Green Steel in Österreich : Grüner Stahl: Raus aus der Kohle, rein in die Elektrifizierung

Neue Technologie: der Elektrolichtbogenofen von Primetals Technologies im Einsatz.

Neue Technologie: der Elektrolichtbogenofen von Primetals Technologies im Einsatz.

- © Primetals Technologies

Routenwechsel in der Stahlherstellung

„Der Rohstoff für Stahl sind Eisenerze, also verschiedene Verbindungen zwischen Eisen und Sauerstoff“, erklärt Prof. Susanne Michelic, Leiterin des Lehrstuhls für Eisen- und Stahlmetallurgie, Montanuniversität Leoben. Für dessen Herstellung muss Sauerstoff aus dem Eisenerz entfernt werden. Das geschieht im Hochofen über eine Reaktion mit Kohlenstoff, die CO₂ freisetzt. Die derzeit meistverwendete Herstellroute basiert auf der Hochofentechnologie und stellt dort Roheisen und in einem nachgeschalteten Konverterprozess Rohstahl her. „Weltweit werden derzeit ungefähr 70 % der Stahlherstellung mit dieser Technologie produziert. In Österreich ist der Fokus noch deutlich größer. Momentan wird 90 % des österreichischen Stahls in diesem Prozess erzeugt“, sagt Michelic. Doch die Uhr tickt – bis 2050 muss die europäische Stahlindustrie CO₂-neutral produzieren. Denn sie ist für 7 bis 9 % der anthropogenen CO₂ Emissionen verantwortlich. „In den vergangenen Jahrzehnten gab es viele Verbesserungen im Herstellungsprozess, doch das Potenzial der CO₂-Verringerung über die bestehende Route ist zum Großteil ausgereizt“, so Michelic.

  • Susanne Michelic

    „Grüner Wasserstoff, der durch Elektrolyse unter Verwendung erneuerbarer Energiequellen hergestellt wird, kann als nachhaltige Alternative dienen.“

Hoffnungsträger Wasserstoff

Grüner Stahl soll zukünftig durch den Einsatz von Wasserstoff erzeugt werden. Er kann anstelle von kohlenstoffbasierten Reduktionsmitteln, wie Kohle oder Kokskohle, als umweltfreundlicheres Reduktionsmittel in alternativen Verfahren zum Hochofen dienen. „Die Reduktion läuft eben nicht über Kohlenstoff, mit dem Nebenprodukt CO₂, sondern über Wasserstoff“, so die Expertin, „Der Sauerstoff des Eisenerzes verbindet sich mit Wasserstoff und lässt als Nebenprodukt Wasser bzw. Wasserdampf entstehen“. Diese Technologie ermöglicht eine fast emissionsfreie Stahlherstellung und trägt erheblich zur Dekarbonisierung der Industrie bei. „Grüner Wasserstoff, der durch Elektrolyse unter Verwendung erneuerbarer Energiequellen hergestellt wird, kann als nachhaltige Alternative dienen“, sagt Michelic. Die Herausforderung ist jedoch auch, die benötigte Menge an Wasserstoff zur Verfügung zu stellen.

voestalpine ersetzt die Hochofenroute

Elektrolichtbogenofentechnologie heißt somit die Zukunft der Stahlherstellung und darauf setzt man beim Stahl- und Technologiekonzern voestalpine. Hinter dem sperrigen Wort verbirgt sich der schrittweise Ersatz der bestehenden, kohlebasierten Hochofentechnologie durch eine Hybrid-Elektrostahlroute, die die energieintensiven Prozesse elektrifiziert. Im Rahmen eines Stufenplans errichtet die voestalpine jeweils einen Elektrolichtbogenofen an den Standorten in Linz und Donawitz. In Donauwitz ist, im gemeinsamen Projekt mit dem Anlagenhersteller Primetals Technologies, ein Pilotprojekt bereits in Betrieb. Der Spatenstich für die Anlagenerrichtung ist gesetzt, der Bau startet 2024. Drei Jahre später wird die elektrifizierte Produktion in Donawitz in Betrieb gehen und jährlich rund 850.000 Tonnen CO₂-reduzierten Stahl produzieren. „Allein durch die teilweise Umstellung auf die Elektrolichtbogentechnologie in Linz und Donawitz reduzieren wir ab 2027 die heimischen CO₂-Emissionen um etwa 5 Prozent“, sagt Herbert Eibensteiner, CEO der voestalpine AG. Rund 30 % an CO₂-Emissionen der voestalpine werden eingespart und so der CO₂-Ausstoß um knapp 4 Mio. Tonnen pro Jahr verringert.

