Im Gespräch: Martin Weger : Am Puls der Zeit: So produziert die Fabrik des Jahres

Die Rezession ging auch an der Fabrik des Jahres nicht spurlos vorbei. Anfang des Jahres wurden in St. Valentin Arbeitsplätze abgebaut. Wie gehen Sie mit der aktuellen wirtschaftlichen Situation um?

Martin Weger: Wir haben eine leichte Auslastungsdelle, das spüren wir europaweit. Wir haben uns von 35 unserer insgesamt 2.200 Mitarbeiter trennen müssen. Wir schauen natürlich, dass wir so gut wie möglich durch die aktuelle Situation kommen. Wir haben auch ein Teilzeitmodell eingeführt, wo wir den Mitarbeitern ermöglichen, ihre Arbeitszeit zu reduzieren und das Unternehmen die Hälfte des Entgeltausfalls ausgleicht. Wir sind aber der Überzeugung, dass wir im Laufe der Zeit europaweit wieder einen Aufholeffekt haben werden. Was wir jetzt schon merken: Die Medizintechnik läuft gut. Dass zumindest die Stimmung besser wird, merkt man auch im Automobilbereich. Insofern bin ich mit Blick auf die nächsten Monate optimistisch für die Zukunft.

Die Digitalisierungsoffensive im Werk St. Valentin hat Ihnen die Auszeichnung „Fabrik des Jahres“ eingebracht. Wie ist der Masterplan für die Modernisierung des 1988 erbauten Werks entstanden und was haben Sie daraus gelernt?

Weger: Zunächst hat man an verschiedenen Stellschrauben gedreht – Digitalisierung, Nachhaltigkeit, Effizienz und Effektivität. Im Jahr 2018 wurden diese verschiedenen Projekte und Ideen in einem Masterplan zusammengeführt. Es ging darum, wie es uns gelingt, das Unternehmen effizient für die Zukunft aufzustellen. Beim Thema Nachhaltigkeit ging es zum Beispiel darum, wie wir den Verbrauch von Strom und Gas reduzieren können. Der Masterplan ging aber auch darüber hinaus. Wir haben uns überlegt, wie wir uns mit neuen Geschäftsmodellen am Markt positionieren können.

Engel
Werksleiter Martin Weger leitete nach seinem Einstieg bei Engel 2008 die Logistik und später das globale Qualitätsmanagement, übernahm demnach auch eine Reihe von Lean-Agenden. Seit März 2023 leitet er das 1988 errichtete Werk in St. Valentin. - © Engel
Wir haben uns überlegt, wie wir uns mit neuen Geschäftsmodellen am Markt positionieren können.

Teil des Masterplans war auch eine Automatisierungsoffensive. Kann man beziffern, in welchem Umfang der Grad der Automatisierung im Werk erhöht wurde?

Weger: Pauschal lässt sich das schwer sagen. Bei den FMS-Bearbeitungsmaschinen zum Beispiel, wo wir durch die Automatisierung mannlos fahren können, sind wir um rund 20 Prozent effizienter geworden. Im Transport haben wir durch den Einsatz von fahrerlosen Fahrzeugen derzeit eine Effizienzsteigerung von 15 Prozent. Wobei man natürlich sagen muss, dass es im Großmaschinenbau eine gewisse natürliche Grenze gibt, weil man 150 Tonnen Großteile nicht mit einem automatischen Transportfahrzeug durch die Gegend fahren kann.

Effizienz durch Automatisierung im Engel-Werk in St. Valentin.

Engel hat sich freiwillig den SBTi-Standard auferlegt, um seine Treibhausgasemissionen zu reduzieren. Viele Industrieunternehmen klagen derzeit über die hohen Anforderungen, die von der EU gestellt werden. Wie gehen Sie damit um?

Weger:
Es wäre gelogen, zu sagen, dass wir nicht gefordert sind. Ich glaube, dass alle Unternehmen, die sich mit diesem Thema beschäftigen, das bestätigen können. Im Prinzip geht es ja nicht um die einzelnen Richtlinien, sondern es geht um ein wichtiges Themenfeld in seiner Gesamtheit. Das heißt, wir versuchen das nicht in einem Nachhaltigkeitsbericht zu machen, damit wir es machen, weil wir es machen müssen, sondern wir versuchen sehr stark, einen Mehrwert daraus zu generieren. Und das gelingt auch in fast allen Fällen, wenn man sich lange genug damit beschäftigt. Das müssen Leute machen, die dahinter stehen. Und dementsprechend ist das ein Kostenfaktor. Und was man natürlich versuchen muss, und das ist das, was wir in den Vordergrund stellen, ist, dass wir diese Mehrkosten durch einen Mehrwert wieder ausgleichen. Wir schaffen damit Geschäftsmodelle, die man auch entsprechend an den Kunden weitergeben kann. So kann er wieder nachhaltiger in der Kette arbeiten. Und ich glaube, wenn man so chancenorientiert arbeitet, dann rechtfertigt das auch den Aufwand. Wenn man das so nicht macht, dann kommt man in einen Strudel von Auflagen und Kosten, ohne entsprechenden Mehrwert. Und das wäre eine Belastung, die für österreichische Unternehmen nicht so einfach zu verkraften ist. Ich glaube, dass diese Wertschöpfungsorientierung ganz klar zukunftsorientiert ist. Da tun sich andere Unternehmen wahrscheinlich schwerer als wir.

