Schaltschrank-Alternativen : Sind wir bald Schaltschrankfrei?
Seit Jahren optimieren Unternehmen die Schaltschrankkonfiguration. Sie soll schneller, einfacher werden. Digitale Tools sollen die Verantwortlichen unterstützen und die Prozesse des Kunden beschleunigen. Jetzt wollen zwei Automatisierer noch mehr. In den Büros von Beckhoff sprechen die Verantwortlichen schon von einer Revolution. Ihr Anführer Hans Beckhoff formuliert es in einem internen Interview wie folgt: „Wir kennen den Schaltschrankbau aus der Praxis sehr genau. Diese Erfahrung haben wir mit dem Know-how aus unseren anderen Produktbereichen, d. h. bei IPCs, I/O- und Kommunikationstechnologie, Antriebstechnik und Software, kombiniert. Ergebnis ist ein einheitlicher Automatisierungsbaukasten, der den klassischen Schaltschrank mit seiner Verdrahtung vollständig durch normierte Module ersetzt. Dabei werden alle im Schaltschrank bzw. an der Maschine benötigten Gewerke und Funktionen in einem System – dem MX-System – zusammengefasst.“
Der Baukasten von Beckhoff
Der verantwortliche Produktmanager Daniel Siegenbrink ergänzt: „Jeder Schaltschrank ist vom Prinzip her gleich aufgebaut. Es gibt immer eine Energieeinspeisung, einen Hauptschalter, Netzteile, die Steuerung inkl. I/O-Ebene und Feldbus sowie die Antriebstechnik. Dazu kommt die Energieverteilung, d. h. das Schalten von 400 V bzw. der Direktstart von Motoren oder die Versorgung von Fremdaggregaten. Diese immer wieder auftauchenden Blöcke haben wir normiert und mit dem MX-System in einem einheitlichen Konzept umgesetzt.“
Beckhoff setzt bei der Entwicklung auf ein Baukastenprinzip. Die aus einem Aluminiumprofil bestehende Baseplate bildet als Rückwand die Basis des MX-Systems. Sie bietet standardisierte Steckverbindungen, auf die die verschiedensten Funktionsmodule des MX-Systems einfach aufgesteckt und anschließend mithilfe von in den Modulen befindlichen, unverlierbaren Schrauben festgeschraubt werden können.
Die Baseplate kann in ihrer Größe variieren und bis zu drei Reihen mit je maximal 24 Steckverbindungen (Slots) beinhalten. Hinter jeder Slot-Reihe steckt eine Backplane, die je nach Art verschiedene Spannungen und EtherCAT als Kommunikationsbus unter den Slots verteilt. Somit kann die Baseplate nahezu beliebig auf die jeweilige Anforderung der Maschine angepasst werden, versichern die Entwickler.
Es wird zwischen zwei Arten von Backplanes und somit Slots unterschieden: Daten-Backplanes mit MX-C-Slots, über die die Module mit 24 V DC bzw. 48 V DC und mit EtherCAT versorgt werden, und Power-Backplanes mit MX-P-Slots, über die die Netzspannung (3-phasig + N 400…480 V) und der DC-Link-Bus (maximal 848 V DC) verteilt werden. Ein MX-P-Slot kann mit maximal 35 A belastet werden, während die zugrundeliegende Power-Backplane maximal 63 A zur Verfügung stellen kann.
Die jeweiligen MX-Module können je nach Funktion auch unterschiedliche Größen haben. So passt ein einfaches MX-I/O-Modul in der Regel auf einen einzelnen MX-C-Slot und wird somit Leistung und Kommunikation versorgt, während größere Antriebsmodule über mehrere Slot-Reihen gehen können, da diese Module eine Steckverbindung zu einem MX-C-Slot für die Kommunikation und MX-P-Slot für die Leistung benötigen. Die Funktionsmodule können auch in ihrer Breite variieren und bis zu 3 Slots breit werden. So kann z. B. bei großen Leistungsmodulen die Leistung über zwei MX-P-Slots parallel eingespeist werden.
Dadurch, dass jedes auf der MX-Baseplate aufgestecke Funktionsmodul auch ein EtherCAT-Gerät ist, liegt grundsätzlich für das gesamte MX-System eine umfassende Diagnose vor. Des weiteren verfügt die MX-Baseplate über ein komplettes Housekeeping-System, welches Umweltparameter wie die Temperatur dauerhaft überwacht.
