Zentrales Kältekonzept : Wie das Schaeffler-Werk in Kappelrodeck zum CO2-neutralen Standort wurde
Die Schaeffler-Gruppe mit Zentrale in Herzogenaurach zählt mit rund 84.000 Mitarbeitenden zu den weltweit größten Familienunternehmen. Der Konzern ist in drei Sparten aktiv: Bearings & Industrial Solutions, Vehicle Lifetime Solutions und Automotive Technologies. Seit 2018 befindet sich der Hauptsitz des Bereichs Automotive Technologies in Bühl, zu dem die Werke in Bußmatten, Sasbach und Kappelrodeck gehören. Ein wesentlicher Fokus dieser Sparte liegt auf der Transformation der Mobilität hin zu klimafreundlichen Antrieben. Um diesem Ziel näher zu kommen, gründete Schaeffler 2018 den Unternehmensbereich Elektromobilität, der Komponenten und Systemlösungen für alle Arten elektrischer Antriebe entwickelt – von E-Bikes bis hin zu Nutzfahrzeugen und Sportwagen. Dazu zählen Asynchronmaschinen, permanent-erregte Synchronmaschinen, Axialflussmotoren und magnetfreie E-Motoren, sogenannte fremd-erregte Synchronmaschinen. Aber auch mit Schlüsselkomponenten für die Brennstoffzelle leistet Schaeffler seinen Beitrag zur emissionsfreien Mobilität.
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„Für das gesamte Spektrum entwickeln und bauen wir hier in Kappelrodeck die Werkzeuge“, berichtet Andreas Glaser, der als Industrial Engineer die Prozessentwicklung und die Beschaffung der erforderlichen Fertigungsmaschinen im Schaeffler-Werk verantwortet. Dort entstehen Stanz- und Umformwerkzeuge, Montage-, Kunststoffspritzguss- und Prototypenwerkzeuge sowie Vorrichtungen und Betriebsmittel für die eigene Produktion. Höchste Präzision ist für die Fertigungsprozesse unabdingbar: „Wir benötigen in unseren Fertigungshallen absolut stabile klimatische Bedingungen, um Schwankungen der Genauigkeit unserer Metallbearbeitungsmaschinen auszuschließen“, stellt Andreas Glaser klar. „Bisher führten knapp 70 kleine, direkt mit den Bearbeitungsanlagen gelieferte Kühlgeräte die Prozesswärme in die Hallenumgebung ab. Mit zunehmenden Anforderungen an die Präzision gerieten wir damit an eine Grenze, die Schwankungen wurden zu groß.“ Eine neue Lösung war erforderlich, um die Wärmelast nachhaltig abzuleiten und damit die Genauigkeit in der Produktion zu gewährleisten.
Durchdachtes Energiemanagement
Als Energiebeauftragter bei Schaeffler für den Standort Bühl hatte Tobias Szargan klare Vorstellungen, welche Zusammenhänge berücksichtigt werden müssen: „Die Abwärme der Kühlgeräte wurde in die Halle geleitet, erhöhte damit deren Energieverbrauch und verschlechterte das Arbeitsplatzklima. An heißen Sommertagen führte das bis zum Ausfall von Bearbeitungsmaschinen.“ Ziel war es, die verlorene Wärme aus dem Metallbearbeitungsprozess nutzbar zu machen und die Anzahl der Kühlgeräte zu reduzieren. Die 70 Kompaktgeräte nahmen in der Produktion viel Platz in Anspruch und verursachten einen erheblichen Wartungs- und Instandhaltungsaufwand. „Darüber hinaus verwendeten alle Kleingeräte klimaschädliche chemische Kältemittel“, sagt Szargan. Statt vieler Einzelgeräte strebte der Energiebeauftragte daher den Aufbau eines Prozesskühlnetzes mit einer zentralen Kälteversorgung unter Nutzung eines natürlichen Kältemittels an.
Gemeinsam mit Andreas Glaser definierte Tobias Szargan die Anforderungen an das neue Kältekonzept des Schaeffler-Standorts. Besonders herausfordernd gestaltete sich die Ermittlung des tatsächlichen Bedarfs an Kälteleistung für eine Zentralversorgung: „In der Regel sind die zu den Bearbeitungsmaschinen mitgelieferten Kühlgeräte überdimensioniert. Das Aufsummieren der auf den Einzelgeräten angegebenen Nennleistung ist daher nicht zielführend. Zudem ist unser Werkzeugbau sehr agil. Sichere Berechnungsgrundlagen zu eruieren, war eine der schwierigsten Aufgaben in diesem Projekt, die wir mit einer gewissen Unschärfe jedoch lösen konnten“, erklären die Projektverantwortlichen. Über mehrere Sommermonate führten sie Leistungsmessungen an einigen Bearbeitungsanlagen durch und leiteten daraus den Bedarf des gesamten Maschinenparks im Worst-Case-Szenario ab. Das Ergebnis: Die Anlage sollte zum Start 270 Kilowatt Kälteleistung bereitstellen können und für die Zukunft erweiterbar sein.
