Interview : Maria Christina Bienek: „Dem Mittelstand fehlt es entweder an Zeit oder an Geld“

Bienek
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Den Verein Smart Electronic Factory (SEF) gibt es seit 2015. Was war bis jetzt der größte Erfolg?

Die Gründung war der erst große Schritt, weil das Thema Industrie 4.0 und IoT auf dem Shopfloor damals gerade erst aufkam. Die Idee, eine real existierende Elektronikfabrik als Beispiel für Digitalisierungsprojekte zu nehmen, war damals revolutionär. Da konnte der Mittelstand anhand von Beispielen sehen: was wird wirklich erreicht!

Und was waren Ihre Erkenntnisse?

Ein Highlight war, als wir den ROI bei all unseren Projekten eruiert haben und herausfanden, dass er bei ungefähr einem Jahr lag. Das in Zahlen zu haben, war sehr gut. Viele, die die Digitalisierung angehen, können die Folgen und die Einsparungen oft nicht belegen. Sie sehen oft nur den Aufwand, den sie betreiben und die Umwege, die sie gehen müssen.

Ihre Demonstrationsfabriken sind ja das, wodurch sich Ihr Verein von anderen Organisationen abhebt. Was passiert dort aktuell?

Mittlerweile bringen sich sogar vier mittelständische Fabriken mit Ihren Produktionen in den Verein ein. Die Unternehmen befruchten sich im Austausch gegenseitig mit ihren Erfahrungen und Ideen. Aber auch die großen Unternehmen und Konzerne im Verband leisten Ihren Beitrag zu neuen digitalen Entwicklungen für den Shopfloor. Zusammen mit der Future Factory von Bosch Rexroth und Harting prüfen wir derzeit die Zukunftsfähigkeit einer intelligenten Steckverbindung im Zusammenhang mit einer flexiblen Produktionsgestaltung.

Sind an dem Projekt ausschließlich Bosch Rexroth und Harting beteiligt?

Nein, da sind natürlich auch unsere mittelständischen produzierende Unternehmen dabei. Harting und Bosch Rexroth leisten die Entwicklungsarbeit, aber sie wollen auch wissen, wie weit, das, was sie entwickeln, in der Praxis sinnvoll ist. Daher ist eine Validierung mit unseren Demonstrationsfabriken Limtronik, micronex, Keba und E.G.O. so wichtig. Das ist das, was den Verein ausmacht: wir haben die AnwenderInnen, Universitäten, die SoftwareentwicklerInnen und dieKonzerne. Und so wird jedes Industrie 4.0 Projekt immer aus vielen Blickwinkeln betrachtet und jeder bringt seine individuelle Sichtweise und Erfahrung ein.

Wie einfach ist es für Sie zurzeit, neue Mitglieder zu gewinnen?

Jetzt, wo wir keine Messen und Veranstaltungen haben, tun wir uns schwer. Vor allem im Mittelstand, insbesondere im Maschinenbau ist es schwierig. Entweder haben sie keine Zeit oder kein Geld. Wenn sie kein Geld haben, können sie nicht in Innovationen investieren. Und wenn sie Geld haben, haben sie keine Zeit, weil sie die Leute brauchen, um ihre Kundenaufträge abzuwickeln. Deshalb kriegen sie oft ihren Kopf nicht aus dem Schlamassel, um losgelöst etwas für Ihre Zukunftsfähigkeit zu machen. Einmal Abstand zu nehmen und zu schauen, wo kann man sich wirklich weiterentwickeln – das schaffen nur wenige.

Liegt das vielleicht auch daran, dass jeder nur so viel Personal hat, wie er tatsächlich im täglichen Einsatz benötigt?

Das auch. Früher haben sich auch mittelständische Unternehmen geleistet, eine Person oder Gruppe zu haben, die ein bisschen freigeistig Dinge entwickeln konnte. Eine kleine Entwicklungsmannschaft sozusagen. Und das fehlt heute oft in Unternehmen.

Hat da auch der Fachkräftemangel daran schuld?

Dazu fällt mir ein bekanntes Beispiel ein: Ich suche einen Porsche für 10 000 Euro. Aber ich finde einfach keinen, also lautet der Fehlschluss: wir haben einen Porschemangel in Deutschland. Wenn ich jemanden haben möchte, der selbstständig ist, der über das benötigte Know How verfügt, der die nötige Erfahrung mitbringt, dann muss ich auch den entsprechenden Marktwert bezahlen. Aber da stößt der Mittelstand natürlich an seine Grenzen. Der Mittelstand versucht diese Lücke über Ausbildung der eigenen Mitarbeiter zu schließenund wenn er gut ausbildet, dann gehen die MitarbeiterInnen oft weiter an die Universitäten. Das Problem dabei ist, dass die Guten oft nicht zurückkommen, sondern ihre Karrieren bei größeren Unternehmen fortsetzen.

