Hannover Messe : Was wir auf der Hannover Messe von den Portugiesen lernen können
Paul Manner genießt die Sonnenstrahlen am Tejo. Vor acht Monaten kam der Softwareentwickler nach Porto. Während der Pandemie war Homeoffice Pflicht und Manner nahm seinen Laptop und reiste nach Portugal. Seine Projekte managte er aus seiner kleinen Wohnung oberhalb des Tejo. Die iberische Halbinsel und vor allem auch Portugal lockte im Covid19-Herbst und Winter einige Entwickler an, die dank mobilem Arbeiten auch mit dem Blick auf das Meer Automatisierungsprojekte erfolgreich abschließen konnten – der Kunde merkte nichts von der großen geografischen Distanz. Jetzt geht es für Manner wieder in die Heimat. Doch Portugal wird auch in den nächsten Wochen bestimmend für ihn und seine Kolleginnen und Kollegen sein. Das Land ist Partnerland der Hannover Messe 2022 (30. Mai bis 2. Juni) und setzt nicht mehr nur auf Kultur, Sonne, Sand und Meer.
Portugal hat im Dezember 2021 als viertes Land in Europa auf Kohle bei der Stromerzeugung verzichtet. Das Land hat den Energieverbrauch auf Basis fossiler Brennstoffe durch den Einsatz modernster Technologien zur Diversifizierung erneuerbarer Ressourcen für die Energieerzeugung konsequent reduziert. Zu den Vorteilen zählen eine effizientere Nutzung von Ressourcen, eine nachhaltigere Mobilität und eine höhere Versorgungssicherheit, heißt es bei der Regierung. Im Jahr 2021 wurden 60 Prozent des Stromverbrauchs in Portugal durch erneuerbare Ressourcen erzeugt.
Ideen aus Portugal
Portugals geografische Lage ist für alle erneuerbaren Energien günstig und schafft Möglichkeiten und Wettbewerbsvorteile für den Export von Waren und Dienstleistungen in diesem Sektor. Erneuerbare Energien machen derzeit rund 1,6 Prozent des portugiesischen BIP aus und haben in den letzten Jahren mehr als 45.000 Arbeitsplätze geschaffen, berichten die Verantwortlichen. Das Thema ist gefragt in Hannover. Und Ideen bringen die Südeuropäer mit. Die portugiesischen Ingenieure haben das allererste schwimmende Solarprojekt auf einer bestehenden Wasserkraftanlage errichtet und den ersten schwimmenden Offshore-Windpark in Kontinentaleuropa entwickelt: die Windfloat Atlantik.
Nachhaltigkeit ist das beherrschende Thema auf der kommenden Hannover Messe. Dabei geht es um grünen Wasserstoff, aber vor allem auch um die Energieeinsparmöglichkeiten der Industrie. Denn: Gegenwärtig versucht die Politik nach dem Angriffskrieg auf die Ukraine, die Angebotsseite von Energie neu zu ordnen. Sprich: Zulieferer aus Katar, Australien, Algerien oder den USA sollen helfen und mögliche Lieferausfälle aus Russland kompensieren. Dazu kommt im Sommer mehr Gas aus Norwegen und den Niederlanden, um die Gasspeicher für die Kältemonate zu füllen. Schwimmende, provisorische Flüssiggas-Terminals sollen bis in der Nordsee 2023 verfügbar sein. Darüber hinaus sollen die erneuerbaren Energien schneller ausgebaut werden. Das Engagement auf der Angebotsseite ist nachvollziehbar, aber die Nachfrageseite scheint verwaist.
Nachhaltigkeit ist das beherrschende Thema auf der kommenden Hannover Messe. Dabei geht es um grünen Wasserstoff, aber vor allem auch um die Energieeinsparmöglichkeiten der Industrie.
Neue Umsätze
Die Unternehmen müssen Energie einsparen. Deshalb sind Energiemanager momentan gefragt. Das Thema Power to X wird eine große Rolle spielen. Unter Power-to-X versteht man alle Verfahren, die Ökostrom / Grünen Strom in chemische Energieträger zur Stromspeicherung, in strombasierte Kraftstoffe zur Mobilität oder Rohstoffe für die Chemieindustrie umwandeln. Weiterer Schwerpunkt wird das Thema Gleichstrom sein. Bis zu zehn Prozent Energieeinsparungen und bis zu 50 Prozent weniger Materialverbrauch sei in den Industrien machbar, heißt es bei Experteninnen und Experten.
Und auch die Künstliche Intelligenz (KI) – ein weiteres wichtiges Thema auf der Messe – kann die Industrie bei der Energieeinsparung unterstützen. Beobachter erwarten einige Weltneuheiten im Hard- und Softwarebereich beim Thema. Die Themen: KI-Modelle als Geschäftsmodelle und Federated Learning werden auf den Fachforen diskutiert. Die große Herausforderung ist bei vielen Unternehmen nicht der Prototyp für ein KI-Projekt, sondern die Integration in die Systemlandschaft. Der digitale Zwilling soll die Mitarbeitende entlasten. Seit Jahren diskutiert die Industrie die Chancen. Das Ziel: Der Anwender greift auf standardisierte Daten und Informationen zu und kann dann beispielsweise die Realdaten gegen Plandaten fahren lassen, Fehler erkennen und Optimierungen durchführen – rein virtuell zunächst, ohne Risiko von Stillständen. Das Thema KI ist für viele Unternehmen auch mit dem Fachkräftemangel verbunden. In der Industrie fehlen Maschinenbediener. Produktionsleiter suchen Mitarbeitende und oder setzen verstärkt auf die Automatisierung der Prozesse bzw. auf die Unterstützung von intelligenten Assistenzsystemen. Einige Maschinenbauer bieten ihre Kunden schon vortrainierte Basismodelle an, die der oder die Produktionsleiterin auf die Steuerung spielt und den Maschinenbediener unterstützt. Mit mehr Erfahrung schärft der Anwender das Modell auf der Edge weiter, trainiert es für seine Bedürfnisse, lernt und verbessert seinen Prozess.
Nachhaltigkeit, erneuerbare Energien, KI und der digitale Zwilling – alle Themen sind eng verbunden mit den vielen Automatisierern, die auf der Messe ihre Lösungen vorstellen. Die Branche boomt, ist ein Krisengewinner. Fast jede Woche vermelden Unternehmen Rekordumsatzzahlen. Die Umsätze der Zukunft werden anders aussehen, müssen anders erwirtschaftet werden: modulare Fertigung, Open Source und neue Geschäftsmodelle über Plattformen werden im Juni in Hannover sicher diskutiert werden. Und der Elefant im Raum auch: Cyberssicherheit – die Achillesferse vieler OT-Systeme.