Anlagenbau : Wie sich Stiwa-Boss Peter Sticht mit dem Hochlohnland Österreich arrangiert hat
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Herr Sticht, 2013 gründeten Sie eine Niederlassung in Nantong, China. Heute verzeichnen Sie dort bereits 10 Millionen Euro Umsatz. Ihren Kunden dorthin zu folgen war ein kluger Schachzug.
Peter Sticht: Bei Stiwa wollen wir die Nähe zum Kunden pflegen und damit müssen wir auch international Präsenz zeigen. Dass wir unseren Kunden dorthin folgen, war also ein logischer Schluss. Dass viele Branchen China als Wachstumsmarkt erkannt haben, ist nett. Aber wer heute sagt China ist Weltwirtschaftsmacht, liegt falsch. China wird wieder Weltwirtschaftsmacht. Sie waren es über Jahrtausende.
China ist also mehr als eine verlängerte Werkbank?
Sticht: Viel mehr. Im Prinzip ist es der Turbo den wir brauchen, um in einem Hochlohnland wie Österreich Dinge umsetzen zu können. China ist zwar nur ein Teil unserer internationalen Präsenz, aber dafür ein sehr wichtiger.
Wer sich die Entwicklung der letzten drei Jahre ansieht und die Prognose für 2022 kennt (Siehe Grafik) könnte fast denken ihr Unternehmen sei unaufhaltsam.
Sticht: Es geht uns gut, aber auch wir kämpfen mit beschränkenden Faktoren.
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Die da wären?
Sticht: Das trifft vor allem auf den Faktor Mensch und Raum zu. Je besser es uns gelingt Personal zu entwickeln und zu rekrutieren, umso nachhaltiger unser Wachstum.
Im Herbst starten Sie mit einer Lehrlingsoffensive in Nantong. Die dort Ausgebildeten erhalten einen chinesischen wie österreichischen Lehrabschluss – wie geht so etwas?
Sticht: Wir dürfen uns hier dankbarerweise bei anderen unterhaken. In Kooperation mit der Wirtschaftskammer haben Alpla, Engel und Odu haben hier echte Pionierarbeit geleistet. Die drei Unternehmen kooperieren mit dem dort ansässigen Information Technology College, das die Rolle der Berufsschule übernimmt. Gegen eine geringe Gebühr dürfen auch wir dort unsere Lehrlinge ausbilden.
Von wie vielen Lehrlingen sprechen wir?
Sticht: Im September starten wir mit vier Mechatronikern und zwei Zerspanungstechnikern. Nächstes Jahr wollen wir vielleicht schon verdoppeln. Wir investieren viel.
Investitionen, die ein kräftiges Wachstum voraussetzen.
Sticht: Richtig. Wir gehen in China von einem jährlichen Wachstum von 25 Prozent aus.
Und jetzt im Umkehrschluss: Wie wirkt sich dieses Wachstum auf Ihre Standorte in Österreich aus?
Sticht: Das ist ganz einfach beantwortet: Einige unserer heutigen Aufträge hätten wir nicht ohne eine chinesische Präsenz vor Ort. Unsere Kunden wollen betreut werden.
2016 eröffneten Sie Ihre erste Niederlassung in den USA. Entwickelt sich dieser Standort ähnlich prächtig?
Sticht: Dort geht es vor allem um After Sales. Im Moment gibt es aber nur ein Büro, dem bald eine kleine Werkstatt folgen wird. Eine Bewertung wäre zu früh.
Ab wann ist ein ausländischer Standort handlungsfähig?
Sticht: Aus unserer Erfahrung braucht es dazu eine Personaldecke von 15 bis 20 Mitarbeitern. Wir rechnen dann mit rund 100.000 Euro Umsatz pro Kopf. Ein guter Richtwert für Handlungsfähigkeit.
Sind weitere Niederlassungen geplant? Zum Beispiel in Brasilien?
Sticht: Die Erfahrungen unserer Kunden in Brasilien sind sehr durchwachsen. Ich würde es nicht ausschließen, aber im Moment sieht es nicht danach aus. Sehr stark im Gespräch ist derzeit Indien, wobei uns die Zahlen noch nicht ganz überzeugen. Am interessantesten ist sicher Mexiko, aber das wird uns die Politik weisen.
Stichwort After Sales: Bisher ein Mitläufer der Automation. Vor zwei Jahren dann die Ausgliederung in einen eigenen Geschäftsbereich. Warum?
Sticht: After Sales ist für uns ein Verkaufsförderungsinstrument. Das ist aber mehr als nur die Instandhaltung oder das Liefern von Ersatzteilen. Die Servicierung oder der Umbau von Fremdmaschinen ist ein nicht zu unterschätzender Teil unseres täglichen Geschäfts geworden.
Das heißt Dienstleistung ist ein Argument für Neukundenaufträge?
