Im Gespräch: Dr. Marco Schmitz : KI im Ersatzteilmanagement: Gamechanger oder Hype?

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Marco Schmitz konzipiert und entwickelt bei Inform im Team New Solutions Software-Anwendungen, die Unternehmen helfen, in ihren erfolgsrelevanten Supply-Chain-Prozessen die richtigen Entscheidungen zu treffen. Dabei nutzt ihm seine langjährige Erfahrung in der auf Daten und Algorithmen basierenden Prozess-Optimierung. Die praktikable Umsetzung von Verfahren der sogenannten hybriden KI ist aktuell einer seiner Interessenschwerpunkte.

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Die Krisen der vergangenen Jahre haben gezeigt, dass die heutigen Lieferketten hoch verwundbar sind. Welche Lehren hat man im Bereich des ET-Managements gezogen?

Marco Schmitz:
Unternehmen entwickeln ihre Strategien oft auf Grundlage ihrer individuellen Erfahrungen und den spezifischen Herausforderungen ihrer Lieferketten. Nehmen wir als Beispiel den mittelständischen Maschinenbau, dann sehen wir Bewegung bei verschiedenen Aspekten: Es findet eine Diversifizierung der Lieferketten und der Lieferantenbasis statt, wo immer dies möglich ist. Es geht also in Richtung Multi-Sourcing. Wir sehen den Aufbau eines soliden Risikomanagements, welches verstärkt auf das Monitoring der Lieferketten setzt und insbesondere kritische Ersatzteile und deren Versorgungswege in den Fokus nimmt. Es gibt eine stärkere Betonung des strategischen Lieferantenmanagements, was u. a. zu mehr und engerer Kooperation und zu einer Intensivierung der Kommunikation mit Partnern in der Supply Chain führt. Und wir beobachten Optimierung des Bestandsmanagements, insbesondere mit Blick auf die Sicherheitsbestände für kritische Ersatzteile und die Einbettung des Bestandsmanagements in eine abgestimmte Strategie zur Versorgung des Marktes. Bei jedem dieser Aspekte spielt Digitalisierung eine wichtige Rolle. Durch den Einsatz moderner Algorithmen zum Forecasting und intelligenter Software für die Entscheidungsunterstützung können Probleme frühzeitig erkannt und Lösungen rechtzeitig initiiert werden.

Mit welchen Problemen, die sie mit Hilfe von KI lösen wollen, wenden sich Kunden in der Regel an Sie?


Schmitz:
Sie kommen mit einer Reihe typischer Probleme, die vorher mit viel Arbeit und nervenaufreibend gelöst wurden, zur Not einfach durch Expertenwissen oder Intuition. Die Themen kommen etwa aus den Bereichen Forecasting von Ersatzteilbedarfen, Identifikation besonders kritischer Ersatzteile, Allokation von Ersatzteilvorräten in Netzwerken und der Abschätzung des Bedarfs von neuanlaufenden Ersatzteilen bzw. des End-of-Life-Bedarfs. Auch die Steuerung von Nachfolgeteilen, die Planung von Repair-Loops und die Bestückung und Steuerung von Service-Technikern sind typische Themen. Hier lässt sich schon eine Häufung der Anfragen erkennen. Darüber hinaus gibt es eine ganze Zahl teils individueller Ansatzpunkte, um Prozesse zu verbessern. Durch den Einsatz von KI können Sie weitergehende Probleme deutlich einfacher angehen als mit anderen Verfahren. Denken Sie nur an das Thema marktorientiertes Pricing, das als Erfolgsfaktor im Ersatzteilgeschäft betont werden kann.

„Der Technik fehlen heute noch drei Eigenschaften oder Fähigkeiten: Kontext, Kollaboration und Bewusstsein.“

Ist der Einsatz von KI im ET-Management nur ein Hype oder bietet die Technologie echten Mehrwert?

Schmitz:
Schon heute ist der Einsatz von KI längst kein Hype mehr, sondern bietet echten Mehrwert. Mit KI lassen sich z. B. Bedarfsprognosen für Ersatzteile verbessern, da eine große Bandbreite an Daten berücksichtigt werden kann. Auch im Bestandsmanagement, der Lieferkettenoptimierung oder im Kundenservice verspricht ihr Einsatz eine große Prozessverbesserung und Kostensenkung. Zu beachten ist allerdings, dass der erfolgreiche Einsatz von KI eine sorgfältige Problemanalyse voraussetzt. Die richtigen Daten müssen in guter Qualität zur Verfügung stehen. Zudem muss die Lösung sorgfältig in die Prozesse des Unternehmens integriert werden und an dessen spezifische Anforderungen angepasst sein. Ist das gegeben, werden KI und ihre Anwendung einen enormen Beitrag zur Effizienzsteigerung in verschiedenen Geschäftsbereichen leisten und neue Wege in der Wertschöpfung eröffnen.

Wo bestehen heute noch Grenzen in Bezug auf den Einsatz von KI?