  • Herbert Eibensteiner

    „Allein durch die teilweise Umstellung auf die Elektrolichtbogentechnologie in Linz und Donawitz reduzieren wir ab 2027 die heimischen CO₂-Emissionen um etwa 5 Prozent."

Rohstoffrückgewinnung

Die Wiederverwendung von Schrott in der Stahlherstellung gilt als Klassiker im Bestreben, vermehrt Sekundärrohstoffe zu verwenden. Ein weiteres wichtiges Produkt in der Wertschöpfungskette ist die Verwertung von Schlacken, die als Nebenprodukt aus der Stahlproduktion hervorgehen. Die Schlacken, die im Hochofen entstehen, werden in der Zementindustrie als Zuschlagsstoffe für die Zementherstellung benötigt, erklärt Alexander Fleischanderl, Head of Green Steel, Primetals Technologies. Durch die Elektrifizierung der Stahlherstellung ändert sich allerdings die Zusammensetzung der Schlacken. „Wir beschäftigen uns intensiv damit, diese neuen Schlacken wieder der Zementindustrie zuzuführen“, so Fleischanderl. Außerdem habe man ein Verfahren entwickelt, um Stäube aus Elektrolichtbogenöfen wieder aufzubereiten und wichtige Rohstoffe, wie Eisen, Zink und Blei, wieder abzutrennen und in den Wertstoffkreislauf zurückzuführen. Aktuell ist die Projektierung in Österreich in Vorbereitung und an weitere Innovationen in der Wasserstoffmetallurgie in vollem Gange. So wurde das rein auf Wasserstoff basierende Direktreduktionsverfahren HYFOR, wo feines Eisenerz direkt in Eisenschwamm überführt wird, im November mit dem österreichischen Staatspreis für Innovation ausgezeichnet.

  • Alexander Fleischanderl

    „Es ist wichtig und richtig, die Strategie jetzt aufzusetzen, um sich eine erhöhte Wertschöpfung durch das Premiumangebot von dekarbonisierten Stahl zu sichern.“

Strategische Wertschöpfung

„Der Standort Europa wird für die Metallindustrie zunehmend schwierig, denn es müssen Rieseninvestments für die Elektrifizierung vorgenommen werden“, sagt Fleischanderl. Doch es gibt neue, vielversprechende Geschäftsmodelle. Konnte man sich relevantes Interesse nach einem Premiumsegment für grünen Stahl früher nicht vorstellen, so habe die Nachfrage in den vergangenen zwölf Monaten gezeigt, dass der Markt sehr wohl bereit sei, für ein Premiumprodukt zu bezahlen. Bis zu 30 % höhere Produktpreise werden für dekarbonisierten Stahl entrichtet. Diese Steigerung ist signifikant und zeigt, dass die Abnehmer für grauen, nicht dekarbonisierten Stahl, schwinden. Der Mehrwert ist nach Fleischhanderls Ansicht gegeben. Der Stahlpreis kann fortan über die Nachfrage statt über die Preise für Emissionszertifikate im Rahmen des Emissionshandelssystems (ETS, Emissions Trading System) gesteuert werden. Aktuell liegen die Zertifikatspreise bei ca. 80 € pro Tonne CO₂. Die globale Stahlindustrie erzeugt ca. zwei Tonnen CO₂ pro Tonne Stahl, also fast doppelt so viel CO₂ wie Stahl. Das bedeutet, ein Betrag im Milliardenbereich pro Jahr an ETS-Zahlungen ist schnell erreicht. Heute werden diese Zertifikate den Stahlproduzenten zwar noch kostenfrei zugeteilt, doch ab 2016 nimmt die kostenlose Zertifikatszuteilung ab und endet 2034 vollständig. „Es ist wichtig und richtig, die Strategie jetzt aufzusetzen, um eine erhöhte Wertschöpfung durch das Premiumangebot von dekarbonisiertem Stahl zu sichern“, so Fleischanderl.