Im Gespräch: Michael Rathmair : Wie sinnvoll sind intelligente Roboter in der Industrie?
Seit ChatGPT gibt es auch in der Industrie einen großen Hype um künstliche Intelligenz. Sie sprechen der künstlichen Intelligenz die Intelligenz ab. Was ist Ihre Argumentation?
Michael Rathmair: Ich war einer der Glücklichen, die noch eine Vorlesung von Professor Zemanek, einem der großen österreichischen Computerpioniere, an der Technischen Universität Wien hören durften. Er hat zentral argumentiert, dass ein System entweder künstlich oder intelligent, aber nicht beides zugleich sei. Und ich glaube, das ist grundsätzlich richtig. Intelligenz hat nach meinem Verständnis neben den technischen Aspekten noch eine ganze Reihe anderer Eigenschaften. Konkret meine ich, ein Bewusstsein, Intuition, auf gut Deutsch gesagt, einen gesunden Menschenverstand. Und diese Eigenschaften sind mit künstlich intelligenten Systemen, glaube ich, nur beschränkt nachzuahmen. Künstliche intelligente Systeme sind, wie auch Zemanek sagt, ein hervorragendes Mittel, die menschliche Intelligenz erheblich zu unterstützen. Dies kann auf verschiedensten Formen wie Handlungsempfehlungen, basierend auf großen historischen Datenmengen, Klassifizierungen aufgrund von Datenmerkmalen oder Systemoptimierungsvorschlägen mit spezifischen Zielen passieren. Für mich ist das Thema im Moment ein massiver medialer Hype, wie Agentensysteme, Blockchain oder IoT und Smart Devices, die sich mittlerweile als Stand der Technik etabliert haben. ... Und jetzt ist es eben die künstliche Intelligenz. Ob sich die großen Erwartungen erfüllen werden, wird sich in naher Zukunft zeigen.
„Die großen Erwartungen werden sich nicht alle erfüllen, fürchte ich.“
Unabhängig davon, ob wir jetzt von echter Intelligenz sprechen oder nicht. Durch die generative KI entstehen sehr viele neue technische Möglichkeiten. Sie sprechen auch von Quantencomputern als Gamechanger, das ist ein neuer Technologiesprung. Warum?
Rathmair: Betrachtet man die Geschichte der Robotik und Automatisierung, so erkennt man eine direkt kausale Wechselwirkung zu den Innovationen in der Computertechnik. Ein Quantensprung in der Computertechnologie führte nur wenige Jahre später zu einem Quantensprung in der Robotik und Automatisierungstechnik. Ich glaube, dass wir jetzt mit der Quantencomputing-Ära wirklich einen Technologieschub bekommen, der uns wieder ganz neue Anwendungen in einer kombinierten Domäne aus Robotik und KI ermöglichen könnte. Ich erwarte mir von der Quantencomputertechnologie, wenn sie dann wirklich salonfähig wird, einen sehr großen technischen Fortschritt und ein signifikantes Umdenken in der Computertechnologie.
Das Quantencomputing hat natürlich einen enormen Vorteil im heuristischen Bereich. Welche neuen Anwendungsmöglichkeiten sehen Sie für die Industrie?
Rathmair: Durch die steigende Komplexität unserer technischen Systeme stoßen wir aktuell vermehrt an die Grenzen der klassischen Computertechnologie. Wir haben sehr komplexe verschachtelte Algorithmen und Modelle die reale Systeme regeln, optimieren und valideren. Und gerade da, glaube ich, dass wir mit einem Boost in Rechenkapazitäten zu besseren Ergebnissen und Resultaten kommen können als wir es heute können.
Ich bin auch für die Normungsaktivitäten in Österreich aktiv und kann berichten, dass es gerade in diesen speziellen mobilen Roboteranwendungen für den industriellen Bereich noch eine große Lücke an Normen und Standardisierungen gibt.
Jetzt gibt es einen Hype nicht nur um KI, sondern auch um die Zweibeiner, die humanoiden Roboter. Sehen Sie hier in der Industrie, wo es um repetitive Prozesse geht, überhaupt einen Bedarf?
Rathmair: Betrachtet man die Videos aus sozialen Medien, kann je nach Anwendung, die Notwendigkeit natürlich hinterfragt werden. Ich bin auch für die Normungsaktivitäten in Österreich aktiv und kann berichten, dass es gerade in diesen speziellen mobilen Roboteranwendungen für den industriellen Bereich noch eine große Lücke an Normen und Standardisierungen gibt. Die ISO reagiert aber aktuell mit neuen Standardisierungsprojekten um den Anforderungen aus Industrie- und Servicerobotik gerecht zu werden. Gerade weil der Markt aktuell sehr stark anwächst und Normungszyklen mit langen Zeitperioden versehen sind, ist jetzt der Richtige Zeitpunkt, sich mit dem Thema im Detail zu befassen.
