Ausbildung : Additive Fertigung: Wenige Fachkräfte trotz guter Aussichten

Digital Academy Voestalpine
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Wolfgang Humml, einer der beiden Geschäftsführer der Vorarlberger 1zu1 Prototypen GmbH, ist irritiert. „Wir suchen aktuell je vier Lehrlinge im Bereich Zerspanungs- sowie Kunststofftechnik – aber heuer sind sie noch schwieriger zu finden als in anderen Jahren“, erzählt Humml. Die Förderung junger Fachkräfte ist bei dem High-tech-Unternehmen seit Jahren Programm.

Nach der Grundausbildung geht es ab dem zweiten Lehrjahr im Rotationsprinzip weiter in die einzelnen Abteilungen, wo die künftigen Fachkräfte sämtliche Techniken – vom 3D-Druck über Kunststoff-Vakuum- und Spritzguss bis zur mechanischen Fertigung mit CNC-Technik – kennenlernen. „Seit 1997 haben wir knapp 100 jungen Menschen beste Zukunftschancen durch eine fundierte Ausbildung ermöglicht.

Etwa die Hälfte der Lehrlinge schließt mit gutem oder sehr gutem Erfolg ab“, ist Humml stolz. Aktuell bildet das Unternehmen 27 Lehrlinge aus, die von 25 Mitarbeitern mit Lehrausbilderprüfung unterstützt werden. Um ihnen optimale Rahmenbedingungen zu bieten, hat 1zu1 rund 300.000 Euro in eine neue Lehrwerkstättte investiert, die kürzlich eröffnet wurde. Je drei moderne Fräs- und Drehmaschinen stehen den Lehrlingen hier zur Verfügung, die Schulung an der CNC-Anlage erfolgt – möglichst praxisnah – direkt in der Produktion.

Dass die Vorarlberger, die derzeit rund 150 Mitarbeiter beschäftigen, den Nachwuchs seit mehr als 20 Jahren selbst ausbilden, hat einen ganz einfachen Grund: „Experten für Additive Fertigung kriegt man nicht einfach am Arbeitsmarkt“, sagt Humml. Mit der hausinternen Ausbildung kann aber zumindest die Hälfte des Fachkräftebedarfs gedeckt werden. „Anders hätten wir unser Wachstum nicht geschafft“, ist Humml überzeugt. Der Rest werde durch Fachkräfte aus anderen Bereichen abgedeckt, die von 1zu1 entsprechend eingeschult und weitergebildet werden. „Das dauert in der Regel ein bis zwei Jahre. Bei HTL-Absolventen aus dem Bereich Kunststoff geht es meist schneller, da reden wir von rund sechs Monaten“, erzählt der 1zu1-Chef.

Digitalisierung in der Lehre

Auch die Voestalpine legt bereits im Lehrbetrieb einen Schwerpunkt auf die Erfordernisse einer zunehmend digitalisierten Arbeitswelt. Am Standort Kapfenberg, wo aktuell rund 260 Jugendliche in zehn Berufen eine Lehre absolvieren, sind daher neben einem neuen Elektrotechnik- und Automatisierungslabor auch ein 3D-Drucker und ein eigener Schulungsroboter fixer Bestandteil der Ausbildung. Doch auch Entscheidungsträger und Prozessverantwortliche werden digital fit gemacht: Etwa in der „Digital Academy“ der neu gegründeten „Voestalpine High Performance Metals Digital Solutions GmbH“, in der diese zu Digitalisierungsbotschaftern ausbildet werden.

„Die meisten Unternehmen in Österreich haben bisher das Thema Aus- und Weiterbildung im Bereich Additive Fertigung beziehungsweise 3D-Druck mit learning by doing gelöst“, weiß auch Jürgen Stampfl, Leiter des Forschungsbereiches Additive Fertigung am Institut für Werkstoffwissenschaft und Werkstofftechnologie der TU Wien und Mitgründer sowie Geschäftsführer von des Start-ups Cubicure, das sich auf die Herstellung von Hochleistungs-Photopolymeren für die industrielle Additive Fertigung spezialisiert hat.

Aziz Huskic, Professor für Produktions- und Umformtechnik und Leiter des Fachbereichs Produktionstechnik am FH OÖ Campus Wels, sieht das mit einer gewissen Skepsis. Schließlich seien die Prozesse nicht so einfach, wie 3D-Anlagenhersteller es versprechen würden. „Man muss über Werkstoffe, Parameter, Prozesse und Konstruktion Bescheid wissen“, sagt der FH-Professor. Mit der Learning-by-doing-Methode werde es daher höchstwahrscheinlich länger dauern, zum Ziel zu kommen. „In den Unternehmen fehlt häufig die Erfahrung“, glaubt Huskic.

Angebote auf allen Ebenen

Um diese zu vertiefen, sind im Laufe der Jahre verschiedene Aus- und Weiterbildungsangebote auf allen Ebenen auf den Markt gekommen. Workshops, Kurse beziehungsweise Lehrgänge zum Thema Additive Fertigung/3D-Druck gibt es beispielsweise an den Wifis Salzburg und Niederösterreich. An letzterem wird seit Februar 2021 in Zusammenarbeit mit Fotec, dem Forschungsunternehmen der FH Wiener Neustadt und der New Design University, auch ein einsemestriger Lehrgang zum Erwerb einer individuellen Befähigung (früher: eingeschränkte Gewerbeberechtigung) angeboten. „Zielgruppe sind Personen, die sich als Dienstleister in diesem Bereich selbständig machen wollen“, erzählt Harald Bleier, Technology Evangelist bei der niederösterreichischen Wirtschaftsagentur ecoplus.

