Digitalisierung : Alexandra Mazak: Warum Österreich eine digitale Mahnkultur braucht

Alexandra Mazak
© Thomas Topf

Im Auftrag der TU Wien hat Sie Industrie 4.0-Feldforschung entlang der Eisenstraße betrieben, initiierte daraufhin Österreichs ersten modularen Innovationslehrgang für digitale Transformation und ist seit März im Rat für Forschung und Technologieentwicklung. Damit gibt Alexandra Mazak Teil des wichtigsten Rates für Österreichs Förderpolitik. Ein Interview über treibende Kräfte, digitale Schwätzer, eine gläserne Decke und wahre Werte 4.0.

Factory: Frau Mazak, geht es um die Digitalisierung wird gerne mit dem mahnenden Zeigefinger auf Kleine und Mittelständische Unternehmen (KMU) gezeigt. Frau Mazak, Sie haben Industrie 4.0-Feldforschung entlang der Eisenstraße betrieben. Braucht Österreich diese „Wehe wenn nicht“-Mahnkultur wirklich?

Alexandra Mazak: (lacht) Ein bisschen Mahnkultur ist nie schlecht. Für meine Sondierungsstudie „InteGra 4.0“ war ich 12 Monaten in Betrieben unterschiedlichster Ausrichtung entlang der Eisenstraße unterwegs. Habe ihnen mit 145 Fragen rund um das Thema „vertikale und horizontale Schnittstellenintegration“ auf den Zahn gefühlt. Mein Fazit: Es sind nicht alle gleich gut dabei, aber immerhin am Weg. Was es noch braucht, ist mehr Affinität zu Daten (Data Thinking) und das Bewusstsein welchen Wert Daten für das Unternehmen haben. Zudem das Verständnis, dass sich durch die digitale Transformation nicht nur der Arbeitsplatz am Shopfloor drastisch ändern wird, sondern auch Geschäftsmodelle.

Wenn ich mir diese Betriebe so ansehe, fällt es mir schwer zu glauben, dass es Knorr-Bremse, Mondi oder Welser Profile an einer Daten-Affinität mangelt.

Mazak: Das war natürlich keine allgemein gültige Aussage, dafür sind die Branchen, die Unternehmensgrößen zu verschieden. Gerade die von Ihnen erwähnten Unternehmen sind digital gut aufgestellt. Nichtsdestotrotz kämpfen andere immer noch mit heterogenen, veralteten IT-Systemen und wissen nicht, wie sie alte Maschinenparks ans Netz bringen. Verzweifeln an zu wenig „sensorisierten“ Anlagen, da diese oft nur schwer nachrüstbar sind und damit keine Daten generieren. Diese Dinge sind der Tod einer digitalen Transformation, die nach Datendurchgängigkeit vom Shopfloor bis in die betriebswirtschaftliche Ebene verlangt.

Der Blickwinkel einer Informatikerin…

Mazak: …die um die Not der Unternehmen weiß, wenn es darum geht Business IT und Produktions IT miteinander zu verschmelzen. Das war auch eine Conclusio dieser Sondierungsstudie. Daraus ergab sich die Frage: Welche Tools, Methoden und Techniken gibt man KMUs in die Hand, damit sie diese Lücke schließen können?

Die Geburtsstunde von „DigiTrans 4.0“.

Mazak: Richtig. Die Digitalisierung verlangt, unter anderem, nach gelebter Interdisziplinarität. Diesen Lehrgang als Institut an der Fakultät für Informatik alleine zu stemmen hätte keinen Sinn gemacht. Wir brauchten und wollten den Maschinenbau. Für die TU Wien Neuland, denn einen fakultätsübergreifenden Lehrgang in dieser Art gab es bis dato noch nicht.

Wie war die Zusammenarbeit mit den Maschinenbauern? Es heißt ja immer zwei Welten, zwei Sprachen, kein Verständnis.

Mazak: Überraschenderweise sehr gut. Es war ein tolles Miteinander und beide Seiten haben sich sehr gut eingebracht.