Sticht: Eigentlich ein Werkzeug, um die Beziehung zu bereits bestehenden Kunden zu vertiefen. Mit unserer jetzigen Auftragslage sind wir mehr als ausgelastet. Und es reicht heute nicht mehr einem Neukunden den Mund wässrig zu machen, wenn man ihn dann nicht füttern kann.
Sind Betreibermodelle für Sie ein Thema?
Sticht: Betreibermodelle sind eine Möglichkeit, die uns seit den 90ern beschäftigt. Allerdings hatten wir bis jetzt noch keinen Anwendungsfall, wo das wen interessiert hätte. Was allerdings sehr stark im Kommen ist, ist das Thema „Total Cost of Ownership“. Ein Grund, warum wir unsere Philosophie im Ersatzteilbereich komplett umgedreht haben.
Das heißt Sie liefern heute Ersatzteile „on demand“?
Sticht: So circa. Wir gehen stark Richtung Konsignationslager. Das heißt wir betreiben ein Warenlager, welches sich in der Nähe unserer Kunden befindet. Die Ersatzteile verbleiben solange in unserem Eigentum, bis unser Kunde sie aus dem Lager entnimmt. Das betrifft vor allem Norm- und Standardteile. Wir verkaufen also nicht mehr das was der Kunde bereit ist zu zahlen, sondern nur mehr das, was er unbedingt braucht.
Könnte man hier den Schluss ziehen, dass sich Stiwa künftig kräftiger im Bereich Logistik positionieren will?
Sticht: Wir hatten schon einmal ein Projekt mit fahrerlosen Transportsystemen, das zugegeben etwas versandet ist. Die automatisierte Versorgung unserer Anlagen ist aber sicher ein Thema, das wir noch machen wollen.
Sie sagten einmal, Industrie 4.0 ist für Sie eine neue Form der Zusammenarbeit.
Sticht: Richtig. Ich spreche hier von firmenübergreifenden Supply-Chain-Netzwerken. Das setzt eine gewisse Vertrauensbasis für den Austausch von sensiblen Daten voraus.
Tauschen Sie denn schon sensible Daten mit Ihren Kunden aus?
Sticht: Im Moment noch nicht. Aber es würde Sinn machen.
Woran hapert es?
Sticht: Eine stabile Kunden-/Lieferantenbeziehung kann man nicht kaufen, das erarbeitet man sich. Das braucht Geduld und viele Treffen, um herauszufinden, wo man sich durch eine engere Kooperation etwas sparen kann.
Im C-Teil-Management kein Problem, aber bei hochsensiblen Produktionsdaten ...
Sticht: ... eine gewisse Schwierigkeit, ja. Aber natürlich, je sensibler, desto mehr lässt sich sparen.
Für eine Getriebe-Montageanlage für Volkswagen haben Sie Anfang März rund 30 Millionen Euro in den Standort Österreich investiert. Wie schafft man solche Aufträge für ein Hochlohnland zu gewinnen?
Sticht: Ich denke die Geheimwaffe hier sind Daten oder vielmehr deren Durchgängigkeit. After Sales war für uns lange ein Verlustgeschäft, bis wir begonnen haben entsprechende Daten zu sammeln. Für uns ist das Thema Industrie 4.0 also daraus entstanden, dass wir wissen wollten, wie es unserer 600-km-entfernten Anlage geht. Und mit dem Sammeln dieser Daten kamen andere Möglichkeiten. Big Data, Track & Trace, Digitalisierung, das sind alles von der Automotiv-Industrie getriebene Themen.
Ist also ein durchgängiger Datenfluss Voraussetzung um Aufträge wie die von VW zu bekommen?
Sticht: Ja, nur so können wir unsere eigenen Produktionskosten niedrig halten.
Noch machen Engineering und Software nur 10 Prozent Ihres Umsatzes aus, wird sich das bald ändern?
Sticht: Zulieferproduktion und Automation werden weiterhin unser Hauptgeschäft bestimmen, aber Voraussetzung dafür ist nun mal die Durchgängigkeit der Daten. Intelligenz in eine Maschine bringen, ist nichts anderes als Hardware durch leistungsfähigere Software zu ersetzen. Dass es dafür allerdings Standards braucht, haben wir früh erkannt und entsprechende Tools entwickelt, die uns bis an den letzten Sensor gehen lassen. Heute können wir aus dem Vollen schöpfen, ohne uns überlegen zu müssen, welche Schöpfkelle wir nehmen.
Datendurchgängigkeit als Akquise-Tool, Logistik als neues Geschäftsfeld, Standardisierung als Marktvorteil: Man hat fast das Gefühl Stiwa unterzieht sich einem Wandel.
Sticht: Am Ende des Tages werden wir immer ein Maschinenbauer, ein Produktionsbetrieb und eine Softwarefirma bleiben. Nur geistig wollen wir uns zum Dienstleister entlang der Wertschöpfungskette unserer Kunden entwickeln und das fängt beim Anlagenleitstand an und hört bei einer automatisierten Werkslogistik auf.
Vielen Dank für das Gespräch! Das Gespräch führte Elisabeth Biedermann.