Demokratisierung der Softwareentwicklung : Die innovativen Projekte der Denkfabrik in Hagenberg

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SCCH-Geschäftsführer Markus Manz (rechts) und Michael Moser, Area Manager Software Science

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Das SCCH ist eine wichtige Schnittstelle zwischen Industrie und Forschung. Wie zentral ist das Thema Mensch-Maschine-Interaktion aktuell in der Industrie?

Markus Manz: Das Thema ist essenziell. Unternehmen erkennen zunehmend, dass künftig hybride Teams aus Menschen und KI-Agenten eine kollektive Intelligenz bilden. Dabei hat jeder seine Stärken: Der Mensch bringt echte Kreativität, Kontextverständnis und Abstraktionsvermögen ein, während die KI Datenanalysen und Automatisierung übernimmt. Entscheidend bleibt jedoch, dass der Mensch die übergeordnete Kontrolle behält und die Zielsetzung definiert.

Welche Herausforderungen gibt es bei der Gestaltung dieser Interaktion?

Manz: Eine erfolgreiche Mensch-Maschine-Interaktion erfordert eine intuitive und nutzerfreundliche Gestaltung. Ein Beispiel ist unser Projekt mit KEBA, bei dem ein Sprachassistent entwickelt wurde. Hier reicht es nicht aus, eine Maschine einfach mit KI zu versehen – die Kommunikation muss natürlich und effizient sein. 

Besonders in Europa sollten wir Open Source stärker fördern.

Wie findet man die richtige Balance zwischen autonomer KI und menschlicher Kontrolle?

Michael Moser: Der Schlüssel liegt in Leitplanken, die verhindern, dass KI-Systeme unsinnige oder fehlerhafte Entscheidungen treffen. Die Sprachmodelle basieren auf statistischen Wahrscheinlichkeiten, was dazu führen kann, dass sie in unbekannten Szenarien „schwafeln“. Durch gezielte Einschränkungen und die beispielsweise durch klassische Software-Konzepte wie State Machines realisiert werden können, sorgen wir dafür, dass KI-Systeme präzise und zielgerichtet arbeiten.

Entwickeln Sie eigene KI-Modelle oder setzen Sie auf Open Source?

Moser: Wir nutzen in vielen Fällen Open-Source-Modelle. Sie bieten Flexibilität, schaffen Transparenz im Vergleich zu proprietären Lösungen und verhindern Abhängigkeiten von großen Anbietern. Besonders in Europa sollten wir Open Source stärker fördern, um die digitale Souveränität zu verbessern und langfristig wettbewerbsfähig zu bleiben.

Oft heißt es, Österreich sei im Bereich KI zurückhaltender als andere Länder. Teilen Sie diese Einschätzung?

Manz: Das könnte ein Trugschluss sein. Unsere COMET-Partner – darunter Robert Bosch AG, TRUMPF Maschinen Austria GmbH, ENGEL AUSTRIA GmbH, KEBA Group AG uvm. – arbeiten bereits intensiv mit KI. Allerdings befinden sich viele Anwendungen noch im Prototypen-Stadium. Flächendeckende Implementierungen sind selten, auch weil viele Unternehmen auf die konkrete Umsetzung des EU AI-Acts warten, um rechtliche Klarheit zu haben. Im globalen Vergleich gehört Österreich sicher nicht zu den Nachzüglern bei der Implementierungsfreudigkeit.

Besonders der Schutz von Software in Produktionssystemen ist essenziell.

Welchen Stellenwert hat Cybersecurity in der österreichischen Industrie?

Moser: Eine enorme. Wir selbst wurden 2022 Opfer eines Ransomware-Angriffs, was uns gezeigt hat, dass Unternehmen dieses Thema ernster nehmen müssen. Besonders der Schutz von Software in Produktionssystemen ist essenziell, da hier Produktpiraterie erhebliche wirtschaftliche Schäden verursacht. Unser COMET-Projekt „DEPS“ setzt hier an: Wir erstellen einen Hardware-Fingerabdrücke, um Software an eine spezifische Maschine zu binden und Kopien zu verhindern.

Wie funktioniert das genau?

Moser: Wir nutzen physikalische Eigenschaften des Speichers und der Netzkomponenten einer Maschine, um einen einzigartigen Fingerabdruck zu erzeugen. Dieser wird in den Software-Kompilierungsprozess eingebunden, sodass die Software nur auf der vorgesehenen Maschine lauffähig ist. Das erschwert unautorisierte Kopien erheblich. Unser innovativer Ansatz wurden bereits in ersten Anwendungsfälle für Steuerungskomponenten von Gleisbaumaschinen prototypisch umgesetzt.

Vor kurzem ist die EU-Cybersecurity-Richtlinie NIS2 in Kraft getreten. Welche Auswirkungen beobachten Sie?

Manz: Wir haben uns bereits entsprechend aufgestellt und lassen uns nach ISO 27001 zertifizieren. Viele große Unternehmen dürften ebenfalls vorbereitet sein. Insgesamt hat der Fokus auf Cybersicherheit in der Industrie deutlich zugenommen.

Der Hardware-Fingerabdruck für die Industrie

Der Schutz von Software und geistigem Eigentum (IPR) in Produkten und Produktionsprozessen ist eine Herausforderung für die Industrie. Das SCCH forscht gemeinsam mit wissenschaftlichen Partnern und Unternehmenspartnern wie PwC Österreich im COMET-Modul DEPS (Dependable Production Environments with Software Security) an neuen Methoden zum Schutz von Software und KI-Modellen. 

Basierend auf einem eindeutigen Hardware-Fingerabdruck werden Softwarekomponenten und KI-Modelle untrennbar mit Steuerungs- und Produktionssystemen verbunden. Zusammen mit anderen Sicherungsmaßnahmen wie der Verhinderung von Reengineering und sicheren Updateketten bietet dies einen umfassenden Schutz vor Raubkopien und Manipulation. 

BILD zu OTS - Firmengeb?ude SCCH im Softwarepark Hagenberg
Firmengebäude SCCH im Softwarepark Hagenberg - © SCCH

In der Softwareentwicklung verfolgen Sie eine Demokratisierung durch einen Low-Code/No-Code-Fokus. Was bedeutet das?

Manz: Wir ermöglichen es Menschen ohne IT-Hintergrund, Softwareanpassungen vorzunehmen. In der Industrie entwickeln wir z. B. grafische Programmiersprachen für Engel und KEBA, mit denen Servicetechniker oder Maschinenbediener die Ausführung von Software anpassen können, ohne Programmierkenntnisse zu benötigen.

Gibt es konkrete Anwendungsbeispiele?

Moser: Ja, insbesondere in der Produktion. Normalerweise braucht man SPS-Programmierer, um Maschinensteuerungen zu modifizieren. Unsere Low-Code-Lösungen erlauben es, diese Logiken grafisch zu erstellen und automatisch SPS-Code zu erzeugen. Das spart Zeit, reduziert Kosten und hilft, den Fachkräftemangel abzufedern.