Kolumne von Sebastian Schlund : Künstliche Intelligenz in der Produktion: Heilsbringer oder Ablenkung?
Selbststeuerung durch Versuch und Irrtum
Zweifellos bietet KI faszinierende Möglichkeiten für die Produktion. Predictive Maintenance, Qualitätskontrolle mittels Computer Vision oder die Optimierung komplexer Fertigungsabläufe sind nur einige Beispiele. Entscheidungsunterstützung in Echtzeit ist wohl aktuell die Paradedisziplin von KI. Eine von vielen vielversprechenden Methoden dabei, ist Deep Reinforcement-Learning. Dazu wird ein Neuronales Netz in einer Simulationsumgebung trainiert und für richtige Entscheidungen belohnt.
Lesetipp: Über den Wert digitaler Transparenz in der Produktion
Anwendungsfälle hierfür liegen beispielsweise in der reaktionsschnellen Optimierung der Produktionssteuerung bei externen Störungen und Ableitung automatisierter Wartungsmaßnahmen, aber auch in der Selbststeuerung von Energie(-speicher-)systemen. Hier „entscheidet“ der Speicher je nach Wetter und Erwartung des Lastgangs selbst, wann er Energie aufnimmt oder in das Stromnetz einspeist.
Der Wald, die Bäume und niedrig hängende Früchte
Vor vielen, zweifelsohne vielversprechenden, Umsetzungen stehen in der Regel die Mühen der Ebene der Datenaufbereitung. Data Scientists sitzen mit Industriepartnern zusammen und ringen wie auf dem Basar über gute Trainingsdaten, die mit vertretbarem Aufwand aus den eigenen Systemen bereitgestellt werden können. Danach geht der Vorbereitungsaufwand erst richtig los. Mitarbeitende strukturieren Daten, labeln, schließen Lücken und übersetzen zwischen Systemen und Formaten. Genau hier liegt der offensichtlichste Einsatz von KI. Statt lange zu suchen, sollten diese „Low Hanging Fruits“ angegangen werden! Doch dies setzt funktionierende Grundlagen voraus. Setzt man auf Wirkung ohne sauberes Datenmanagement, digitalisierte Prozesse und eine solide IT-Infrastruktur, läuft auch die cleverste KI ins Leere.
Einfach anfangen
Statt Künstliche Intelligenz als Wundermittel zu betrachten, sollten Unternehmen sie als Werkzeug verstehen, um ihre Digitalisierung voranzutreiben. Ein erster Schritt kann durchaus sein, KI zur Analyse bestehender Prozesse und zur Identifikation des Optimierungspotenzials einzusetzen. Das bietet enorme Chancen, ist aber kein Ersatz für solide Digitalisierung und Prozessoptimierung. Unternehmen sollten KI nutzen, um ihre Hausaufgaben besser und effizienter zu machen – nicht um sie möglichst zu vermeiden. Nur wer diese Grundlagen schafft, wird langfristig vom Boom profitieren.