Aber bastelt der Maschinenbau nicht gerne an seinen eigenen Softwarekonzepten. Wozu also die Informatik?

Mazak: Gegenfrage: Wozu das Rad immer neu erfinden. Die Informatik hat viele Dinge, die der Maschinenbau einsetzen bzw. weiterentwickeln könnte. Eine engere Verzahnung kann also nur in einer Win-Win-Situation für beide enden. Natürlich gibt es noch den ein oder anderen „Querulanten“ auf beiden Seiten, aber das ist eher die Ausnahme.

Es gab sechs Lehrgangsmodule, dabei stach mir das Modul „Gender und Arbeitsplatz 4.0“ besonders ins Auge. War das ein Weichmacher um die hochtechnologischen Themen zu entschärfen?

Mazak: Definitiv nein. Die digitale Transformation ist nicht nur rein technisch zu sehen, sondern ist vor allem eine strategische und organisatorische Herausforderung. Dabei ist die Auseinandersetzung mit den Faktor Mensch in der Produktion der Zukunft unerlässlich. Erfolgreiche Unternehmen haben eine gute Kenntnis der im Unternehmen Beschäftigten, ihrer Bedürfnisse und Potentiale.

Apropos „Gender“, es gab nur männliche Absolventen. Was sagt Ihnen das?

Mazak: Dass diese Positionen in Unternehmen sehr prominent mit Männern besetzt sind. Was schade ist. Ich würde mir mehr Frauen wünschen.

Wie erklären Sie sich diesen Mangel an Frauen?

Mazak: Schwierig zu sagen. Es ist ein Kampf an zwei Fronten. Einerseits gibt es zu wenig weibliches Angebot und andererseits werden leider oft immer noch Männer für gewisse Jobs bevorzugt. Der Hochtechnologiebereich ist eine Männerdomäne, erst im Bereich Entrepreneurship oder in beratender Funktion finden sich wieder vermehrt Frauen.

Hatten Sie persönlich schon Erfahrung mit der „gläsernen Decke“?

Mazak: Ja. Ich denke jede Frau, die in Männerdomänen unterwegs ist, wird früher oder später damit in Berührung kommen. Dies liegt aber nicht nur an unseren männlichen Kollegen, das kann auch strukturelle Gründe haben.

Strukturelle Gründe?

Mazak: Wer „drittmittelfinanziert“ ist, muss sich schon während eines laufenden Projektes Gedanken um den nächsten Schritt machen. Verständlich aus Sicht der Fördergeber, aber aus Sicht der Fördernehmer recht aufwendig. Mich persönlich traf auch die sogenannte Kettenvertragsregelung.

Eigentlich ein Schutz für Arbeitnehmer vor prekären Arbeitsbedingungen.

Mazak: Ein leidiger Schutz, zumindest im Wissenschaftsbereich. Dort bewirkt es genau das Gegenteil. Mit dieser Regelung müssen Sie als Wissenschaftler nach Ablauf des Vertrags ein Jahr eventuell an einer anderen Forschungseinrichtung oder mit Arbeitslosigkeit überbrücken, um danach aufs Neue befristete Anstellungsverhältnisse einzugehen. Das verringert, meiner Meinung nach, die Kontinuität von gut laufenden Forschungsprojekten.

Und frustriert auch in gewisser Weise, nehme ich an.

Mazak: Richtig. Ein geeignetes Laufbahnmodell wäre wünschenswert, aber das ginge nun zu tief in die universitäre Personalpolitik.

Kurz nach DigiTrans kam das Angebot des Rats für Forschung und Technologieentwicklung. Ein Befreiungsschlag?

Mazak: Einen Befreiungsschlag würde ich es nicht nennen, denn die Entscheidung fiel mir nicht leicht, schließlich hängt sehr viel Herzblut in allen Forschungsprojekten. Nicht zuletzt habe ich beim Aufbau des Christian Doppler Labors für modellintegrierte intelligente Produktion (CDL-MINT) mitgewirkt und ein Modul geleitet. Aber mich mehr auf strategische Themen zu konzentrieren, mehr politisch zu engagieren, reizt mich sehr. Ich will vor allem forschungsstrategische Themen vorantreiben.