Natürlich vorkommendes Kältemittel
Im nächsten Schritt holte Schaeffler technotrans ins Boot. Da die Ideen und Wünsche nicht mit einer „Anlage von der Stange“ zu verwirklichen waren, setzte Schaeffler auf den vertrauten Kältetechnik-Partner. „Wir haben bereits mehrere Projekte gemeinsam realisiert. technotrans agiert sehr kundenorientiert und technisch auf höchstem Niveau. Vom Kick-off bis zur Abnahme fühlten wir uns immer sehr gut betreut“, betont Szargan. Beste Voraussetzungen also für das neue Vorhaben. Mit Unterstützung von Gebietsverkaufsleiter Stephan Untraut und Sales Manager Tobias Escher des technotrans-Standorts Meinerzhagen nahm das Projekt Gestalt an. „Unser oberstes Ziel war ein nachhaltiger und intelligenter Aufbau der zentralen Kälteversorgung“, erklärt Szargan. „Besonders herausfordernd war, dass wir von chemischen, umweltschädlichen Kältemitteln wegwollten, was im Industrieumfeld, insbesondere bei großen Anlagen, bisher noch wenig Beachtung findet.“
Ein zentrales Anliegen des Schaeffler-Energiebeauftragten war der Einsatz eines natürlichen Kältemittels mit niedrigem Global Warming Potential (GWP). Zur Einordnung: Herkömmliche HFKW-Kältemittel wie R407C (GWP 1774) oder R134A (GWP 1430) haben ein vier- bis fünftausendfach höheres Treibhauspotenzial als CO2. Ab 2025 dürfen Neuanlagen nur noch Kältemittel mit einem GWP von maximal 750 verwenden. Bereits heute fördert der Bund Anlagen nur dann, wenn der GWP-Wert unter 150 liegt. Mit dem in der verschärften F-Gas-Verordnung beschriebenen Phase-down werden die Mengen teilfluorierter Kohlenwasserstoffe in der EU weiter reduziert. „Kältemittel mit höherem GWP werden somit verknappt, schlechter verfügbar und unkalkulierbar teurer“, betont Tobias Szargan.
Technikraum im Übersee-Container
Schaeffler entschied sich für das zukunftssichere natürliche Kältemittel R290 (Propan), dessen GWP bei lediglich 3 liegt. Da Propan brennbar ist, stellt es hohe Ansprüche an den Brandschutz. Zudem bereitete der Aufstellort der Anlage mit ihren großen und schweren Komponenten den Verantwortlichen Kopfzerbrechen. Eine zusammenhängende Fläche im Produktionsumfeld schied mangels Platzes aus, das Hallendach aufgrund der Statik und ein Neubau aus Kostengründen. Die rettende Idee kam von technotrans: Ein als Technikraum eingerichteter Übersee-Container beherbergt sämtliche Pumpen, Tanks, Kältemaschine, Rückkühler und Schaltschränke. „Durch die Platzierung außen an der Hallenrückwand mussten wir keine wertvolle Produktionsfläche im Gebäude opfern. Und die Propan-Kältemaschine ist abgeschottet von den restlichen Komponenten in einer eigenen Container-Sektion mit Gaswarnanlage untergebracht“, sagt Szargan.
Der Energiebeauftragte war überrascht über die geringe Kältemittelmenge trotz des kleineren Wirkungsgrads von Propan: „Ich hatte mit zwei Mal 30 Kilogramm gerechnet, tatsächlich ist die Kälteanlage mit zwei Mal elf Kilogramm Propangas befüllt. Das entspricht zwei handelsüblichen Gasflaschen, wie sie für den heimischen Gasgrill verwendet werden.“ Ein weiterer Vorteil der Lösung liegt in ihrer Flexibilität: Container beziehungsweise Kälteanlage sind erweiterbar und bei Veränderung des Gebäudes leicht versetzbar.
Bedarfsgerechte Versorgung und Wärmerückgewinnung
Die Produktion in Kappelrodeck ist in drei Segmente unterteilt. Den höchsten Anspruch an die Prozesskühlung hat das Drahterodieren, das in einen Kühlwasserkreislauf mit einer Vorlauftemperatur von 14 Grad Celsius eingebunden ist. Andere Bearbeitungsprozesse wie Fräsen und Drehen benötigen eine Grundtemperatur von 20 Grad Celsius. Das dritte Segment der Fertigung benötigt kein Kühlwasser. „Indem wir nicht allein mit einem 14-Grad-Kühlwassernetz die Halle versorgen, sondern zusätzlich einen zweiten Kreislauf mit 20-Grad-Wasser nutzen, sparen wir enorm viel Energie“, erklärt Szargan.
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Ebenfalls effizient gestalteten technotrans und Schaeffler die Rückgewinnung der Prozesswärme: Die Abwärme, die in der zentralen Kältemaschine während der Kühlung entsteht, beträgt 55 Grad Celsius und ist dann als Warmwasser für die Beheizung des Gebäudes oder andere Prozesse nutzbar. technotrans speist damit einen 3.000-Liter-Wasserpuffer. „Wir nutzen die Wärme des Kältemittels, um Warmwasser zu erzeugen“, erläutert Sales Manager Tobias Escher.
