Produktionsplanung : Make-to-Order oder Make-to-Stock?

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In vielen Unternehmen scheint die Auftragsabwicklungsstrategie aus dem Bauch heraus entschieden worden sein. Anders kann man es sich wohl nicht erklären, wenn Serienprodukte produziert werden als ob jedes Stück ein Unikat wäre. Oft haben sich seit der Wahl der Auftragsabwicklungsstrategie die Kundenanforderung, der Markt und die Produkte verändert. Doch die Auftragsabwicklung blieb über Produktgenerationen gleich. Für den Geschäftserfolg ist das nicht vertretbar. Denn, die Wahl der Auftragsabwicklungsstrategie beeinflusst die Herstell- und Logistikkosten und somit die Wettbewerbsfähigkeit.

Der Kunde entscheidet

Der Kunde beeinflusst die Strategiewahl besonders stark. Seine Wünsche und Erwartungen machen den Unterschied, ob eine hohe Produktvielfalt herrscht, ausschließlich Standardprodukte erzeugt oder Sonderlösungen gefertigt werden. Der Kundenentkopplungspunkt (KEP), also jener Punkt an dem eine auftragsneutrale Serienfertigung in eine auftragsbezogene Produktion übergeht, ist daher ein entscheidender Moment.

Der KEP ist somit entscheidend bei der Auslegung von Prozessen und zugleich im Produkt immanent. Lukas Lingitz, Leiter Produktionsplanung und Auftragsmanagement bei Fraunhofer Austria Research, veranschaulicht das an einem Beispiel: „Eine Leiterplatte ist grundsätzlich ein Massenprodukt, das in jedem elektronischen Gerät verbaut wird. Dennoch sieht sie je nach Gerät immer anders aus, weil sie ja immer andere Bauteile miteinander verbinden muss. Bereits nach dem ersten Produktionsschritt - abgesehen vom Reinigen vielleicht - ist sie individuell, denn aus einer Leiterplatte für ein bestimmtes Handymodell wird keine Leiterplatte für einen Laptop mehr, egal was ich tue.“ Der Kundenentkopplungspunkt ist also der erste Produktionsschritt. Eine kundenanonyme Vorproduktion auf Komponentenebene ist daher nicht mehr möglich. Eine kundenanonyme Vorproduktion weil das Endprodukt eine Massenprodukt ist, wäre zwar denkbar, angesichts der kurzen Modelllebenszyklen und starken Markschwankungen kann sich aber auch hier schnell ein Obsoletbestand ergeben.

Investitionen berücksichtigen

Die Frage, ob Make-to-Order, Make-to-Stock oder Assemble-to-Order wird noch durch weitere Faktoren bestimmt, wie etwa das Produktionssystem. Jede Investitionsentscheidung in eine neue Maschine oder das Werk bietet Spielraum für einen Strategiewechsel. Kauft der Betreiber eine Maschine die sehr flexibel ist, aber etwas langsamer oder teurer bietet sie andere Vorzüge als eine eventuell günstigere Maschine die auf hohen Durchsatz spezialisiert ist jedoch längeren Rüstzeiten und weniger Variantenvielfalt ermöglicht. Die Rüstzeit beeinflusst die Auslastung und damit natürlich auch die Herstellkosten. Weil mit langen Rüstzeiten oder einer niedrigen Auslastung der Maschinenstundensatz steigt und Produkte teurer werden. Die Lagerhaltung von Fertigerzeugnissen oder Baugruppen wirkt sich in weiterer Folge auf die Gemeinkosten des Unternehmens aus. „Eine Produktion, die auf große Stückzahlen und kundenanonyme Lagerfertigung spezialisiert ist, kann ich nicht von einem Tag auf den anderen auf Auftragsfertigung umstellen. Die Entscheidung, welche Auftragsabwicklungsstrategie gewählt wird, und wie stark diese verändert werden kann ist durch die Produktionsstruktur und die Investitionsentscheidungen veränderbar“, erklärt Lingitz und sagt weiter: „Was ich bei Unternehmen jedoch oft erlebe: Der Markt verändert sich, die Unternehmen tun es jedoch nicht.“

Systematische Bewertung

Aufgrund der verschiedenen Einflussfaktoren sollte die Entscheidung zur Strategie systematisch gefällt werden. „Zu Bewertung eignet sich ein morphologischer Kasten oder Entscheidungsbaum,“ rät Lingitz und erklärt weiter: „Hierbei werden Kennzahlen, im einfachsten Fall die ABC-Klassifizierung des Artikels, die Auftragsabwicklungsstrategie der Artikel entscheiden. Es empfiehlt sich aber hier noch weitere Kriterien aufzunehmen.“ Das Erfahrungswissen von Vertrieb, Produktionsplanung und Produktion liefern wertvolle Parameter: Bestimmte Produkte lassen sich vorproduzieren bei anderen werden Halbfabrikate auf Lager gelegt, mit Kanban gesteuert oder auf Auftrag produziert.