Kann man also sagen, dass es dem Mittelstand an Know How fehlt, weil es da quasi einen Braindrain hin zu den Konzernen gibt?

Genau. Die Konzerne bieten geregeltere Arbeitszeiten, mehr Absicherung und mehr Entwicklungsmöglichkeiten. Daher gehen die, die wirklich gut sind, erstmal zu diesen Arbeitgebern.

Jetzt haben wir viel über die Stolpersteine für den Mittelstand geredet. Wie ist es aber, wenn es ein kleines oder mittleres Unternehmen sich vornimmt, Schritte in Richtung Digitalisierung zu setzen? Können Sie einen Tipp geben, wo sich eine Investition am ehesten auszahlt?

Darüber haben wir gerade mit dem Technologieland Hessen eine Broschüre rausgebracht, die heißt: „Digitalisierung? Klar, aber richtig!“. Damit kann man sich einen ersten Überblick verschaffen. Es ist auch ratsam, mit einem Reifegradmodell anzufangen. Damit kann man sehen: wo steht mein Unternehmen überhaupt? Wo sind Informationsbrüche? Und dann kann ich mir überlegen, welche Handgriffe man mit Technologie ersetzen könnte. Sei es durch einfache Lösungen wie einen Scanner, eine Software, die Serialisierung der Produkten durch ein Barcode auf den Produkten etc. Es hängt immer von dem Digitalisierungsgrad ab, den mein Unternehmen hat.

Können Sie ein Beispiel für solche Informationsbrüche nennen?

Ganz konkret: Ich exportiere etwas aus dem führenden System in Excel, drucke die Tabellen aus und ergänze dann in der Produktion händisch Daten, die dann wieder in Excel eingegeben werden und zurück ins ERP gespielt werden. Das ein solcher Vorgang Zeit braucht, keine interessante Tätigkeit ist und Fehleranfällig ist, erklärt sich von selbst.

Wie bringt man MitarbeiterInnen dazu, solche Neuerungen mitzutragen?

Am besten, man sucht sich erstmal das kleinste Projekt mit dem größten möglichen Impact raus - eines, das auch für die MitarbeiterInnen eine große Sichtbarkeit hat. Damit kann man diese auch anregen, sich selber Gedanken zu machen. Oft wissen die MitarbeiterInnen am besten, wo es Verbesserungspotential gibt. Fragen, die man MitarbeiterInnen stellen könnte, sind: „Hast du immer wiederkehrende Aufgaben, die dich in deiner Arbeit behindern? Hast du Verbesserungsvorschläge?“. Da kommt meistens sehr viel zurück.

Das klingt ja viel weniger kryptisch und aufwändig als sich das viele wahrscheinlich vorstellen. Ich denke da an künstliche Intelligenz, Machine Learning, und Roboter…

Das sind Dinge, die kommen dann erst später dazu. Mit KI (Künstlicher Intelligenz) kann ich überhaupt erst anfangen, wenn ich Daten von den Prozessen habe. Diese Daten muss ich erst erheben und sie müssen auch eine Bedeutung haben. Sprich, ich muss den Daten auch relevante Werte zuordnen können. Erst dann kann ich mit Algorithmen arbeiten.

Welches Potential haben Ihrer Meinung nach cyberphysische Systeme für den Mittelstand?

Die cyberphysischen Systeme sind ein Ziel und müssen auch vorangetrieben werden, aber nicht in allen Bereichen. Ein Prozess in meiner Produktion, der sich von selbst optimiert, kann irgendwann Thema sein. Darin liegt aber zunächst nicht die oberste Priorität.

Sind KI und cyberphysische Systeme also erst der dritte Schritt der Digitalisierung?

Absolut, ja. Erstmal muss ich die Brüche in meinem Produktionsablauf sehen. Das fängt bei der Kundenansprache an und geht über die Auftragsannahme, die Bearbeitung des Kundenauftrags, bis hin zur Auslieferung und zur erneuten Kundenkommunikation. Wenn ich diesen Kreis einmal ohne Brüche schließen kann, habe ich schon viel erreicht.

