Round-Table : Es gibt keinen Königsweg für Industrie 4.0

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© Matthias Heschl | www.matthiasheschl.com

"Es ist wurscht, wie’s heißt.“ Wilfried Sihn hat genug von dem ewigen Definitionskarussell rund um den Begriff Industrie 4.0. Für den Fraunhofer-Chef Österreich ist der Kleinkrieg um die Definitionshoheit längst vom Tisch. Für ihn dreht sich die Frage nicht mehr um die vorhandene oder nicht vorhandene Relevanz von Industrie 4.0. Die Frage heißt: „Wie nutzen wir es?“ Ganz klar: „Das Definieren“ ist vom Tisch. Was bleibt, ist eine Riesenchance für Österreich. Zugpferd muss die Industrie sein, nicht die Wissenschaft. „Das ist das, was Deutschland geschafft hat“, so Sihn. 2,5 Jahre sei unser Nachbar voraus, ein Vorsprung, den Österreich locker einholen könnte, wenn endlich klare Linien gezogen und eindeutige Initiativen vorgelegt werden.

Kräfte müssen gebündelt werden.

Ein starkes Statement, das der Fraunhofer-Chef hier um 9:00 morgens in die Runde aus Sektionschefs, Interessenvertretern und Unternehmern wirft. Neun Experten trafen sich zu diesem inoffiziellen Round-Table-Gespräch in der Wiener Lindengasse. Jeder für sich bewegt wichtige Bausteine rund um den Hype. So auch Günter Rübig, Geschäftsführer der gleichnamigen Anlagenbau-Gruppe und Spartenobmann Industrie der Wirtschaftskammer Oberösterreich. „Wir haben schon vor zwei Jahren begonnen, das Thema in einer Technologiegruppe aufzuarbeiten“, so Rübig. Ihm gehe es einzig darum, den Produktionsstandort im Industriebundesland Nummer 1 zu halten. Der mächtige Spartenobmann reißt sich damit die Vorreiterrolle unter den Nagel. Das stößt bei Heinz Moitzi auf keinen fruchtbaren Boden. Für den Technikvorstand bei der steirischen AT&S ist das ein Beispiel für Österreichs größten Makel: Ein viel zu starker Initiativen-Pluralismus. Moitzi ist viel in Asien unterwegs und baut gerade ein neues Leiterplattenwerk in Chongqing. Das seien ganz andere Dimensionen als in Österreich. „Aber nicht einmal dort gibt es mehrere Initiativen zu ein und demselben Thema“, sagt er. Sein Wunsch: Kräfte sollen gebündelt und eine bundesweite Plattform geschaffen werden, sonst bleibe für Bundesländer mit weniger Industrie auch nur wenig von dieser Kraft übrig. Doch Rübig lässt sich seine oberösterreichische 4.0-Plattform ungern streitig machen, will er doch damit das Thema der Politik näher bringen. „Ich finde, jedes Bundesland soll eigene Initiativen haben“, so der Spartenobmann. Nur die Abstimmung im Forschungsbereich könne gerne zentralisiert werden. Unbedingt unangetastet muss der Bildungsbereich bleiben. „Das Thema hatten wir bereits, Bildung ist ein regionales Gut“, beharrt Rübig.

Der Kampf um die Verteilung enger Mittel.

Die Bundesländerdebatte kennt auch der Sektionschef des BMVIT, Andreas Reichhardt, und kündigt einen Kompromiss an: „Wir arbeiten bereits mit Fachverbänden, Industriellenvereinigung und der Arbeiterkammer zusammen, um eine bundesweite Plattform für Industrie 4.0 zu initiieren.“ Laut dem Sektionschef soll eine eigene Geschäftsstel- le eingerichtet werden, die sich einzig und allein um die österreichweite Koordination kümmert und dabei mit jedem Bundesland in Kontakt steht. Isabella Meran-Waldstein sieht hier gar keinen Grund für Streitigkeiten. Für die Stellvertretende Bereichsleiterin für Innovation & Technologie der Industriellenvereinigung gibt es keinen Widerspruch über Initiativen in den einzelnen Regionen, solange es eben eine Koordination durch das Bundesministerium gibt. „Es geht um eine Signalwirkung nach außen auf europäischer Ebene“, so Meran-Waldstein.

