Volkswagen in der Krise : VW-Krisenverhandlungen: Die Ausgangslage im Überblick
Staatsbeteiligung als Hemmschuh
Ein besonderes Unternehmen war Volkswagen schon immer. Vom "System Volkswagen" - an dem er letztlich gescheitert ist - hat Ex-Konzernchef Herbert Diess gesprochen. Es sei geprägt von einem starken Betriebsrat und dem Land Niedersachsen als Großaktionär. Branchenkenner Frank Schwope, Professor für Automobilwirtschaft an der Fachhochschule des Mittelstands in Hannover, sagt. "Das macht die Sache etwas komplizierter." Konflikte würden gern lautstark in der Öffentlichkeit ausgetragen, am Ende aber meist im Konsens gelöst - oft mit teuren Zugeständnissen. Diesen Konsens habe VW mit der Absage an die Beschäftigungssicherung nun aufgekündigt, sagt Betriebsratschefin Daniela Cavallo. "Das ist ein Tabubruch."
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Zweitgrößter Anteilseigner nach der Holding der Familien Porsche und Piëch (53 Prozent) ist das Land Niedersachsen mit 20 Prozent der Stimmrechte. Bei wichtigen Entscheidungen hat Niedersachsen ein Vetorecht in der Gesellschafterversammlung, Ministerpräsident Stephan Weil und Kultusministerin Julia Willie Hamburg sitzen im Aufsichtsrat. Das habe auch Vorteile für VW, meint Schwope: "Niedersachsen ist ein zuverlässiger Ankeraktionär, etwas, wonach sich viele andere Unternehmen sehnen." Das Land stehe aber oft im Zwiespalt: "Zum einen hat es als Anteilseigner natürlich Interesse an einer hohen Dividende. Andererseits hat es ein Interesse an möglichst vielen Arbeitsplätzen." In der aktuellen Diskussion hat sich Weil bereits mehrfach gegen Werksschließungen ausgesprochen.
Das VW-Gesetz
In einem eigenen Gesetz, dem VW-Gesetz, ist die Position des Landes sogar festgeschrieben. Es wurde 1960 vom Bundestag verabschiedet, als der Konzern privatisiert wurde. Bis dahin war VW - 1937 für den Bau des "KdF-Wagens" gegründet - ein reiner Staatskonzern. "KdF" steht für die NS-Organisation Kraft durch Freude". Das Gesetz wurde 2008 nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs entschärft. Gestrichen wurde die Regelung, dass Niedersachsen mit nur einer "goldenen Aktie" Anspruch auf Sitze im Aufsichtsrat hat. Praktische Auswirkungen hatte dies nicht. Das Land stellt mit seinem 20-Prozent-Anteil weiterhin zwei Vertreter. Festgehalten wurde dagegen, dass 20 Prozent ausreichen, um bei wichtigen Entscheidungen ein Veto einlegen zu können. Üblich sind 25 Prozent.
Der Betriebsrat
Die Stärke des Gremiums liegt in erster Linie am hohen Organisationsgrad: Über 90 Prozent der Belegschaft sind in der IG Metall, wer bei VW anfängt, tritt oft sofort in die Gewerkschaft ein. Cavallo verweist auch auf die Entstehungsgeschichte: Das Geld für den Aufbau kam einst von den Gewerkschaften, die von den Nazis enteignet worden waren. Deshalb, so Cavallo, sei VW kein normales Unternehmen. Seitdem sei es immer bergauf gegangen. "Seit 75 Jahren floriert das Unternehmen." Schließlich hätten auch die Beschäftigten ein Interesse am Erfolg der Marke. "Alle 10 Jahre gibt es ein Problem, alle 20 Jahre knallt es, aber die Jahre dazwischen sind ja sehr ertragsstark gewesen."
Der Aufsichtsrat
Das Kräfteverhältnis im Aufsichtsrat ist klar geregelt: Die Hälfte der 20 Mitglieder stellen die Anteilseigner, darunter die beiden Vertreter des Landes, die andere Hälfte die Arbeitnehmer. Gemeinsam könnten Land und Betriebsrat die Eigentümer also überstimmen, sagt Stefan Bratzel vom Center of Automotive Management (CAM) in Bergisch Gladbach. "Man hat sozusagen eine Blockademacht." Doch Kampfabstimmungen sind bei VW unüblich. In der Regel wird so lange diskutiert, bis sich alle einig sind - was nicht immer klappt. Umstritten ist, ob das Gremium Werksschließungen, wie sie jetzt im Raum stehen, zustimmen muss. Das VW-Gesetz sieht dies für die "Errichtung und Verlegung von Produktionsstätten" vor. Unklar ist, ob dies auch für eine reine Schließung gilt.
Der Haustarif
Im Vergleich zur übrigen Metall- und Elektroindustrie sind die Löhne bei VW traditionell höher. Seit 1948 gibt es einen eigenen Haustarif. Um Fachkräfte nach Wolfsburg zu locken, habe VW einfach besser zahlen müssen, sagt Bratzel. "Und das tut es bis heute." Wie groß der Unterschied ist? Darüber gehen die Angaben auseinander. VW spricht laut Betriebsrat von 15 bis 20 Prozent Vorsprung - und fordert nun eine pauschale Kürzung um 10 Prozent. Der Betriebsrat rechnet dagegen vor, dass das Einstiegsgehalt eines Ingenieurs nur gut zwei Prozent über dem Flächentarif liege. Und ein Facharbeiter in der Produktion verdiene nur wenige Euro mehr als sein Kollege im Flächentarif, wenn er alle Leistungszulagen erhalte.
Die Krise
Die Ursachen für die Krise bei VW sind laut Bratzel vielfältig: Ein zu halbherziger Start in die E-Mobilität, hohe Kosten, eine schwache Auslastung und neue Konkurrenten aus China, die VW lange unterschätzt habe. Das meiste davon sei nicht neu, sondern über Jahre verschleppt worden - dank lange sprudelnder Gewinne in China, die alles überdeckten. "Doch damit ist es jetzt vorbei." Umso größer sei nun der Druck, die Probleme anzugehen. "Und das halte ich auch für richtig."
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Mit früheren Krisen wie 1974 und 1993, als VW tiefrote Zahlen schrieb, sei das nicht zu vergleichen, sagt Schwope. VW mache nach wie vor Milliardengewinne. Der Sparkurs sei vielmehr der Sorge um die Zukunft und die anstehenden Herausforderungen geschuldet. "Noch ist es keine große Krise. Aber alle haben Angst vor einer Krise."
Mögliche Lösungen
Dass sich die Beteiligten auch diesmal am Ende zusammenraufen werden, davon ist Schwope überzeugt. "Es gab bei VW noch nie betriebsbedingte Kündigungen und das wird es auch diesmal nicht geben. Da bin ich mir sicher." Mögliche Lösung: "Ich glaube, dass eine Vier-Tage-Woche oder eine Viereinhalb-Tage-Woche, also 80 oder 90 Prozent Arbeitszeit, kommen wird." Vorbild wäre die Vier-Tage-Woche mit Lohnverzicht von 1993, die damals einen Arbeitsplatzabbau verhinderte. Bratzel warnt allerdings vor zu großer Zurückhaltung. Er befürchtet, dass man sich am Ende wieder nur auf ein paar kleine Maßnahmen einigt, die aber nicht ausreichen. "Man schraubt hier ein bisschen, schraubt da ein bisschen. Aber nicht so grundlegend, dass VW wieder an die Spitze kommt. Das wäre aus meiner Sicht die schlechteste Variante." Dann wären die Probleme in ein paar Jahren nur noch größer.