Schmitz:
Neben dem großen Thema des ethischen Gebrauchs und des Datenschutzes liegen die Herausforderungen auf der einen Seite in der Datenverfügbarkeit und in der Datenqualität. Üblicherweise benötigen die Anwendungen sehr viele, qualitativ hochwertige Daten. Wie heißt es so schön: Die drei Säulen der KI sind Daten, Daten und Daten. Darüber hinaus kann die Integration in bestehende IT-Systemen eine Hürde darstellen. Und nicht zuletzt bleibt der menschliche Faktor von größter Bedeutung. KI kann viele Aufgaben automatisieren und Entscheidungen vorbereiten, aber menschliche Expertise ist weiterhin entscheidend, insbesondere wenn es um komplexe Problemlösungen, strategische Entscheidungen und die Beurteilung von unvorhersehbaren Ereignissen geht. Ich halte einen reibungslosen Mensch-Maschine-Übergang für erfolgskritisch. Was aber absehbar bleibt ist, dass KI nicht gänzlich und allein jegliche Aufgabe übernehmen kann. Der Technik fehlen heute noch drei Eigenschaften oder Fähigkeiten: Kontext, Kollaboration und Bewusstsein.

„Manchmal habe ich aber den Eindruck, dass einigen nicht ganz klar ist, wie groß die Vorteile sein können.“

Was würden Sie Unternehmen raten, die KI einsetzen wollen, um ihre Prozesse zu verschlanken oder ihre Planungsqualität zu verbessern?

Schmitz:
Analysieren Sie Ihr Problem sorgfältig und verstehen Sie Ihre Ziele. Starten Sie mit kleinen, überschaubaren Pilotprojekten, um den Einsatz von KI zu testen und zu verstehen, wie er sich auf Ihre Prozesse auswirkt. Dies ermöglicht eine schrittweise Einführung und minimiert die Risiken. Ich würde zudem rechtzeitig anfangen, in Datenqualität zu investieren und die Zusammenarbeit zwischen Fachbereichen zu fördern. So etwas geht leider nicht über Nacht. Zudem ist es unumgänglich, eine gewisse Kompetenz aufzubauen. Bleiben Sie auf dem Laufenden: KI-Technologien entwickeln sich schnell. Bleiben Sie über neue Entwicklungen in-formiert und passen Sie Ihre Strategie entsprechend an, um von Fortschritten in diesem Bereich zu profitieren. In vielen Fällen kann es ratsam sein, sich einen kompetenten Partner zu suchen, der Ihnen bei der Lösung Ihres Problems mit KI und deren Einführung hilft.

Resiliente Supply Chains durch Datentransparenz – das scheitert allzu oft an der Bereitschaft der Unternehmen, interne Daten zu teilen. Sehen Sie hier einen Kulturwandel am Horizont?


Schmitz:
Mein Eindruck ist, dass Unternehmen zunehmend Bereitschaft zeigen, Daten ihrer Supply Chain miteinander zu teilen. Ihnen sind die Vorteile im Prinzip bewusst. Informationsaustausch mit Partnern in der Supply Chain ermöglicht eine bessere Sichtbarkeit und Transparenz des Warenstroms und auch möglicher Störungen. Das hat enorme Vorteile für die Leistungsfähigkeit, aber auch für die Kosten. Aber wir sind lange noch nicht da, wo wir sein könnten, und haben längst nicht alle Möglichkeiten ausgeschöpft. Manchmal habe ich aber den Eindruck, dass einigen nicht ganz klar ist, wie groß die Vorteile sein können. Die Vorteile überwiegen die potenziellen Bedenken deutlich. Das gilt übrigens auch für die Kooperation von verschiedenen Standorten oder Werken eines Unternehmens. Auch hier sehen wir häufig Verbesserungspotenzial, wenn es um die Verteilung der Informationen geht. Aber es gibt natürlich wieder Herausforderungen, wenn Sie Daten zwischen Unternehmen teilen wollen. Denken Sie nur an die Datenqualität, Sicherheits- und Vertrauensfragen und auch die notwendige Interoperabilität der Systeme. Schnittstellen sind und bleiben ein Thema. Insgesamt deutet die Entwicklung auf eine wachsende Akzeptanz und Realisierung der Vorteile des Daten- und Informationsaustauschs in der Supply Chain hin. Und vielleicht bringt der Einsatz von KI, der auf eine große Datenbasis angewiesen ist, hier nochmal einen Schub, auch in Richtung kooperatives Denken und Handeln.

Wie sieht die Zukunft der Ersatzteilversorgung aus?

Ersatzteile sind über den gesamten Erdball verteilt. Das ist und war lange Zeit gängige Praxis, um Reaktionszeiten so kurz wie möglich zu halten. Doch Störungen in den Lieferketten haben gezeigt, wie risikobehaftet die globale Distribution sein kann. Welche Ersatzteile sollen wo auf Lager gelegt werden? Die aktuelle Situation rollt diese grundlegende Frage ganz neu auf – und inspiriert zu neuen Lösungsansätzen.

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Den Rahmen dazu bietet die alljährliche Ersatzteiltagung, die das Magazin FACTORY gemeinsam mit Fraunhofer Austria organisiert.

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