„Das ist eine Wiederholung von Themen“, kritisiert Michael Losch diese Debatte. Für den Sektionschef im Bundesministerium für Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft (BMWFW) ist die Industrie selbst gefragt, sich zu organisieren. Es sei ein Kampf um die Verteilung enger Mittel, dem er als Sektionschef nur ungern gegenüberstehen möchte. Er warnt sogar davor, hier zu viel zu administrieren. „Wir möchten wissen, was von der Industrie erwartet wird, dann können wir auch entsprechend reagieren“, so Losch. Öffentliche Mittel wollen wohlüberlegt aufbereitet und den Richtigen zur Verfügung gestellt werden. „Wir wollen niemandem etwas wegnehmen“, so der Sektionschef. Immerhin eine Milliarde Euro habe man seit 2004 investiert und heuer soll auch die 240-Millionen-Euro-Latte geknackt werden. „Wir sind gut dabei“, rechtfertigt sich auch BMVIT-Sektionschef Reichhardt.

Lesen Sie weiter auf Seite 2: Warum für den Fraunhofer-Chef Wilfried Sihn gerade die zwei stärksten Programme der FFG ad absurdum sind.

Ein Engpass an öffentlichen Mitteln? Fehlanzeige. Nur die Verteilung ist der Knack- punkt. Ein Thema, das besonders Margit Haas, Programmleiterin bei der österreichischen Forschungsförderungsgesellschaft (FFG), betrifft. Die Frau mit den lockigen blonden Haaren hat eine gewichtige Rolle im Bühnenstück Industrie 4.0. Ist es doch die FFG, die über das „Live or Die“ von Forschungsprojekten entscheidet. Ausgerechnet von Wilfried Sihn fängt sie sich die erste Breitseite. Für den Fraunhofer-Chef sind gerade die zwei stärksten Programme der FFG ad absurdum. So gibt es auf der einen Seite das Programm „Produktion der Zukunft“, auf der anderen Seite das Programm „IKT“. Zwei Richtungen, die unter dem Deckmantel Industrie 4.0 längst zusammengehören. „Und Unternehmen, die beides erfüllen, sind die ersten Abschusskandidaten, wenn sie sich um Förderungen bemühen“, kritisiert Sihn. Für ihn gehören ganz klar interdisziplinäre Anträge gefördert. Dem hält die Förderungsfrau entgegen und bekräftigt ganz klar die Ziele hinter einem FFG-Forschungsantrag. „Ressourceneffizienz, Flexibilisierung der Produktion und die Herstellung hochwertiger Produkte stehen vor allem anderen.“ Sie versichert, dass kein Projekt je herausgefallen wäre, nur weil es eine Schnittstelle zwischen den Programmen gebildet hat.

Pilotfabrik soll den 4.0-Nebel lichten.

Claus Zeppelzauer trägt eher den Zuhörerpart am Round Table. Doch nach der Debatte um die Förderverteilung liegt ihm doch etwas auf dem Herzen. Dem Bereichsleiter Unternehmen & Technologie der Wirtschaftsförderungsagentur ecoplus in Niederösterreich ist eines noch unklar: „Bei all den Initiativen und Optionen zu Industrie 4.0, was kommt da wirklich beim durchschnittlichen Klein- betrieb an?“ Ihm fehlt immer noch der richtige Zugang zu der Debatte. Auch für Josef Kranawetter, Geschäftsführer von Weidmüller Österreich, ist klar, dass sich hier etwas an den Kommunikationsebenen ändern muss. „Alle sollten daran teilhaben können, nicht nur die Big Player“, so Kranawetter. Das kann Fraunhofer-Chef Sihn nur bestä- tigen. Tagtäglich werde ihm die Frage von KMUs gestellt. „Sie wollen ja was tun, wissen aber nicht, wie oder was. Alles eben noch zu viel zu ‚fuzzy’“, so Sihn. Sektionschef Reichhardt hat da einen wichtigen Schritt gesetzt. Mit einer Pilotfabrik will er KMUs helfen, diesen Weg zu beschreiten.

