem Stichwort Decentralized Finance oder kurz DeFi – zu völlig neuen Produkten für Finanzdienstleistungen.

Wenn es um eine Blockchain-Finanzierung geht, sind beispielsweise grenzüberschreitende Zahlungen mit der Bank-Blockchain schneller und kostengünstiger als mit herkömmlichen Systemen. Blockchain-basierte Handelsfinanzierung kann den gesamten Handelsprozess rationalisieren, indem ein zeitraubendes Formularwesen sowie eine aufgeblähte Bürokratie beseitigt werden. Dies gilt auch für gegenseitige Auf- und Verrechnung von Forderungen bzw. Verbindlichkeiten (Clearing) zwischen Geschäftspartnern oder auch zwischen Filialen einer Bank oder innerhalb einer Institutsgruppe.

Ein weiterer Anwendungsfall sind sogenannte Smart Contracts, die als Programme mit einer definierten Prozesslogik in Form von Wenn-dann-Beziehungen, die vorab zugewiesene Aktionen in bestimmten Situationen auslösen. Mögliche Umsetzungen könnten Dokumente für Versicherungspolicen, Beteiligungen, Bankverbindungen, Kredithistorien, Steuererklärungen oder Gewinn- und Verlustrechnungen betreffen.

Wird die Blockchain zusammen mit Analytics-Tools kombiniert, so kann sie für viel mehr Transparenz bei der Vergabe von Krediten sorgen. Bei einen Kreditantrag werden dann Daten über den Kreditnehmer (einkommen, Hypotheken, Forderungen, Bonität etc.) an den Kreditgeber transferiert. Damit könnten nicht nur viel Zeit und Kosten eingespart werden, sondern auch Peer-to-Peer-Kredite möglich sein.

Die unbestreitbaren Vorteile und das großes Potenzial macht die Blockchain auch für industrielle Anwendungen interessant. „Im industriellen Bereich sehen wir vor allem für das Supply-Chain-Management sehr interessante Anwendungsfälle“, sagt Treytl. „Lieferketten erfordern die Koordination von vielen beteiligten Unternehmen, die sich nicht notwendigerweise vertrauen. Hier kann die Blockchain-Technologie ihre Stärke als fälschungssicheres Dokumentationswerkzeug voll ausspielen.“

Insbesondere Lieferketten mit ihren komplexen Strukturen, vielen Partnern und den unterschiedlichsten Material-, Informations- und Finanzflüssen können durch den Einsatz der Blockchain erheblich effizienter gestaltet werden. Die Technologie kann die Lieferketten vor allem mit den Anwendungsfällen Rückverfolgbarkeit, Transparenz und Tradeability transformieren.

Die Rückverfolgbarkeit verbessert die betriebliche Effizienz, indem sie die Lieferketten von Unternehmen abbildet und visualisiert. Eine wachsende Zahl von Verbrauchern verlangt Beschaffungsinformationen über die von ihnen gekauften Produkte. Die Blockchain hilft Unternehmen dabei, ihre Lieferkette zu verstehen und Verbraucher mit echten, überprüfbaren und unveränderlichen Daten anzusprechen.

Transparenz schafft Vertrauen, indem sie wichtige Datenpunkte wie Zertifizierungen und Ansprüche erfasst und diese Daten dann öffentlich bzw. einem ausgewählten Kreis zugänglich macht. Die Informationen können in Echtzeit aktualisiert und validiert werden.

Tradeability ist ein einzigartiges Blockchain-Angebot, das das herkömmliche Marktplatzkonzept neu definiert. Mithilfe der Blockchain kann man einen Vermögenswert „tokenisieren“, indem man ein Objekt in sinnvolle Anteile aufteilt, die das Eigentum digital darstellen. Diese Token sind handelbar, und Benutzer können das Eigentum übertragen, ohne dass der physische Vermögenswert den Besitzer wechselt.

„Im Vergleich zu dem, was man sich vor fünf Jahren erwartet hat, ist die Verbreitung der Blockchain in der Industrie noch weit zurückgeblieben“, so Treytl. „Das hängt zum einen sicherlich damit zusammen, dass die Technologie für die Bedürfnisse dieses Sektors bisher noch zu viele Limitationen aufwies. Hier schreitet die Entwicklung aber stetig voran. Zum anderen ist die Industrie im Vergleich zu anderen Sektoren noch etwas weniger digitalisiert. Das ändert sich allerdings gerade auch rapide.“

Vinzenz Treytl, ABC Research GmbH: „Im Vergleich zu dem, was man sich vor fünf Jahren erwartet hat, ist die Verbreitung der Blockchain in der Industrie noch weit zurückgeblieben.“