"Materialien besser verschwenden als bisher" : So funktioniert nachhaltiger Bergbau in Europa

Michael Tost, Leiter des Lehrstuhls für Bergbaukunde, Bergtechnik und Bergwirtschaft an der Montanuniversität Leoben und Koordinator von Sumex.
- © MULUmweltfreundliche Technologien sind mittlerweile in sämtlichen Industriebereichen im Vormarsch: Der Grüne Deal der EU, der einen Übergang zu einer modernen, ressourceneffizienten und wettbewerbsfähigen Wirtschaft plant, sieht eine Senkung der Netto-Treibhausemissionen bis 2030 um mindestens 55 Prozent gegenüber 1990 vor – mit dem Ziel, bis 2050 Klimaneutralität zu erreichen und die menschgemachten Umweltauswirkungen – Stichwort Kreislaufwirtschaft und Renaturierung – massiv zu senken.
Um Wind-, Solar- und geothermale Energie jedoch weiterhin gewinnbringend nutzen zu können, Energiespeichertechnologien voranzutreiben und die grüne Mobilität zielführend auf Straße und Schiene zu bringen, werden Schätzungen zufolge zukünftig mehr als drei Milliarden Tonnen an Mineralien und Metallen benötigt. Insbesondere der Bedarf an mineralischen Rohstoffen wie Graphit, Lithium und Cobalt könnte sich laut Prognosen der World Bank Group bis 2050 um 500 Prozent erhöhen.
Herausforderungen für den Bergbau
"Das stellt den Bergbau vor große Herausforderungen. Im Kontext der Energietransformation, wo wir aus der Abhängigkeit von fossilen Energierohstoffen wie Öl und Gas uns zu lösen versuchen, kommt ein nachhaltiger Bergbau ins Spiel. Ein Bergbau, den wir aufgrund seiner bisherigen ökologischen Auswirkungen nun signifikant anders gestalten müssen", erklärt Michael Tost, Leiter des Lehrstuhls für Bergbaukunde, Bergtechnik und Bergwirtschaft an der Montanuniversität Leoben. "Das zentrale Anliegen der EU, eine nachhaltige Gewinnung von mineralischen Rohstoffen zu gewährleisten, stellt für uns in der Bergbaukunde aber auch eine große Chance dar", so Tost.
Alle Interessensgruppen betroffen
Dies setzt jedoch voraus, dass Interessengruppen in der ganzen EU ihre Kräfte bündeln – von der Wissenschaft und Industrie über die Zivilgesellschaft bis hin zur Politik. Im Critical Raw Materials Act, einer EU-weiten Rohstoffgesetzgebung, wurde beschlossen, dass 10 Prozent der kritischen Rohstoffe in Europa selbst abgebaut sein sollen. "Das klingt nach nicht sonderlich viel, aber momentan sind wir teilweise bei 0 Prozent. Zum Beispiel wird Lithium momentan in Europa erst geringfügig abgebaut. Wollen wir im internationalen Wettbewerb beim Zugang zu Ressourcen bestehen, sind weitreichende Lösungen gefragt, die ganz Europa betreffen", so Tost.
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Unter der Leitung der Montanuniversität wurde daher im November 2020 das EU-finanzierte Horizon 2020 Projekt Sumex (Sustainable Management in Extractive Industries) gestartet. Darin wurde – mit Vertreterinnen und Vertretern aus allen Interessensgruppen – ein holistischer Nachhaltigkeitsrahmen für die gesamte europäische Rohstoffindustrie ausgearbeitet: "In Sumex wurden über 370 "Good Practice Beispiele" für Nachhaltigkeit in der mineralgewinnenden Industrie Europas in einer öffentlich zugänglichen Datenbank gesammelt. Dabei handelt es sich um Technologie-Innovationen, welche den Einfluss eines Bergbaubetriebes verringern. Die für die Ausführungen dieser Projekte notwendigen gesetzlichen Regulierungen wurden ebenfalls bewertet – etwa die Einhaltung bestehender Gesetze, ein verantwortungsvoller Umgang mit Rohstoffen und ein nachhaltiges Management", beschreibt Michael Tost als Koordinator von Sumex das umfassende Vorhaben.
Projekt Sumex: Drei Nachhaltigkeitsdimensionen im Fokus
In Sumex wurden folgende drei Nachhaltigkeitsdimensionen abgebildet:
- Ökologische Nachhaltigkeit
- Soziale- und gesellschaftliche Verantwortung
- Transformation der Wirtschaft
"Die ökologische Nachhaltigkeit spielt stark in den Bereich der Kreislaufwirtschaft hinein. Kurz gesagt geht es Im Bergbau darum, Materialien besser zu verschwenden als bisher. Das schafft man zum Beispiel mit Recycling", sagt Tost. Zwar könne wissenschaftlichen Studien zufolge in Europa zwischen 40 bis 75 Prozent der meisten Metalle über Recyclingmethoden wiedergewonnen werden – sofern Europa in verbesserte Recyclingmethoden investiert.
"Dennoch steht die Bergbauindustrie bzw. der Rohstoffsektor vor der großen Herausforderung, 30 Prozent mehr Aluminium zu fördern als heute bereits in Europa abgebaut wird, sowie um 35 Prozent größere Mengen an Kupfer, 45 Prozent mehr Siliziummetall und 100 Prozent mehr Nickel – und einen um 330 Prozent gestiegenen Bedarf an Kobalt bereitzustellen."