Wenn man in Sachen Nachhaltigkeit gut aufgestellt ist, honorieren das auch die Mitarbeiter.

Im Vorfeld der Diskussion um die EU-Lieferkettenrichtlinie war von den Unternehmen immer wieder zu hören, dass die Transparenz inzwischen auch von den Kunden in zunehmendem Maße gefordert wird ...

Weger: Ja, auf jeden Fall. In Deutschland gibt es ja schon das Lieferketten-Sorgfaltspflichtgesetz, in Frankreich gibt es so etwas schon länger. Es gibt also eine gewisse Dynamik. Die Kunden fordern diese Transparenz und Nachhaltigkeit in der Lieferkette. Ob sie aber bereit sind, dafür mehr zu bezahlen, ist die Frage. In den meisten Fällen ist die Antwort nein. Und wenn es hart auf hart kommt, gewinnt nicht der Lieferant, der nachhaltig agiert, sondern derjenige, der noch den besten Preis hat. Das heißt, in diesem Bereich handeln die Unternehmen noch nicht sehr konsequent. Aber man sieht schon, dass sich gewisse Mindeststandards durchsetzen. Das heißt, es gibt Unternehmen, die ganz konkret sagen, bei Ecovadis musst du diese Punktzahl erreicht haben, sonst frage ich gar nicht mehr an. Das heißt im Endeffekt, diese Mindeststandards müssen eingehalten werden. Das hat auch einen Vorteil für die Mitarbeiterbindung. Wenn man in Sachen Nachhaltigkeit gut aufgestellt ist, honorieren das auch die Mitarbeiter.

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Martin Weger mit seinem Führungsteam im Werk St. Valentin, dass 2023 mit dem Titel "Fabrik des Jahres" ausgezeichnet wurde. - © Engel

Ein weiteres Thema, das derzeit die Industrie beschäftigt, ist die neue EU-Cybersecurityrichtlinie. Wie gehen Sie damit um?

Weger:
Wir beschäftigen uns sehr stark mit dem Thema IT-Infrastruktur und das hat bei uns einen doppelten Effekt, weil wir nicht nur unsere eigene IT-Infrastruktur haben, sondern auch unsere Maschinen an die IT-Infrastruktur anbinden. Und ich glaube, es wäre gelogen, zu sagen, dass es für alle Beteiligten keine Herausforderung ist. Aber ich denke, dass wir das jetzt in Bezug auf NIS2 halbwegs vernünftig handhaben. Es ist aber definitiv ein Thema, das alle Betroffenen beschäftigt – da muss man schon einiges an Kapazitäten und Geld reinstecken.

Wie sieht es mit dem Einsatz von KI in der Fabrik des Jahres aus? Welche Anwendungsfälle gibt es bereits?


Weger:
Das ist sehr unterschiedlich, man muss aufpassen, was man alles unter den Begriff der KI subsumiert. Ich würde nicht jede Regressionsrechnung in Excel dazuzählen. 99 Prozent der Anwendungsfälle von KI sind im Moment LLM-Lösungen, wo Sprachmodellierung stattfindet. Wir beschäftigen uns sehr stark mit KI im Service. KI hilft, schneller zu einer Problemlösung zu kommen. Ein Servicetechniker, der ein so komplexes Gebilde wie eine Maschine hat, wird dabei unterstützt, die Maschine möglichst schnell wieder zum Laufen zu bringen. Die KI kann hier aus den dokumentierten Erfahrungen der Vergangenheit lernen. Das ist ein Mehrwert im Bereich der Instandhaltung. Wenn man sich das Benutzerhandbuch einer Bearbeitungsmaschine anschaut, hat das Hunderte von Seiten. Mit einem LLM können wir dem Techniker schnell die relevanten Informationen zur Verfügung stellen. Aber natürlich arbeiten wir auch schon an den Anwendungsfällen der Zukunft. Dazu haben wir ein Joint Venture mit „uni software plus“ gegründet, wo wir diese neuen Technologien entwickeln.

Fabrikkonferenz 2024 in St. Valentin

Die Jury der Fabrikkonferenz kürte das Engel-Werk in St. Valentin 2023 zur Fabrik des Jahres. Eines der Highlights ist das intelligente C-Teile-Management. Dabei handelt es sich um die automatisierte Nachbestellung von Verbrauchsmaterial, wie beispielsweise Schrauben. Auch der Einsatz der Fahrerlosen Transportsysteme bei der Werkzeugausgabe und die hochautomatisierten Fräszentren überzeugten. Gemeinsam mit den weiteren Engel-Produktionsstandorten formt das Werk ein globales und hochperformantes Netzwerk für komplexen Maschinenbau am Puls der Zeit.

Der renommierte Wettbewerb für Produktionsbetriebe in Österreich findet heuer am 3. Oktober im Engel-Werk in St. Valentin statt. Bis zum 31. Mai können Unternehmen ihre Konzepte noch einreichen: https://fabrikkonferenz.at/