Mit Mitgliedern wie dem ehemaligen Politiker Hannes Androsch, Infineon-Vorständin Sabine Herlitschka, Humangenetiker Markus Hengstschläger – dürfte das auch gelingen.

Mazak: Davon bin ich überzeugt.

Ziel des Rates ist es Österreich zum Innovationsführer zu machen. Jetzt gibt es diesen Rat seit 19 Jahren und dennoch stagniert Österreich im digitalen Mittelfeld. Wie erklären Sie sich das?

Mazak: Dem European Innovation Scoreboard (EIS) zufolge befindet sich Österreich in der Guppe der Strong Innovators. Damit ist Österreich an derselben Position wie vor 9 Jahren. Hier muss man differenzieren. Die Investitionen, der Input, hat sich in den letzten Jahrzehnten kontinuierlich gut entwickelt. Das Problem liegt im Output, wir sind nicht in der Lage, die gute Ausgangsposition für eine gesteigerte Wettbewerbsfähigkeit zu nutzen.

Wo versandet das?

Mazak: Wir entwickeln viele spannende Initiativen. Zuerst war es Industrie 4.0, dann war es die Digitalisierung, jetzt ist es Robotik & Künstliche Intelligenz (KI). Es reicht aber nicht, darüber zu diskutieren, was uns fehlt, ist die Implementierung. Wir müssen uns von der bloßen Einrichtung von Interessensgemeinschaften und Arbeitskreisen emanzipieren und das Tun in den Vordergrund stellen. Ein Beispiel ist auch die Forschungsprämie. Ironischerweise wissen immer noch wenige KMUs, dass es z.B. eine Forschungsprämie für geleistete Entwicklungskosten gibt. Eine indirekte Förderung, die es seit vielen Jahren gibt und im Nachhinein in Form einer Steuergutschrift geltend gemacht werden kann.

Und dennoch sitzen Sie nun in einer dieser Interessensgemeinschaften.

Mazak: Nicht dennoch, sondern genau deswegen. Deshalb will ich an den zielgerichteten strategischen Empfehlungen für die Forschungs- und Technologiepolitik mitarbeiten und dazu ein entsprechendes Monitoring erarbeiten, gemeinsam im Team der Geschäftsstelle des Rates.

Sie meinten einmal das Forschungsverhalten der Industrie habe sich verändert.

Mazak: Früher mussten Universitäten Themen ausschreiben und auf Unternehmenssuche gehen. Heute weiß die Industrie ziemlich genau, in welche Bereiche sie gehen möchte und dafür suchen sie personaltechnische Ressourcen - unter anderem an den Hochschulen.

Das kommt aber sehr auf die Größe des Unternehmens an. Viele KMUs fühlen sich nach wie vor beim Thema Digitalisierung überfordert.

Mazak: Da haben Sie wahrscheinlich recht. Ich kann mich nur auf meine Sondierungsstudie stützen und zumindest entlang der Eisenstraße war die Nachfrage nach Diplomarbeiten für bereits festgelegte 4.0-Themen irrsinnig groß.

Ist nicht gerade das ein Verständnisproblem der Unternehmen, dass sie die Digitalisierung als einen Use Case betrachten, den sie z.B. anhand einer Diplomarbeit abhandeln können?

Mazak: Ich denke schon, dass Unternehmen verstanden haben, dass die Digitalisierung weiter greift. Es ist vor allem ein strategisches und organisationstechnisches Thema. Die Mitarbeiterführung und, vor allem, -begeisterung wird immer wichtiger. Hier sollte es entsprechende Lehrgänge geben.

Apropos Lehrgänge: Was kommt nach DigitTrans?

