Interview : Forscherin: "Hirtisieren kann neue Bauteilgeometrien möglich machen"

Marlies Schlauf

Marlies Schlauf ist Forschungs- und Entwicklungsingenieurin beim Forschungsunternehmen FOTEC.

- © FOTEC

Welche Geometrien eignen sich für das Hirtisieren® , welche nicht?

Bauteilgeometrien, die für die Hirtisierelektrolyte gut zugänglich sind, können generell auch gut behandelt werden. Wenn z.B. Pulverrückstände Strukturen im Bauteil verstopfen, kann hier das Verfahren seine Wirkung natürlich nicht entfalten. Während der Behandlung bilden sich außerdem Gasblasen. Diese sollten ungehindert aus dem Bauteil austreten können, da Gasansammlung, etwa in Überhängen, die Wirkung der Elektrolyte unterdrücken können. Auch ist es von Vorteil, wenn das Bauteil nicht wie ein Schöpflöffel wirkt. Hirtisierelektrolyte und Spülwasser können sonst nicht abfließen, wenn das Bauteil aus Behandlungs- bzw. Spülbecken gehoben wird. Dies kann die Bauteilreinigung verschlechtern.

Wie viel Zeit kann man durch die elektrochemische Nachbearbeitung im Vergleich zur manuellen einsparen?

Das hängt sehr stark vom Anwendungsfall ab. Bisher sind bei der Hirtisierbehandlung noch manuelle Schritte erforderlich: Das Bauteil muss vor der Behandlung kontaktiert werden und die Kontaktstelle muss vor der Einwirkung der Hirtisierelektrolyte geschützt werden - typischerweise durch Lackieren. Die aufgebrachte Schutzschicht muss nach der Behandlung auch wieder entfernt werden. In Summe benötigen wir bei FOTEC für diese Bauteilvor- und -nachbereitung daher aktuell durchschnittlich 30 Minuten bis eineinhalb Stunden je Bauteil. Das muss natürlich berücksichtigt werden, wenn die Zeiteinsparung im Vergleich zur manuellen Bearbeitung abgeschätzt wird.

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Es macht Sinn, das Verfahren des Hirtisierens bei der Prozessentwicklung in Betracht zu ziehen.
Marlies Schlauf

Können Ihrer Meinung nach die Vorteile der elektrochemischen Nachbearbeitung die Nachteile (Stichwort: Porosität an Oberfläche, Frage der Bauteilorientierung, Einfluss der Wärmebehandlung auf Supportstruktur) überwiegen?

Ja, aber sicher nicht bei allen Anwendungsfällen. In manchen Fällen wird Hirtisieren® voraussichtlich etablierte subtraktive Verfahren ersetzen können, in anderen eventuell nur als ergänzender Prozess die erzielte Bauteilqualität weiter verbessern und für manche Anwendungen wird es sich gar nicht eignen. In wieder anderen Fällen wird es die Herstellung bestimmter Bauteilgeometrien überhaupt erst ermöglichen. Es macht jedenfalls Sinn, das Verfahren bei der Prozessentwicklung zumindest in Betracht zu ziehen.

Woran forschen Sie zurzeit, um den Hirtisierungsprozess zu optimieren?

Der Prozess selbst wurde vom Team von RENA Technologies Austria GmbH entwickelt und wird auch laufend von RENA weiter optimiert. Wir bei FOTEC arbeiten vor allem daran, die Technologie optimal für unsere Anwendung nutzbar zu machen. In unserem Fall ist das die Nachbearbeitung von Bauteilen, die durch Laserstrahlschmelzen (LSS) hergestellt wurden. In diesem Zusammenhang werden wir uns in nächster Zeit vor allem mit dem Design von Supportstrukturen beschäftigen und den Einfluss der Parameter, die hierbei variiert werden können, systematisch untersuchen.

Was soll dabei herauskommen?

Unser Ziel ist, bereits in der Druckvorbereitung sowohl die Stabilität der Supportstrukturen beim Druck wie auch die Entfernbarkeit bei der anschließenden Hirtisierbehandlung vorhersagen zu können. Zusätzlich werden wir uns die Wirkung von Hirtisieren auf Bauteil-Innenflächen genauer ansehen und untersuchen, wie diese durch das Design der Innenstrukturen bestmöglich unterstützt werden kann.