Die MX-Baseplate lässt sich mithilfe von Schraubverbindungen laut Hersteller ohne Probleme direkt an der Maschine befestigen und kann somit optisch und funktional in den Maschinenbauraum integriert werden, versprechen die Beckhoff-Ingenieure.
Schaltschrankbauer Rittal entspannt
Marcus Schellerer von Rittal gibt sich gelassen. Wettbewerb sporne an, so der Manager. Die Entwicklung, dass die Steuerung näher an die Maschine rücke, sei nicht neu. Schon vor einigen Jahren propagierten Entwickler das Ende des zentralen Schaltschranks.
Schellerer stellt aber vor allem auf die Energieversorgung ab. Diese brauche den Schaltschrank sicher auch in Zukunft. In Ulm bei Bosch Rexroth schwärmen die Entwickler von der modularen, sich immer wieder arrangierenden Fabrik und setzen dabei auf den intelligenten Boden. Die Ingenieurinnen und Ingenieure können heute über den Boden bis zu drei Kilowatt an Energie an Anlagen übertragen und sparen lange Verkabelungen – braucht es noch mehr Leistung? Theoretisch wäre das denkbar (10 Kilowatt-Module sind in Planung), aber so große Anlagen verfährt ein Anwender nicht so schnell, heißt es bei Bosch Rexroth.
Murr Elektronik bringt Sensorik und Aktorik ins Maschinenumfeld
Zurück zu den Revoluzzern: Nicht nur bei Beckhoff arbeiten sie am Ende des Schaltschranks. Vario-X heißt die Lösung von Murr Elektronik. Das System bringt Sensorik und Aktorik ins direkte Maschinenumfeld und sorgt bei der nahtlosen Integration von dezentralen Servoantrieben für ein zuverlässiges Spannungs-, Signal- und Datenmanagement, so die Entwickler. Herzstücke von Vario-X sind robuste, wasser- und staubdichte Gehäuse in Schutzart IP67, die die Spannungsversorgung, Steuerung, Switches, Sicherheitstechnik und IO-Module beinhalten. Sie lassen sich einfach nebeneinander in eine nicht minder robuste Backplane mit integrierten Maschinenbauprofilen einrasten. So kann die gesamte Station ohne weiteren Schutz ganz einfach an allen gängigen Profilsystemen befestigt werden und hält im Extremfall sogar Trittbelastungen stand. Ausgestattet mit einer Multicore-CPU ist Vario-X-Controller allen Anforderungen gewachsen, und lässt sich als offene Steuerungsplattform in alle übergeordneten Industrial-Ethernet Netzwerke einbinden. Die Installation und Verkabelung der Sensorik und Aktorik erfolgt nach dem Plug-and-Play-Prinzip mit vorkonfektionierten M12- und MQ15-Steckern fehlerfrei und in kürzester Zeit. Teure M23-Steckverbinder haben ausgedient. Damit entfallen auch die zeitraubenden und damit teuren Installationsarbeiten am Schaltschrank wie dem Abisolieren, dem Setzen von Adern-Endhülsen und dem Anklemmen. Reicht eine Station für die gesamte Maschinensteuerung nicht aus, können problemlos weitere Stationen etwa für eine zusätzliche Stromeinspeisung dezentral in der Maschine platziert und miteinander verbunden werden. Ebenso lassen sich einzelne IO-Module auch ganz ohne Backplane direkt an der Sensorik/Aktorik installieren, um Signale direkt dort einzusammeln. Das entschlackt die Maschinenanbauten und verschlankt die Kabelarchitektur enorm, heißt es bei Murr.
Wer Geschichte schreibt
Können die revolutionären Kräfte ihr Versprechen einlösen? Erinnern Sie sich noch an das Jahr 1989 – nicht die friedliche Revolution in Deutschland, sondern Beckhoff lieferte die erste PC-basierte Maschinensteuerung mit frei programmierbarer SPS-Funktionalität und integrierter Motion-Software unter Microsoft DOS aus. Da haben viele Wettbewerber geschmunzelt. Heute ist Beckhoff nicht mehr wegzudecken, aber auch Wettbewerbssysteme haben einen Markt. Geschichte könnte sich wiederholen.