Mazak: DigiTrans 4.0 wird als Pilot an der TU Wien verwendet, um weitere Lehrgänge auf Businessebene zu initiieren. Aber was mich am meisten freut, ist das rege Netzwerk, das zwischen den Absolventen entstanden ist. Hier herrscht immer noch ein reger Austausch über Unternehmens- und Branchengrenzen hinweg. Eine gelebte Interdisziplinarität, die für mich das Backbone der digitalen Transformation bildet.

Vielen Dank für das Gespräch! Das Gespräch führte Elisabeth Biedermann.

[Bild:5]

Was ist DigiTrans 4.0?

Was: Österreichs erster modularer Innovationslehrgang für Unternehmen zur Digitalen Transformation in der Produktentwicklung und Produktion

Wer: TU Wien, Institute of Information Systems Engineering, Business Informatics Group, Automation Systems Group, Institut für Konstruktionswissenschaften, Institut für Fertigungstechnik und Photonische Technologien, Abteilung Genderkompetenz der TU Wien

Gefördert durch: Bundesministeriums für Digitalisierung und Wirtschaftsstandort (BMDW) und österreichische Forschungsförderungsgesellschaft (FFG)

6 Lehrgangsmodule: Product Lifecycle Management, Modelle und Methoden zur digitalen Transformation, Industrielle Kommunikation und automatisierte Fertigungssysteme, Wertschöpfungsnetzwerke, Integration Engineering und Gender und Arbeitsplatz 4.0

Teilnehmende Unternehmen: ABF, BRP Rotax, EVVA, etm, voestalpine, Atos, kmt, EVN, proAlpha, LieberLieber, DXC.technology, Siemens, Novomatic, ecosio, boc Group, EclipseSource

Projektlaufzeit: 01. September 2016 bis 30. November 2018

Besonders weil: Dieser Lehrgang fakultätsübergreifend und interdisziplinär abgehalten wurde und durch die große Diversität der teilnehmenden Unternehmen hinsichtlich Größe und Branche.

Das sagen die Teilnehmer:

„DigiTrans 4.0 war für uns ein wichtiger Baustein im Know-how-Aufbau mit direkten Transferprojekten.“ Markus Huber, Head of Group IT/CIO Novomatic Gaming Industries

„Der Lehrgang war für uns ein guter Ideenspender & Ankurbler für neue Ideen und Lösungswege. DigiTrans schaffte mehr Klarheit zur Vorgehensweise und die notwendigen Voraussetzung.“ Anton Stranzinger-Mayrhauser, Manager Smart Factory BRP-Rotax

Was ist der Rat für Forschung und Technologieentwicklung?

Was: Ein industrieunabhängiges Beratungsorgan der österreichischen Bundesregierung

Gründung: 2000

Organe: Ratsversammlung und Geschäftsführung

Wer sitzt im Rat: Hannes Androsch, Markus Hengstschläger, Jakob Edler, Hermann Hauser, Sabine Herlitschka, Helga Nowotny, Sylvia Schwaag-Serger, Klara Sekanina

Funktionsperiode: Ratsmitglieder werden für fünf Jahre ernannt. Das Vorschlagsrecht für jeweils vier Mitglieder teilen sich die Ministerien BMBWF und das BMVIT. Eine einmalige Wiederbestellung ist möglich.

Aufgabe: Beratung, Empfehlungen, strategische Entwicklungen rund um das Thema Forschung und Technologieentwicklung in Österreich. Speziell durch die Empfehlung von Programmen hat sich der Rat zu einem Key Player in der Forschungspolitik entwickelt. Seine Empfehlungen werden zunehmend auch als Grundlage für Entscheidungen von Fördereinrichtungen verwendet.

Auch interessant: Seit 2010 erarbeitet der Rat im Auftrag des Ministerrats einen Bericht zur wissenschaftlichen und technologischen Leistungsfähigkeit Österreichs, der jährlich mit 1. Juni an den Nationalrat übermittelt wird und die Innovationsperformance unseres Landes analysiert sowie mit derjenigen der führenden Länder in Europa vergleicht.