Die Pilotfabrik, an deren Errichtung sich Infrastrukturministerium und TU Wien mit je zwei Millionen Euro beteiligt haben, ist ein realitätsnahes Modell einer Fabrik. Eine quasi Laborsituation mit realen Maschinen und Abläufen. „Dort kann ohne Störung an einer laufenden Produktion entwickelt und getestet werden“, so Reichhardt. Unterscheiden soll sich die österreichische Variante vom deutschen Vorgängermodell in erster Linie durch ihre Schwerpunkte. Finanziert durch ein Freihandvergabe-Verfahren, das auch durchaus für Kritik gesorgt hat, öffnet Österreichs erste Pilotfabrik 2015 in der Nähe von Wien ihre Tore. Reichhardt kündigt schon die nächsten Modelle an, nur dieses Mal „ausgeschrieben und mit Themenschwerpunkten dazu“, versichert der Sektionschef.

Lesen Sie weiter auf Seite 3: Wie Industrie 4.0 zum Scheideweg für die heimische Standortpolitik wird.

In einem sind sich alle Diskutanten einig: Hinter Industrie 4.0 steht das großes Credo, die Produktion und damit Wertschöpfung in Österreich zu halten. Für AT&S-Technikvorstand Moitzi ist aber eines klar: Wenn intelligente Systeme Einzug halten und damit Outsourcing gestoppt wird, braucht es auch die entsprechenden Rahmenbedingungen dazu. Starre Arbeitsmodelle sind dem Technikvorstand schon lange ein Dorn im Auge. „Ein Mitarbeiter arbeitet nicht mehr acht Stunden am Tag, er arbeitet nach Bedarf“, so Moitzi. Er will hier zum Angsthemmer werden. „Das heißt nicht, dass Menschen mehr arbeiten müssen, sondern einfach anders.“ So beliefert er sein neues Werk in China längst mit Fabrikaten aus Leoben, „weil sich hier hochautomatisierte Möglichkeiten auftun, die es dort nicht gibt“. Auch Günter Rübig sieht Industrie 4.0 geradezu prädestiniert, um in die Standortfrage Schub reinzubringen. „Volkswirtschaftlich lässt sich hier gewaltig was tun“, so Rübig. Er geht sogar so weit, zu behaupten, Industrie 4.0 könne bereits ausgelagerte Produktionen wieder zurückholen.

Sektionschef Losch will das auch politisch unterstützen, ist aber vorsichtig. Seine Standortstrategie, fokussiert auf Leitbetriebe. „Betriebe die ihre primäre Wertschöpfung in Österreich haben“, so Losch. „Also keine verlängerte Werkbank. Entscheidungszentren müssen in Österreich liegen.“ Losch will dafür Sorge tragen, dass heimische Steuergelder auch hier zum Einsatz kommen und sich damit nicht internationale Konzerne bereichern, die nur den Investor in der Alpenrepublik sitzen haben. Das unterstützt Forschungsförderungsfrau Margit Haas vollkommen: „F&E-Aktivitäten müssen in Österreich bleiben.“ Sie mahnt dennoch vor allzu großer Scheu. „China wäre auf vorwettbewerblicher Ebene ein idealer Forschungspartner“, so Haas.

Das heimische Know-how will geschützt werden.

Dass Intellectual-Property (IP)-Rechte längst das Öl des 21. Jahrhunderts sind, weiß auch Moitzi. Er hat mittlerweile eine eigene Abteilung bei AT&S, die sich nur damit beschäftigt, das geistige Eigentum der Steirer zu schützen. Auch das Bundesministerium habe vor zwei Monaten eine eigene Initiative zum Thema IP gestartet, verweist Losch auf die Dringlichkeit dieses Themas. Drei Arbeitsgruppen sollen bis zum Herbst nächsten Jahres eine eigene bundesweite IP-Strategie entwickelt haben.

Auf die Frage, worüber in fünf Jahren diskutiert werden wird, gab es von den Sektionschefs Losch und Reichhardt eine fast idente Antwort. Beide hoffen, dass die heimische Wertschöpfungskette sich verlängert und die Technologieexporte steigen. Für Unternehmer wie Weidmüller-Chef Kranawetter und AT&S-Vorstand Moitzi wird sich sehr viel auf der Kommunikationsebene verändern. „Die Angst wird abnehmen und wir werden auf einem ganz anderen Niveau als heute diskutieren“, so Moitzi. Für Spartenobmann Rübig stellt sich in fünf Jahren die derzeit heißeste Frage: „Wie viel Produktion konnten wir tatsächlich halten und wie viel konnten wir vielleicht sogar zurückgewinnen. Elisabeth Biedermann