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Ökologische Nachhaltigkeit
Um die für die nächsten 15 Jahre prognostizierten kritischen Versorgungsengpässe von abgebauten und veredelten Metallen zu verhindern, müssen z.B: Konzepte wie "Circular Design" schon früh mitgedacht werden", so Tost. Die Säule "Ökologische Nachhaltigkeit" von Sumex berücksichtigt ebenso die starken Auswirkungen des Bergbaus auf die Landschaft und Landwirtschaft und die ökologische Qualität – die von der Exploration bis hin zur Nachnutzung und Bergbaufolgelandschaften reichen können.
"Innerhalb des Diskurses um ökologische Nachhaltigkeit thematisieren wir die Planetarischen Grenzen – biophysikalische Grenzen, deren Überschreitung eine Destabilisierung des ökologischen Gleichgewichts und der Regenerierbarkeit der globalen Ökosysteme zur Folge hat – Stichwort Biodiversität. Es geht darum den CO2-Verbrauch teilweise bis Null zu verringern, auch Gewässer als wertvolle Ressourcen zu sehen und auf Wasserqualität und Vermeidung von Wasserverbrauch zu achten", so Tost.
Soziale- und gesellschaftliche Verantwortung
"Der Bergbau hat nicht nur gegenüber der Umwelt, sondern ebenso soziale- und gesellschaftliche Verantwortung zu tragen – der zweiten Säule des EU-Projektes Sumex", betont der Forscher. Im Vordergrund stehen eine stärkere Einbindung der lokalen Bevölkerung und Zusammenarbeit mit Interessenshaltern wie der Fokus auf das Wohlbefinden der ArbeitnehmerInnen durch faire Entlohnung, lebenslanges Lernen bis hin zu Gesundheits- und Sicherheitsmaßnahmen wie eine Null-Schaden-Kultur.
Michael Tost gibt ein Beispiel: "Im Projekt IlluMINEation, ein Horizon 2020 Projekt mit einem Gesamtbudget von 8,9 Millionen Euro, entwickeln wir als Projektkoordinatoren gerade einen digitalen Gebirgsanker, der die Gebirgsstabilität überwachen soll. Das kann beispielsweise für den Abbauort relevant sein, der ein paar Tage oder maximal ein paar Wochen offen ist und dann verbricht oder wieder verfüllt wird, sich demnach ändert, bevor man zum nächsten Abbauort weiterzieht. Das Abbaufeld muss von der Planung bis nach dem Abbau dahingehend überwacht werden, ob es sicher und stabil ist – vor allem für die Bergarbeiter, die dort arbeiten", so Tost.
So funktioniert's
Er führt weiter aus: "Je tiefer abgebaut wird, desto größer die Spannungen. Das Gebirge macht durch den bergbaulichen Eingriff einen Spannungsausgleich, was zur Folge hat, dass sich die Energie der aufgebauten Spannungen umlagert oder entlädt, es kann zu Gebirgsschlägen (Erdbeben), Einstürzen oder Steinschlag kommen, und Maschinen und viel schlimmer noch – Leben können verloren gehen."
Um die Stabilität des Bergwerks zu gewährleisten, werden demnach unterschiedliche Stützmittel eingebracht. Eines davon sind laut Tost sogenannte Gebirgsanker: "Als würde man eine Schraube in eine Wand montieren und ein schweres Bild aufhängen, kann ein Gebirgsanker aufgrund der mechanischen Hebelwirkungskräfte große Lasten aufnehmen, da Spannungen und das Gewicht z.B. von Gebirgsdecken oder -seitenwänden besser verteilt wird. Unsere digitalen Anker sind mit GPS und Sensoren auf Basis einer neuartigen leitenden Tinte ausgestattet und sind in einem digitalen Bergbaumanagementsystem integriert."
Der Forscher erklärt: "Die gemessenen geotechnischen Spannungsdaten und umweltrelevanten Messwerte werden mithilfe hochentwickelter Datenanalyseverfahren und künstlicher Intelligenz verarbeitet und vom Sensorcontroller in Echtzeit an die Ingenieure übermittelt. Diese haben somit die Möglichkeit, die Kapazität des Ausbaus und somit die Stabilität und Sicherheit des Bergbaus besser und vor allem kontinuierlich zu erfassen. Das hilft bei der Dimensionierung des Bergbaus und der Planung der jeweils ressourcenschonendsten Abbaumethode. Ändert sich die Spannung signifikant, schlägt der digitale Anker Alarm – und der Abbauort kann evakuiert werden, noch bevor etwas passiert:"
Transformation der Wirtschaft
Die dritte und letzte Säule von Sumex zielt entlang der Ausrichtung des Green Deals darauf ab, die Wirtschaft der EU in eine umweltfreundliche, kreislauforientierte und integrative Ökonomie umzuwandeln. "Eine wesentliche Rolle spielt dabei die rohstoffgewinnende Industrie. Ein Schlüsselelement sind geschlossene Rohstoffkreisläufe mit höherer Materialeffizienz, einer Reduzierung des Materialinputs sowie einer verbesserten Wiederverwertung", erklärt Tost.
Der Materialinput, so der Forscher, soll vermehrt aus sekundären Quellen stammen und unabhängiger von Rohstoffimporten sein. Verschiedene Kreisläufe wie gemeinsame Nutzung, Verlängerung, Wiederaufbereitung und Recycling werden an Bedeutung gewinnen, denn "die Kreislaufwirtschaft wird den Rohstoffsektor weit über das Recycling hinaus beeinflussen", so Tost, der hinzufügt, dass "Unternehmen zukünftig vermehrt Lebenszyklusüberlegungen anstellen müssen und für deren Produkte und deren Auswirkungen auf die Umwelt weit über den Verkauf hinaus verantwortlich sein werden. Der Forscher zeigt sich hoffnungsvoll: "Es ist bereits zu beobachten, dass die großen Bergbauunternehmen die Wichtigkeit der Transformation erkannt haben."