Winterentlastung steigert Energieeffizienz
Die sogenannte freie Kühlung über Glykol-Rückkühler entlastet die Kälteanlage vor allem im Winter. Bei niedrigen Außentemperaturen kann dadurch Kälte effizienter und kostengünstiger erzeugt werden als mit einer herkömmlichen Kältemaschine. Beide Kühlwasserkreisläufe sind mit einer solchen Winterentlastung ausgestattet. „Wenn wir im Winterbetrieb weniger Wärme benötigen, als wir erzeugen, können wir komplett auf die Kältemaschine verzichten“, sagt Industrial Engineer Glaser.
Der Freikühler kommt bei Schaeffler auch dann zum Einsatz, wenn die Heizung keine Energie benötigt – zum Beispiel an Sonntagen oder in Sommermonaten. In diesen Fällen wird die nicht benötigte Abwärme der Kälteerzeugung über den Freikühler auf dem Dach des Containers an die Umwelt abgegeben, um die Kälteanlage zu entlasten und das Kältemittel wieder zu verflüssigen. Dies unterstützt auch die Klimatisierung und Lüftung der Produktionshalle, da die Abwärme nicht wie zuvor die Hallenluft aufheizt.
Effiziente Installation und Minimierung der Betriebskosten
Im Rahmen der Installation waren nur kurze, aber geplante Produktionsunterbrechungen erforderlich, um die Fertigungsmaschinen sukzessive an das neue Kältenetz anzubinden. Hierzu installierte technotrans parallel zum Fertigungsbetrieb die Rohrleitungen und stellte Schaeffler für den Start eine Leihkälteanlage zur Verfügung. „Dadurch konnten wir im Hintergrund die zentrale Kälteanlage aufbauen, die Leitungen verbinden und zur Inbetriebnahme ohne weitere Unterbrechung umschalten“, berichtet Industrial Engineer Glaser. Zudem waren die wesentlichen Komponenten von technotrans bereits im Container vorinstalliert, was die Baustellenzeit stark minimierte. „Diese Installationslösung ist top“, betont Glaser.
Der Thermomanagement-Spezialist projektierte die Kälteanlage für das Werk in Kappelrodeck betriebskostenoptimiert, so technotrans-Gebietsverkaufsleiter Stephan Untraut. „Das führte zwar zunächst zu höheren Investitionskosten. Im Gegenzug profitiert Schaeffler aber von hohen Einsparungen beim Betrieb der Anlage und von Zuschüssen durch den Bund.“ Neben den Einsparpotenzialen gewinnt Schaeffler weitere Vorteile. Bei der Investition in neue Metallbearbeitungsmaschinen entfallen künftig die Kühlgeräte sowie deren Wartung und Instandhaltung. Die Lüftung für die Halle kann kleiner dimensioniert werden. „Wir rechnen aufgrund der verbesserten Umgebungsbedingungen mit höheren Standzeiten für die Produktionsmaschinen. Nicht zuletzt freuen sich die Mitarbeitenden über die angenehmere Hallenluft. All diese Soft Facts lassen sich kaum beziffern“, fasst Tobias Szargan zusammen.
Ziel: Erster CO2-neutraler Standort im Schaeffler-Konzern
„Die Kombination aus intelligenter Regelung, Kälteerzeugung mit natürlichem Kältemittel und Wärmeausbringung zur Einspeisung ins Heizungsnetz ist für Schaeffler einzigartig“, betont Tobias Szargan. Im Rahmen seines Energy Efficiency Programms hat sich der Standort Bühl das Ziel gesetzt, im Jahr 2024 knapp 1,5 Gigawatt-Stunden Energie einzusparen. Die Schaeffler-Gruppe bezieht weltweit nahezu 100 Prozent Ökostrom, wodurch seit 2020 keine CO2-Äquivalente bei der Berechnung der Stromemissionen anfallen. Zudem soll noch in diesem Jahr auf dem Hallendach in Kappelrodeck eine Photovoltaik-Anlage installiert werden, um die Eigenerzeugung regenerativer Energien zu erhöhen. „Einzig die über Erdgas betriebene Gebäudeheizung muss noch substituiert werden. Das können wir über die Nutzung der Abwärme aus der Produktion erreichen. Damit wäre Kappelrodeck der erste CO2-neutrale Standort der Schaeffler-Gruppe“, sagt Szargan.
Schaeffler und technotrans haben inzwischen sechs gemeinsame Projekte realisiert. Um die Optimierung, Nachhaltigkeit und Effizienz am Standort Bühl weiter voranzutreiben, sind bereits weitere geplant. „Die Energietransformation kann wirtschaftlich und mit vielen daraus resultierenden Vorteilen dargestellt werden. Man muss die Chancen nur nutzen, verstehen und umsetzen. Die zentrale Kälteversorgung in Kappelrodeck ist ein Synonym dafür“, betont der Energiebeauftrage Szargan.