2027 tritt die neue Maschinenrichtlinie in Kraft und es gibt eine ganze Reihe von ISO-Normen, die für die Zusammenarbeit von Mensch und Maschine wichtig sind. Können diese Normen mit dem technologischen Fortschritt überhaupt mithalten?
Rathmair: Wir stehen aktuell kurz vor der Publikation einer neuen internationalen Robotik- Sicherheitsnorm, der ISO 10218. Die Überarbeitung der derzeit noch aktuellen Version aus dem Jahr 2011 wird besonders im Bereich MRK (Mensch-Roboter Kollaboration) mit technologischen Anforderungen angereichert werden. Sie können sich aber sicher vorstellen, dass es ein langwieriger und aufwändiger Prozess ist, eine Vielzahl von neuen Technologien und damit verbundene Expertenmeinungen auf einen Nenner zu bringen. Aber ich würde allerdings sagen, dass die neu überarbeitete Norm zukunftssicher ein großes Spektrum an Technologieanforderungen sowie die Dynamik, die wir derzeit in den Technologien im Bereich der Robotik und Automatisierung erleben, abdeckt. Es ist auch noch zu erwähnen, dass neben den Normdokumenten in verschiedensten Arbeitsgruppen begleitende Zusatzdokumente entstehen, welche die Endanwender und Systemintegratoren bei der Implementierung von innovativen Robotertechnologien helfen.
Ich bin davon überzeugt, dass es in Österreich sehr viel Potenzial für Robotik und Automatisierung in vielen unterschiedlichen Branchen gibt.
Robotik wird in vielen Ländern als strategisches Thema angesehen. In Österreich wurde 2017 der Rat für Robotik gegründet. Dieser hat zwei Jahre später ein Whitepaper veröffentlicht und seitdem hat man nichts mehr gehört. Wie schätzen Sie den Stellenwert des Themas in Österreich ein?
Rathmair: Ich bin davon überzeugt, dass es in Österreich sehr viel Potenzial für Robotik und Automatisierung in vielen unterschiedlichen Branchen gibt. Wir sind durch unsere Rolle als außeruniversitäres Forschungszentrum zwischen Industrie und Universität verankert. Wir versuchen, die Herausforderungen der Industrie und Anwender zu verstehen und dann entsprechend mit innovativen Lösungen zu adressieren. Derzeit sehe ich hier eine Innovationsschwelle und die Kooperationen von Unternehmen (besonders KMU) mit Forschungseinrichtungen muss durch attraktive nationale Fördermöglichkeiten unterstützt werden. Zusammenfasend sehe ich also den Stellenwert und die Potenziale und Chancen von Robotik und Automatisierung in Österreich sehr hoch. Innovationen müssen allerdings durch Kooperationen von verschiedensten Stakeholdern gefestigt thematisch, organisatorisch als auch budgetär gefestigt werden.
Sie sind mit Ihrem Institut im Lakeside Park in Klagenfurt angesiedelt. Mit welchen Unternehmen haben Sie typischerweise zu tun und welche Wünsche haben die Unternehmen?
Rathmair: In unserer Vision, einer hochflexiblen automatisierten Produktgüterproduktion, sind vielmehr Sonderlösungen und adaptierte Technologiebausteine notwendig, die dann in verschiedensten Branchen zum Einsatz kommen. Das Spektrum der Unternehmen ist somit auch sehr vielfältig und reicht von metall- und holzverarbeitenden Unternehmen über Reinraum und lebensmittelverarbeitende Betriebe bis zu Unternehmen, die sich mit spezifischen Prozessen im Recycling und der Kreislaufwirtschaft beschäftigen. Im Lakeside Park haben wir dabei einen ausgezeichneten Standort, der uns erlaubt, auf kurzem Weg mit hochinnovativen Kooperationsunternehmen in Kontakt zu kommen.
Angewandte Robotikforschung in Kärnten
Das Institut Robotics ist F&E-Partner der Wirtschaft im Technologiefeld der flexiblen digitalen Produktion. Der Schwerpunkt liegt dabei im Bereich der Industrie- und der professionellen Service-Robotik und berücksichtigt die wirtschafts- und standortrelevanten Aspekte der Produktionsökonomie und Digitalisierung. Am Standort in Klagenfurt steht eine Vielzahl an Robotern zahlreicher gängiger Hersteller zur Verfügung. Gearbeitet wird hier etwa an Robotersystemen, die für die Mensch-Roboter-Kollaboration entwickelt werden – sogenannten Cobots. Diese bewegen sich in direktem Umfeld von Menschen und sind mit komplexen Sicherheitsmechanismen ausgestattet. Sensorsysteme und an ein Nebeneinander von Menschen und Roboter angepasste Bewegungsabläufe sorgen dafür, dass Personen, selbst im seltenen Fall eines ungewollten direkten Kontakts oder einer Kollision mit einem Roboter, nicht verletzt werden.