Machbarkeitsstudie : Warum Fraunhofer eine Betonkugel im Bodensee versenkte
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Strom aus Wind und Sonne hat das Problem, dass die erzeugte Menge starken Schwankungen unterworfen ist und damit die entstehenden Überschüsse kaum gespeichert werden können. Das heißt, die Rotoren laufen entweder mit halber Kraft oder stehen auch mal ganz still, weil das Netz die Energie nicht aufnehmen kann. Aus diesem Grunde wird fieberhaft an neuen Speichertechnologien geforscht. Gerade Unterwasser-Pumpspeicher wären für Offshore-Windanlagen eine vielversprechende Lösung. So befasst sich das Forschungs- und Entwicklungsprojekt StEnSEA (Stored Energy in the SEA) des Fraunhofer Instituts mit der Entwicklung und Erprobung neuartiger Konzepte für die Speicherung großer Kapazitäten elektrischer Energie vor den Küsten am Meeresboden. Für das Meerespumpspeicher-Konzept wurden zunächst mathematische Modelle entwickelt und dann der Speicherbetrieb am Computer in mehreren hundert Metern Wassertiefe simuliert. „Bei dem Test im Bodensee ging es nun darum, die Machbarkeit im realen Betrieb an einem Modell im Maßstab 1:10 zu überprüfen“, erklärt Matthias Puchta vom Fraunhofer-Institut für Windenergie und Energiesystemtechnik in Kassel. „Außerdem wollten wir durch verschiedene Messungen Erkenntnisse gewinnen, um unsere Computermodelle und damit auch die Auslegungssicherheit für ein echtes Meerespumpspeicherkraftwerk zu optimieren.“
Ein geniales Prinzip
Dazu wurde eine 20 Tonnen schwere Beton-Hohlkugel mithilfe von Luftkissen über den Bodensee geschleppt und dann auf den Grund des Sees in rund 100 Meter Tiefe versenkt. Die Kugel misst eine Dicke von 30 Zentimeter, umfasst drei Meter im Durchmesser und kann einem Wasserdruck von ungefähr zehn Bar in 100 Metern Tiefe standhalten. Das Prinzip ähnelt dem eines herkömmlichen Pumpspeicherkraftwerks, nur mit einer Hohlkugel am Meeresgrund und ohne zwei Wasserbecken. Als oberes Speicherreservoir wird das Meer selbst genutzt und das „untere Speicherbecken“ entspricht dem Hohlkörper auf dem Meeresgrund. An der Kugeldecke ist eine Öffnung mit einer Pumpturbine angebracht. Wird das Ventil nun geöffnet, strömt das Wasser wegen des Wasserdrucks, der auf der Kugel lastet, automatisch in die Kugel hinein. Das einströmende Wasser treibt die Turbine an und so entsteht Strom, der per Kabel an Land geleitet wird. Die Kugel kann bis zu 20 MWh Strom speichern. Dann ist die Kugel voll und die Stromerzeugung durch das einströmende Wasser beendet.
