Walter AG : Walter Tools: Kryogene Kühlung als wegweisendes Bearbeitungskonzept

Factory: Seit den 50ern will man den Zerspanungsprozess mit flüssigem Kohlendioxid kühlen. Ernste Entwicklungsarbeiten begann man aber erst gut 60 Jahre später. Warum?
Franke: Die Antwort liegt in den vielen beteiligten Faktoren. Eventuell hätte man schon vor 60 Jahren eine geeignete Austrittsdüse für CO2 konstruieren können. Allerdings war die Entwicklung bei den Substraten noch nicht so weit. Ein weiterer Punkt ist die Berücksichtigung der Schmierung, die Weiterentwicklung der Werkzeugmaschinen und nicht zuletzt der Preis und die Verfügbarkeit von flüssigem Kohlendioxid.
Und heute hat man also bei Walter all diese Herausforderung im Griff?
Schaarschmidt: Zumindest so weit, dass wir eine industriereife Lösung anbieten können. Mit unserem Entwicklungspartner – dem Schweizer Maschinenbauer Starrag – haben wir die Zweikanaltechnik zur Serienreife entwickelt. So gelangt gleichzeitig flüssiges CO2 unter Hochdruck und ein Schmiermittel direkt an die Schneidkante.
Wie genau habe ich mir Ihre Entwicklungsarbeit vorzustellen? Besitzen Sie eigene Maschinen, mit der Sie einen Versuchsaufbau testen?
Franke: Um die Technologie komplett zu durchdringen sind Grundlagenuntersuchungen notwendig. Diese führen wir allerdings nicht hier im Haus durch, sondern bei unseren Kunden und Kooperationspartnern, die entsprechende Maschinen im Einsatz haben. Wir stellen dann Versuchsprogramme auf, in denen einzelne Parameter gezielt variiert werden, z.B. die Austrittsposition für das CO2 am Werkzeug. So nähern wir uns der Frage: Warum funktioniert die Technologie in einem Fall und im anderen nicht. Denn hinter dem „Warum“ steht derzeit im Detail noch ein großes Fragezeichen, das wir entfernen wollen.
Sie hängen also auch von der Innovationsfreude anderer ab?
Schaarschmidt: Das stimmt. Walter ist im Bereich der kryogenen Kühltechnik ein ‚Technologiepionier‘. Wir preschen vor und die Kunden gehen mit. Es wurden jetzt erste Anlagen bei Endkunden installiert. Hier gilt es jetzt das Potential der Technologie in der Serienfertigung zu verifizieren und an den Feinheiten zu arbeiten.
CO2 ist also ein Allheilmittel und wird alles andere verdrängen?
Schaarschmidt: Nein. Es wird auch zukünftig Emulsion, MMS und Trockenbearbeitung geben. Die Herausforderung liegt darin herauszufinden, für welches Material und für welche Bearbeitungsart welche Kühlstrategie die richtige ist. Unser Ziel ist es: Es gibt ein System aus Werkzeug und Maschine, das verschiedene Kühl- und Schmiertechnologie beherrscht. Denn unsere Technologie basiert auf bewährten Standardwerkzeugen, die mit Cryo·tec-Option ausgestattet werden. Der Kunde kann unsere bekannten Werkzeugtypen verwenden und bei Bedarf die Kühlung zuschalten.
Da steckt also noch viel Entwicklungsarbeit dahinter. Die Kinderkrankheiten sind aber bereits überstanden?
Schaarschmidt: Auf jeden Fall. Wir haben bereits Werkzeuge an Endkunden in der Energietechnik geliefert. Dort wird Cryo·tec weltweit erstmals im laufenden Betrieb eingesetzt.
Franke: Bis die Technik wirklich etabliert ist, werden noch ein paar Jahre vergehen. Hier wird die Turbinenschaufelbearbeitung sicher eine Vorreiterrolle spielen. Unser Partner Starrag fräst seit März 2014 in der Lohnfertigung erfolgreich mit CO2. Und es gibt derzeit praktisch keinen Big Player aus den Bereichen Aerospace, Automotive und Energy, der sich nicht bei uns über die Technologie informiert hat. Das Interesse ist definitiv vorhanden.