Was ist Ihre Vision der Digitalisierungsentwicklung in zehn Jahren? Welche Stepstones sollten bis dahin erreicht sein?

Ich denke, dass wir dann durch Projekte wie GAIAX einen großen Schritt weiter sind, was den sicheren und souveränen Datenaustausch zwischen den Unternehmen betrifft.

Ist da zurzeit schon viel Dynamik drinnen, oder gibt es noch Luft nach oben?

Da ist noch Luft nach oben. Es ist natürlich ein riesiges Projekt, weil sich so viele daran beteiligen sollen, wodurch das Vorankommen oft träge erscheint. Doch ich sehe darin die Möglichkeit, zum einen unser Domain Wissen zu schützen und dieses gleichzeitig in neue Geschäftsfelder einzubringen, um so wieder Fuß zu fassen und relevant zu sein gegenüber China und den USA. Das wäre was, das ich mir erhoffe; dass wir der Masse von China und dem Kapital der USA nicht ausgeliefert sind.

Gibt es in Bezug auf den Datenaustausch noch viele Ressentiments?

Ja, lassen Sie es mich so sagen: Wenn Sie einen Facharbeiter in Ihrem Unternehmen haben, der etwas besonders gut kann, dann möchten Sie den nicht an die Konkurrenz verlieren. So verhält es sichauch mit den Daten. Wir wandeln das Fachwissen in Daten um, um es an andere Generationen weiterzugeben und um unsere Abläufe weiterzuentwickeln. Wenn wir diese Daten aber verlieren, dann verlieren wir den Vorsprung, den wir in bestimmten Bereichen haben.

Da klingt es logisch, dass viele ihre Daten bzw. Teile ihrer Daten nicht für andere zugänglich machen wollen.

Deswegen ist die Souveränität über die eignen Daten so wichtig. Die Schwierigkeit ist, dass ich meine Daten einerseits bereitstelle, damit mehr Entwicklung passieren kann. Denn für eine KI brauche ich immer eine relevante Datenmenge, da reicht mein eigener Datenpool oft nicht aus, um die richtigen Schlüsse zu bekommen. Aber ich muss mich eben mit meinen Daten, die ich liefere, sicher fühlen, dass der Austausch nicht negativ auf mich zurückfällt. Und da den richtigen Grat für den wirtschaftlichen oder informativen Gewinn zu finden, ist schwierig.

Spielt da auch die Angst vor TrittbrettfahrerInnen mit?

Die Herausforderung, die es zu meistern gilt, ist, dass die Unternehmen in Europa weiterhin Herr über ihr eigenes Domainwissen bleiben. Die großen Plattformen liefern mit ihrem Wissen über Datenverarbeitung und Vernetzung weltweit ihren Service. Wir nutzen diese Dienste, müssen aber aufpassen, dass wir nicht unser Domainwissen preisgeben und dadurch nur noch austauschbare, ausführende Organe sind.




Bienek
Maria Christina Bienek schloss ihre berufliche Ausbildung als Diplom-Ingenieurin im Fach Maschinenbau, Fertigungs- und Betriebstechnik ab. Nach einer Tätigkeit als Consultant gründete sie ein eigenes Unternehmen, das auf den Technologien des World-Wide-Web und der Digitalfotografie basierte. Nach dem Verkauf des Unternehmens verantwortete sie von 2014-2018 bei der iTAC Software AG, ein führender MES (Manufacturing Execution System)-Anbieter, die Industrie 4.0-Projekte und -Aktivitäten des Unternehmens. 2018 beteiligte sich Maria Christina Bienek an der IoTOS GmbH, ein von namhaften Industrie 4.0-Experten gegründetes Unternehmen. Dieses Startup wurde Ende 2019 von der Friedhelm Loh Group übernommen und in das Unternehmenskonsortium der IoT-Software-Abteilung des Konzerns integriert. - © ©SEF

Über den SEF Smart Electronic Factory e.V.

2015 wurde der "SEF Smart Electronic Factory e.V.", ein Industrie 4.0-Verein, der Forschungs- und Entwicklungsplattformen für Industrie 4.0.-Lösungen in realen Fabrik betreibt, gegründet. Seit der Gründung wird der Verein von Maria Christina Bienek begleitet und heute als Geschäftsführerin geführt. Diese Initiative findet große Beachtung in Politik und Wirtschaft, was sich in zahlreichen politischen Kooperationen (Plattform Industrie 4.0, LNI 4.0 etc.) widerspiegelt.