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Doch der eigentliche Clou: Wenn im Netz ein Überschuss an elektrischer Energie vorherrscht, kann dieser Überschuss dazu verwendet werden, um das Wasser aus der Betonkugel wieder herauszupumpen. Je nachdem, ob im Netz gerade Strom gebraucht wird oder nicht, wird die Kugel auf- und entladen. So kann die Energie in der Nähe von Offshore-Windparks quasi im Wasser zwischengelagert werden. Man kann davon ausgehen, dass die Effizienz mit den herkömmlichen Pumpspeicherkraftwerken vergleichbar ist, was in etwa 75 bis 80 Prozent entspricht. Das bedeutet, von dem Strom, der zum Herauspumpen des Wassers aus der Kugel notwendig ist, wird beim Einströmen rund 80 Prozent zurückgewonnen. Somit funktioniert die Kugel wie ein herkömmliches Pumpkraftwerk in den Bergen. „Jedoch sind die Standorte von herkömmlichen Pumpkraftwerken begrenzt, zumindest in Deutschland“, so Puchta. „Wir brauchen aber aufgrund der Zunahme der erneuerbaren Energien definitiv mehr Speicher.“
Technologie ist verfügbar
Für eine erfolgreiche Implementierung eines marktfähigen Energiespeichers in Serie liegt bereits eine ausreichende Pumpturbinentechnologie vor. Aktuell wird der Leistungswert von rund 20 MWh - bei einer Entladezeit von vier bis acht Stunden - für eine Kugel angepeilt. Laut der vorliegenden Machbarkeitsstudie gehen die Wissenschaftler von einer maximal realisierbaren Wassertiefe von 700 Meter aus. Dies ist der Tatsache geschuldet, dass Pumpturbinen gegenwärtig nur bis zu solchen Tiefen hinreichend funktionieren. Was die Konstruktion und Installation angehen, sind jederzeit auch deutlich größere Tiefen möglich. Dafür müsste jedoch die Technologie für Pumpturbinen entscheidend weiterentwickelt werden. Eine Lösung wäre auch als System denkbar, das Pumpe und Turbine von aneinander trennt. Der StEnSEA-Pumpspeicher kann nun weltweit in Gewässern und Meerestiefen ab 500 Meter zum Einsatz kommen. Dafür werden im Rahmen des Projekts weltweite Analysen über Geoinformationssysteme zu infrage kommende Standorte durchgeführt. „Es gibt ein großes Potenzial für die Anwendung der Technologie in küstennahen Standorten, insbesondere auch vor großen Bevölkerungsdichten Regionen“, unterstreicht Puchta. „Zum Beispiel Norwegen, aber auch Spanien, die USA und Japan weisen große Potenziale auf.“ Damit wirklich Strom in großen Mengen erzeugt werden kann, müssten aber die Kugeln ungefähr zehn Mal so groß sein wie das gegenwärtige Testmodell auf dem Grund des Bodensees.
Ausblick in die Zukunft
Darüber hinaus müssen für eine relevante Gesamtleistung des Pumpspeicherwerkes mindestens 80 dieser Speichereinheiten in einer Anlage zusammengefasst werden. „Die Ergebnisse des Modellversuches werden wir dafür verwenden, um daraus Rückschlüsse auf die Realisierung eines Systems mit 30 m Kugeldurchmesser treffen zu können, sagt Puchta. „Sicher ist, dass das Konzept erst ab Wassertiefen von ca. 600 bis 800 Metern im Meer wirtschaftlich anwendbar sein kann.“ Zumal das Energiepotenzial mit zunehmender Wassertiefe deutlich ansteigt. Denn in großen Wassertiefen können Pumpspeicherkraftwerke den sehr hohen Wasserdruck nutzen, um mithilfe von Hohlkörpern deutlich mehr Stromenergie speichern zu können. Zusätzlich müssen für zukünftige Planungen auch ökologischen Risiken für Fische, Krebse und Mikroorganismen berücksichtigt werden.
Dazu stimmte sich die Projektgruppe für den Test mit dem Institut für Seenforschung am Bodensee und den dortigen Behörden ab. Ökologische Risiken durch die Wahl der zum Einsatz kommenden Materialien sind gering und das Einsaugen von Tieren durch die Strömungsgeschwindigkeit am Wassereintritt wird durch ein sehr feinmaschiges Gitter verhindert. Bei den Tests im Bodensee handelt es sich um einen zunächst einmaligen, aber absolut bahnbrechenden Test, mit dem die Anwendung in Nachfolgeprojekten vorbereitet werden soll. Mit der Realisierung zukünftiger Tests im Meer ist laut Puchta schon in etwa drei bis fünf Jahren zu rechnen. Dafür gibt es, so die Experten des Fraunhofer-Institutes für Windenergie- und Systemtechnik, in der Nord- und Ostsee ausreichend Standorte für große Energiekugeln. Die Finanzierung der weiteren Entwicklung erfolgt in Abstimmung mit industriellen Partnern und den öffentlichen Förderern.
Fazit
Damit sich erneuerbare Energien durchsetzen können, sind Speichersysteme erforderlich, die den Stromanteil speichern, der nicht ins Netz eingespeist werden kann. Das Unterwasser-Pumpspeicherkraftwerk ist definitiv eine Pionierleistung und könnte ein Wegbereiter für den Erfolg der erneuerbaren Energien sein.