Robotik : Cobots: Schneller als die Normung

Cobot ZKW
© ZKW

Sie schweißen, lackieren, schrauben – Industrieroboter sind mittlerweile in vielen Produktionshallen zu finden. Relativ neu ist allerdings, dass sich so mancher von ihnen nicht mehr hinter Schutzzäunen, -wänden oder Lichtgittern befindet, sondern Seite an Seite mit einem Menschen arbeitet.

„Aktuell sind etwa ein bis zwei Prozent aller Roboter weltweit Cobots, Tendenz steigend“, sagt Roland Sommer, Geschäftsführer der Plattform Industrie 4.0. Denn die Kombination aus Mensch und kollaborierendem Roboter hätte Potenzial. „Roboter sind gut bei monotonen, ständig wiederkehrenden Arbeiten. Menschen wiederum sind besser für unterschiedliche Tätigkeiten geeignet. Kooperieren beide, kann die Effizienz deutlich gesteigert werden“, erklärt Sommer.

Das zeigt sich etwa beim Autozulieferer ZKW, der seit kurzem bei der Montage von Scheinwerfer-Lichtleisten auf ein Mensch-Cobot-Team setzt und dadurch den Montageprozess um rund 20 Prozent beschleunigen konnte.

Große Herausforderungen

Die enge Zusammenarbeit zwischen Mensch und Maschine stellt jedoch große Herausforderungen für die Sicherheit des Ersteren dar. Denn Roboter führen Bewegungen mit hoher Energie und über einen großen Bewegungsradius aus. Und, ähnlich wie bei Menschen, ist nicht immer leicht zu erkennen, wann eine Bewegung eingeleitet und wo sie durchgeführt wird.

Das Gefahrenpotenzial für die menschlichen Kollegen ist somit groß. „In der Regel handelt es sich um mechanische Gefährdungen wie Stoßen, Quetschen, Klemmen oder Scheren – und zwar über den gesamten Lebenszyklus des Roboters“, beschreibt Michael Rathmair, Kompetenzgruppe Robotics Evaluation Lab Joanneum Research.

Normen statt verbindlichem Regelwerk

Allerdings: Ein verbindliches Regelwerk, wie mit den Gefahren umzugehen sei, gibt es derzeit noch nicht. Um diese entsprechend zu behandeln, wenden Hersteller oft Normen an, wie zum Beispiel in der Robotik die EN ISO 10218-1 und -2, um die Gefahren zu eliminieren oder auf ein entsprechendes akzeptiertes Restrisiko zu reduzieren.

In dieser Norm gibt es aktuell aber keine definierte Vorgehensweise für kollaborative Roboter und das aus einem ganz bestimmten Grund: „Die Industrie 4.0 ist der Entwicklung der Normen einen Schritt voraus“, sagt Martin Steiner vom TÜV und Mitglied des österreichischen Spiegelkomitees. Komitee-Manager Andreas Feigl von Austrian Standards ergänzt: „Das Thema Robotik läuft im ISO/TC 299 (Technical Comitee) beziehungsweise dem österreichischen Spiegelkomitee K028 ab.“

Europäisch werde es durch das CEN/TC 310 gespiegelt, wobei hier nur ISO Normen vorhanden seien. „Eine reine EN oder ÖNORM gibt es hierzu nicht“, sagt Feigl. Das allerdings soll sich bald ändern: „Zukünftig wird Robotik im neuen Komitee ‚Smart Manufacturing‘, das voraussichtlich im Herbst gegründet wird, seinen Platz finden“, so Feigl.

Zwei Säulen für die Kollaborativen

Verbindliche Normen rein zur kollaborativen Robotik gibt es ebenfalls noch nicht. „Man beruft sich einerseits auf die ISO 10218, die sich hauptsächlich auf Industrieroboter bezieht“, erklären Steiner und Rathmair. Sie beschreibt unter anderem, wie Roboter auszusehen haben und wie eine klassische Industrieroboteranlage umgesetzt werden muss.

Die zweite Säule bei der Planung und Umsetzung einer kollaborativen Anlage/Anwendung ist die ISO/TS 15066:2016, in dieser werden unter anderem die biomechanischen Grenzwerte festgelegt, welche für einen MRK-Arbeitsplatz einzuhalten sind.

