Robotik : Welche Früchte Schaefflers Robotik-Offensive trägt
Die Meldung aus dem Januar war nüchtern, aber für die Robotikbranche war es eine kleine Überraschung: Der Automobil- und Industriezulieferer Schaeffler hat einen Vertrag zum Erwerb sämtlicher Geschäftsanteile an der Melior Motion GmbH unterschrieben. Das Ziel: „Im Zuge der mit hoher Geschwindigkeit fortschreitenden Automatisierung, sowohl für einfache repetitive Aufgaben wie auch für komplexe Montage- und Fertigungsprozesse, baut die Sparte Industrial ihre Position als Zulieferer für Komponenten und Systeme von Robotern konsequent aus“, heißt es bei Schaeffler. Im ersten Schritt wurde dazu ein Wellgetriebe mit Elektromotor und Sensorik für die Anwendung in kollaborativen Robotern (Cobots) zur Serienreife gebracht. Im zweiten Schritt erfolgt nun die Erweiterung des Portfolios um leistungsstärkere Getriebe für höhere Traglasten in Industrieanwendungen.
Viele Cobots nicht steif genug
Peter Molnar ist zuständig für das Robotik-Komponenten-Geschäft bei Schaeffler und skizzierte im Podcast „Robotik in der Industrie“ die „Reise“ des Unternehmens: „Wir nutzen selber viele Roboter und auch Cobots finden wir super, aber an einer high performance line scheitern dann viele Cobots weil sie nicht steif genug sind oder die Geschwindigkeit nicht hinbekommen. Unsere Ingenieure meinen, man müsse die Geschwindigkeit aus dem Datenblatt des Cobots immer um den Faktor 2 deraten um das auf die Taktzeit abzustimmen.“
An einer high performance line scheitern viele Cobots, weil sie nicht steif genug sind oder die Geschwindigkeit nicht hinbekommen.Peter Molnar
Für Molnar und sein Team war klar, dass das unter anderem an den Crosser Roller Bearings liegt. „Wir kennen da eine bessere Technologie – Nadellager. Dann haben wir ein Lager entwickelt, das deutlich steifer ist.“ Fehlt noch die Übersetzung der Lagersteifigkeit auf das Getriebe, auf den gesamten Strang. Die Entwicklerinnen und Entwickler verknüpfen die Steifigkeit des neuen Lagers mit dem Wellgetriebe. Um den Cobot dann noch zu skalieren – Stichwort höhere Payload – setzt Schaeffler auf eine Kombination von Well- und Planetengetriebe.
Neues Antriebskonzept von Melior Motioon
Melior Motion hat in mehrjähriger Entwicklung ein innovatives Planetengetriebe für Industrieroboter zur Marktreife gebracht, das sich durch hohe Präzision, hervorragende Wiederholgenauigkeit, geringe Geräuschentwicklung und besondere Robustheit auszeichnet. Auf Basis dieser Technologie wurde ein modulares Plattformkonzept entwickelt. Die ersten Getriebe dieser Bauart sind seit 2017 im Markt und bewähren sich bei rapide steigender Nachfrage. „Sie suchten einen Partner, um ihre Wachstumspläne zu erfüllen. Wir haben uns sehr schnell schätzen und lieben gelernt“, unterstreicht Molnar im Gespräch.Das Unternehmen, das im Jahr 2021 einen Umsatz von rund 23 Millionen Euro erzielte, beschäftigt mehr als 100 Mitarbeitende und hat seinen Sitz in Hameln. Ein weiterer Produktionsstandort in China ist in Planung. Derzeitige Hauptabsatzmärkte von Melior Motion sind Europa und China. Das Unternehmen wurde 2017 ins Leben gerufen, geht auf die 1908 gegründeten Stephan-Werke zurück und wurde 2011 von Premium Ltd. erworben.
Die Niedersachsen entwickeln seit mehr als 30 Jahren Präzisionsgetriebe für Roboterhersteller und Anwendungen im Bereich industrielle Automatisierung. Nach langjähriger Zusammenarbeit mit Kuka wurde auch das neue Präzisionsgetriebe für zwei Industrieroboter qualifiziert und kommt heute in zwei Achsen des KR Cybertech und sechs Achsen des KR Iontec zum Einsatz. Durch den Erfolg dieser Produkte am Markt, insbesondere auch durch die Eigenschaften des neuen Antriebskonzepts, wird Melior Motion im Jahr 2022 ihre Produktionskapazität deutlich ausbauen.
Synergien bei Einkauf und Produktion
Ralf Moseberg, Leiter Industrial Automation bei Schaeffler Industrial, erklärt: „Das gegenüber den Produkten von Wettbewerbern deutlich reduzierte Spiel verleiht den Planetengetrieben besondere Eigenschaften. Die große Drehmomentdichte, lange Lebensdauer und herausragende Energieeffizienz sind für unseren großen Kundenstamm im Bereich Robotik hochinteressant. Die Produkte beider Unternehmen sind komplementär und werden von der gleichen Kundengruppe nachgefragt. Auch durch die Nutzung von vergleichbaren Fertigungstechnologien rechnen wir damit, in den Bereichen Einkauf und Produktion Synergien realisieren zu können.“Ein wichtiges Thema, denn immerhin denkt ein Schaeffler wohl in Großserien wie für die Automobilindustrie. Allein: kein Roboter-Hersteller produziert Millioneneinheiten. Und zur Hannover Messe im Juni zeigen die Entwicklerinnen und Entwickler weitere Lösungen für die Robotik.
Große Entwicklungssprünge
Dieses Jahr steht ein stark erweitertes Präzisionswellgetriebe-Portfolio und ein sensorisiertes Wellgetriebe, beides für Knickarmroboter bis zirka 20 Kilogramm Traglast, im Mittelpunkt. Schaeffler wird in Hannover darüber hinaus auch ein Präzisionsplanetengetriebe-Portfolio der PSC-Baureihe für Industrieroboter vorstellen. Dieses zeichnet sich im Vergleich zum Marktstandard durch ein um Faktor zehn geringeres Verdrehspiel und eine um Faktor drei verlängerte Gebrauchsdauer aus. Derartig große Entwicklungssprünge sind sehr selten im Maschinenbau. Dadurch können neue Anwendungsfelder erschlossen werden, heißt es bei Schaeffler.