Arbeitssicherheit : Sechs No-Go’s der Sicherheitstechnik

Loidl Christian
© TeLo

Wenn ein Arbeitsunfall passiert, herrscht in Unternehmen meist Ratlosigkeit: Wie kann das sein? Wir haben Sicherheitsanweisungen und Tafeln und tun alles, was nötig ist? Eben nicht, sagt Christian Loidl. Der Sicherheitsexperte und Geschäftsführer von TeLo hat sich seit über 20 Jahren der Sicherheitstechnik in Industriebetrieben verschrieben. Sein Fazit: Sicherheitstechnik wird in vielen Unternehmen nur halbherzig umgesetzt. Oft aus Unwissenheit, oft „weil eh noch nie etwas passiert ist“. Gegenüber Factory verrät er die sechs größten Fehler in Sachen Sicherheitstechnik.

1. Too big

Wer die Maschine nicht versteht, kennt auch ihre Gefahren nicht.

Anlagen werden immer größer, besser, multifunktionaler. Dadurch werden auch die Systeme immer komplexer - und die Menschen, die damit arbeiten, verstehen sie immer weniger. Damit ist ein großes Sicherheitsrisiko verbunden: Wer eine Maschine nicht versteht, weiß auch nicht, wann er sich in Gefahr begibt. Ein Thema, mit dem Sicherheitsexperte Christian Loidl jeden Tag zu tun hat: „Beispielsweise im Verpackungsbereich: Wenn die Anlage immer mit einer bestimmten Art von Folie arbeitet und man einmal eine andere Folie ausprobieren möchte, kann das fatale Auswirkungen haben, wenn der Mitarbeiter nicht weiß, wie die Anlage funktioniert. „Er greift vielleicht in den Produktionsprozess ein, wenn etwas nicht auf Anhieb funktioniert. Und schon kann ein Arbeitsunfall passieren“, weiß Loidl.

2. Too old

„Don’t touch my running system“ wird bei alten Steuerungen zum Problem.

Seit 30 Jahren im Betrieb und läuft noch immer „wie am Schnürchen“: Eine Situation, die Christian Loidl nur allzu gut kennt. Die Maschinenparks in vielen Klein- und Mittelunternehmen sind veraltet, aber trotzdem noch einsatzfähig. „Und so lange alles problemlos läuft, gibt es für die meisten Betriebe keinen Grund etwas zu ändern.“ Was aus betriebswirtschaftlicher Sicht verständlich ist, birgt aber ein großes Risiko – gerade bei Steuerungen, die eine maximale Lebensdauer von 20 Jahren haben. „Danach sollten die Systeme überprüft oder ausgetauscht werden, um das Sicherheitsrisiko zu minimieren“, so Loidl. Das kostet zwar Geld, bringt aber auch etwas: mehr Qualität, höheres Tempo – und eben mehr Sicherheit.

3. Too unreflected

Erweiterung, Umbau, Zubau: Jede Veränderung sollte sicherheitstechnisch geprüft werden.

Sicherheit ist ein Thema, das ständig im Fluss ist. Ob veränderte Arbeitsabläufe, andere Werkstücke oder ein neuer Mitarbeiter: Die einzelnen Faktoren verändern sich und mit ihnen das Risiko. Darauf reagieren kann man nur mit Selbstkritik. „Man sollte ständig hinterfragen, ob man so, wie bisher gearbeitet wurde, weiter machen kann oder soll“, rät Loidl. Das betrifft vor allem den Umbau einer Anlage: In dem Fall ist der Betreiber gesetzlich dazu verpflichtet, die Auswirkungen der Veränderung aus sicherheitstechnischer Sicht zu überprüfen. „Wird aber oft nicht gemacht“, weiß Loidl.

4. Too little knowledge

Leider wird in der Ausbildung das Thema Sicherheit immer noch vernachlässigt.

Wird eine neue Anlage gebaut, sind viele am Werk: Elektrotechniker, Hydraulik-Spezialisten, Antriebstechniker, Prozessingenieure – und gerade im Sonderanlagenbau noch viele mehr. Jeder weiß über seinen Bereich perfekt Bescheid, „aber nur wenige sehen das große Ganze“, so Loidl. So komme es dann auch, dass beim Design einer Anlage die bestimmungsgemäße Verwendung aus den Augen verloren wird. Vom sicherheitstechnischen Aspekt ganz zu schweigen. Für die Techniker sei das aber auch kaum zu schaffen, sagt Loidl nüchtern: „Das ist derzeit eine irrsinnig schwere Angelegenheit, weil die Sicherheitstechnik in der Ausbildung vernachlässigt wird. In den HTLs, FHs und Universitäten ist Sicherheit kaum ein Thema. Es heißt zwar immer, sie ist wichtig, man bringt den Leuten aber nicht bei, wie sie für Sicherheit sorgen können.“ Diese Situation könne man nur ändern, indem man die Lehrpläne auf die neuen Erfordernisse anpasst – und beispielsweise auch Sicherheitstechniker für die einzelnen Branchen ausbildet.

5. Too much

Wer zu viel Sicherheitstechnik in eine Anlage verpackt, verunsichert die Bediener.

Sicherheitstechnik ist wichtig. Sie sorgt für reibungslose Abläufe und schützt die Gesundheit der Mitarbeiter. Es kann aber auch zu viel des Guten sein. „Wir sehen manchmal Anlagen, die fast übergehen vor lauter Sicherheitstechnik“, so Loidl. Das Ergebnis: Die Maschinen werden unendlich teuer und die Mitarbeiter werden verunsichert. „Das geht dann soweit, dass die Mitarbeiter Angst haben, die Anlagen zu bedienen.“

6. Too complicated

Ohne Normen geht es nicht, aber mit ihnen manchmal auch nicht.

Christian Loidl schüttelt den Kopf: „Die Normen an sich sind ja nicht das Problem. Das Problem ist die sinnvolle Anwendung.“ Immer wieder erlebe er, dass Unternehmer ganze Projekte wieder auf Eis legen, weil die Anforderungen so hoch sind. Zwischendurch fühle man sich auch an die Schildbürger erinnert. „Dazu fällt mir das Thema Förderbänder ein: Es gibt eine Norm, die grundsätzlich für Förderbänder gilt. Und zwar für alle. Egal, ob das ein Förderband für kleine, leichte Verpackungen ist oder eine Förderband für den Bergbau, das unzählige Tonnen Geröll pro Tag transportieren muss.“ Hier müsste mit mehr Hausverstand an die Sache herangegangen werden: „Dieselbe Lösung für alle, das kann nicht funktionieren.“