Im aktuellen Entwurf der überarbeiteten Norm werden deren Inhalte eingearbeitet und legen so einen wesentlichen Grundstein für zukünftige MRK-Konzepte. Aktuell sei diese jedoch weder verbindlich, noch eine Norm, so die beiden. „Vielmehr handelt es sich dabei um eine Technical Specification (TS), also ein Dokument, in dem Verfahren und Anforderungen festgehalten sind, die jedoch noch nicht von einem Normungskomitee bearbeitet und anerkannt wurden“, sagt Steiner.

Vier Arten des Betriebs

Sie unterscheidet vier Arten des kollaborierenden Betriebs: Der „sicherheitsbewertete überwachte Halt“, der den Roboter für die Interaktion mit dem Menschen stoppt. „Bei der „Handführung“ wird der Roboter bei reduzierter Geschwindigkeit bewusst von Hand geführt“, erklärt Steiner. Bei der „Leistungs- und Kraftbegrenzung“ wiederum wird der im Kontaktfall zum Menschen übertragene Energieeintrag unter eine biomechanische Belastungsgrenze gesenkt, bei der keine Gefährdungen oder Verletzungen zu erwarten sind.

Die „Geschwindigkeits- und Abstandsüberwachung“ hingegen zielt den Experten zufolge darauf ab, dass Geschwindigkeit und Wege des Roboters überwacht und abhängig von der Position des Bedieners angepasst werden. Sicherheitsabstände werden dabei permanent überwacht und der Roboter bei Bedarf verlangsamt, gestoppt oder sein Bewegungsspielraum geändert.

„Verlässt beispielsweise der Mensch die Gefahrenzone, arbeitet der Roboter danach wieder mit seiner üblichen Geschwindigkeit“, beschreibt Rathmair.

MR steht über allem

Daneben wird in der ISO/TS der menschliche Körper in Regionen unterteilt, für jede davon wurde ein aus Studien ermittelter Kraft- und Druckgrenzwert, der die Schmerzeintrittsgrenze beschreibt, festgelegt. Über all dem steht, so Steiner und Feigl, die Europäische Maschinen Richtlinie (MR), die als Maschinensicherheitsverordnung (MSV) als gesetzlich verbindlich erklärt wurde und europaweit einheitliche Anforderungen an die Sicherheit und den Gesundheitsschutz stellt.

Neue Norm bis 2022?

Doch auch in Hinblick auf konkrete Normen für Cobots ist eine Änderung in Sicht: Im Herbst 2021, spätestens jedoch im Frühjahr 2022 soll eine neue ISO-Norm, die die Anforderungen zum Einsatz von Cobots im Speziellen berücksichtigt, veröffentlicht werden.

„Die eben erwähnte Technical Specification wird da größtenteils übernommen“, so Steiner. Daneben wird auch das Thema Cybersecurity in der Norm enthalten sein. „Es wird auf die relevanten allgemeinen Normen zum Thema Cybersecurity verwiesen, leider ist eine detaillierte Ausarbeitung der Anforderungen im Robotikkontext nicht enthalten“, bedauert Rathmair.

Wünschenswert wäre weiters, wenn sich das Thema Modifizierbarkeit ebenfalls darin finden würde. „Nachdem eine Anlage in Betrieb genommen wurde, darf man daran im Prinzip ohne erneute Beurteilung der Risiken nichts ändern. Das gilt auch dann, wenn Künstliche Intelligenz durch Veränderung der Maschinenparameter den Prozess optimiert“, bedauert Rathmair.

Hemmschuh für die Flexibilität

Eine Modifikation würde nämlich eine neue Risikobeurteilung erforderlich machen. „Das verhindert die Flexibilität, die Cobots eigentlich bieten würden“, sagt Rathmair. „Absoluten Handlungsbedarf“ sieht er darüber hinaus im Bereich der mobilen Manipulation, die eine Kombination aus einer mobilen Plattform und einem Roboterarm darstellt.

„In den USA gibt es dafür bereits eine Norm“, weiß Rathmair. Auch in Europa ist diese Kombination in vielen Bereichen – von der Produktion bis zur Logistik – zunehmend zu finden. Denn gerade Unternehmen in Hochlohnländern wollen das Potenzial des Mensch-Maschinen-Teams optimal nutzen, um ihre Standorte dort langfristig abzusichern.