Schema F ist problematisch

Unternehmen müssen sich fragen: welche Produkte machen den relevanten Umsatz und welche Auftragsabwicklungsprozesse stecken dahinter. Passen die Prozesse nicht zu den Anforderungen, weil ein individuelles Produkt, mit Engineering-Dienstleistung, gleich produziert wird wie Katalogware, läuft etwas falsch. „Oft gibt es ein paar Rennerartikel, auf die das Werk ausgerichtet ist und dann einen Rattenschwanz an Produkten, die für die Strukturen und Prozesse des Unternehmens nicht geeignet sind. Man versucht alles über die gleichen Strukturen und Maschinen abzuwickeln, vielleicht sogar noch über die gleichen Prozesse“, erklärt der Experte für Produktionsplanung.

Für verschiedene Artikelgruppen sollte es jedoch unterschiedliche Strategien und Prozesse in der Auftragsabwicklung geben. Das Problem zeigt sich für Lingitz meist bei der Analyse: „Eine Anpassung der Strategie, der Prozesse sowohl in der Auftragsabwicklung als auch in der Produktion, Planung und Steuerung (PPS), erhöht die logistische Leistungsfähigkeit und die Effizienz in Administration und Produktion deutlich. Damit sind auch die Kapazitäten vorhanden, um sich mit einer regelmäßigen Analyse der Strategie zu befassen.“ Die Einführung eines vereinfachten Auftragsabwicklungsprozesses lohnt sich wie der Experte zu berichten weiß: „Für eine bestimmte Produktkategorie konnten in Summe mit gleicher Belegschaft 30 Prozent höhere Auftragsvolumen abgewickelt werden.“ In der breiten Masse der Industrie fehlt jedoch an permanentes Monitoring.

Forschung für bessere Abwicklung

An der Universität Hannover, Fakultät für Maschinenbau, möchte man Unternehmen bei der Entscheidungsfindung unterstützen. Im Forschungsvorhaben MoBAStra* arbeitet man an einem Softwaredemonstrator der aus wenigen Daten die logistischen Kosten (Bestand, Auslastung) und die Zielgrößen bewertet. Tammo Heuer gehört zum Projektteam und geht der Frage nach, wie ein Unternehmen seine Strategie von den Komponenten und Baugruppen bis hin zum fertigen Produkt optimal auslegen kann. Der Forscher ist der Ansicht, dass je Produkt mehrmals im Jahr, die Auftragsabwicklungsstrategie überprüft werden sollte. Es hängt aber auch davon ab wie volatil die Nachfrage ist. „Da wir die Strategie mit unserer Software mit wenig Aufwand überprüfen können und Restriktionen berücksichtigt werden, ist rasch der optimale Fall ausgegeben“, sagt Heuer. Doch nicht nur im universitären Umfeld beschäftigt man sich mit der Entscheidungsunterstützung.

Entscheidungshilfe

Lingitz berichtet aus seiner Beratungstätigkeit: „Wir haben für einen Kunden ein System gebaut, dass bei der Analyse unterstützt. Es werden wichtige Kennzahlen in einem Dashboard dargestellt. Somit kann der Einkäufer die „Schurken“, so nennt er Artikel mit veralteten oder falschen Dispositionsstrategien, identifizieren.“ Mit dem schnell implementierten System sehen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wie man zur optimalen Strategie kommt. Aus Sicht von Lingitz ist die Einführung eines solchen Systems ein sehr guter erster Schritt zur Verbesserung der Auftragsabwicklung. Dabei nimmt eine entscheidungsunterstützende Software den Akteuren die erforderlichen Entscheidungen nicht ab, sie hilft jedoch diese zu treffen. Es werden alle Informationen so aufbereitet, dass der Mensch am Ende die bestmögliche Entscheidung treffen kann.

Fazit

Eine generell eingeschlagene Richtung wird in der Praxis dennoch sehr selten hinterfragt werden. „Beim Wechsel der Strategie sind die Unternehmen heute nicht immer so agil. Doch gerade in Krisensituationen wird deutlich, Unternehmen müssen resilienter werden um Schocksituationen zu überwinden und die Fähigkeit entwickeln einen Strategiewechsel zu vollziehen“, sagt Lingitz. Ein festes Zeitintervall während das Jahres macht aus Sicht des Produktionsexperten beim Hinterfrage der Auftragsabwicklungsstrategie keinen Sinn: „Wichtiger ist es regelmäßig die Kundenanforderungen zu analysieren. Wenn man hier sehr genau beobachtet, dann erkennt man wann es Zeit ist eine Strategie zu überdenken.“