Auch Fachhochschulen und Universitäten sind schon längst auf diesen Zug aufgesprungen: Bereits seit Jahren ist etwa an der FH Wiener Neustadt das Thema „Additive Fertigung“ fester Bestandteil in den Studiengängen Wirtschaftsingenieur und Mechatronik. Im Master-Studiengang Mechatronik gibt es dafür auch eine eigene Vertiefungsmöglichkeit. „Das Besondere ist sicher die enge Kooperation mit dem eigenen Forschungsunternehmen Fotec, wo ein hochwertiges State-of-the-art-Forschungslabor zur Verfügung steht“, sagt Ingo Feinerer, der die Fakultät Technik an der FHWN leitet.

Studierende könnten im Zuge dessen ihre Masterarbeiten im Rahmen von F&E-Projekten der Fotec verfassen. An der FH OÖ Campus Wels sind Additive Fertigung, Industrie 4.0 und kollaborative Robotik nicht nur in mehreren Studiengängen als Schwerpunkte integriert. „Wir bieten für Unternehmer und Fachkräfte wie Produktionsverantwortliche, Produktentwickler, Technische Leiter, Konstrukteure, Fertigungstechniker oder Projektmanager in produzierenden Unternehmen eigene Weiterbildungsseminare zum Thema 3D-Druck mit Abschluss-Zertifikat an“, erzählt Huskic.

Dabei wird die gesamte Prozesskette von Datenaufbereitung über die Baujobvorbereitung und Nacharbeit der gefertigten Bauteile sowohl theoretisch als auch praktisch an unterschiedlichen Anlagen gelehrt und gemeinsam durchgeführt. Auch das Außeninstitut der Montanuniversität Leoben greift Unternehmen und deren Mitarbeitern ausbildungsmäßig unter die Arme: Gemeinsam mit österreichischen Forschungspartnern und gefördert von der Forschungsförderungsgesellschaft wurde mit dem sechs Monate dauernden Qualifizierungsprojekt „addmanu knowledge“ eine zertifizierte und berufsbegleitende Weiterbildung initiiert.

Ein erster Pilotdurchgang ist bereits abgeschlossen, der zweite Lehrgang startet im Herbst. „Wichtiges Ausbildungsziel ist die Integration von Fragestellungen der Unternehmen, um so direkt das erlernte Wissen wieder in den Arbeitsprozess einzubringen“, beschreibt Brigitte Kriszt, an der Montanuniversität für das Projekt verantwortlich.

Wichtige Vernetzung

Additive Fertigung spiele in der produzierenden Industrie eine immer größere Rolle, ist sie überzeugt. „Daneben ist eine lebendige Gründerszene entstanden, die schon in der Lage ist, neue Arbeitsplätze zu schaffen“, weiß Kriszt. Gerade im Bereich der industriellen Anwendungen gäbe es eine hohe Anzahl an Verfahren und Anwendungen, die den spezifischen Anforderungen der Additiven Fertigung geschuldet sei. „Da viele Techniken in diesem Bereich sehr neu sind, ist das Vernetzen der einzelnen Unternehmen und wissenschaftlichen Partner sehr wichtig“, betont Kriszt.

Die Herausforderung bei all diesen Aus- und Weiterbildungsangeboten sei, dass die Additive Fertigung ein extrem breit gestreutes Feld ist, sagt Stampfl, auch Beirat von Additive Manufacturing Austria. Ähnlich sieht das Wolfgang Humml: „An den Wifis und Fachhochschulen bekommt man eine gewisse Grundausbildung. Aber nicht die Spezialisierung, die in den Unternehmen gebraucht wird“.

Design als Flaschenhals

Eine Frage sei daher Stampfl zufolge, wie die unterschiedlichen neuen Anforderungen in den Ausbildungen abgedeckt würden. „Man braucht ein tiefes Verständnis für diese Technologie“, meint auch Humml. Beim Kunststoff-3D-Druck gäbe es mehr als 100 Parameter, die über gut oder schlecht entscheiden würden. Man brauche Mitarbeiter, die gut am Computer, im Prozess und im Handwerk seien. Enormes Know-how ist nach Ansicht der Experten besonders im Bereich Design/Konstruktion gefragt.

„Mit 3D-Druck kann man Formen völlig neu denken und Bauteile optimiert in einem drucken“, sagt Bleier. Konstrukteure würden allerdings häufig eher konservativ denken. „Es ist wichtig, die sich uns bietende Designfreiheit zu nutzen und Vertrauen zu haben, klassische Wege zu verlassen“, fordert Stampfl. Komplexe Geometrien, in die viele Funktionen hineingepackt seien, zu entwickeln und zu validieren, ob die gestellten Anforderungen erfüllt seien, sei enorm wichtig, so Stampfl, der das Design inklusive der dafür notwendigen Datenaufbereitung als „Flaschenhals der additiven Fertigung“ bezeichnet.

Keine Entspannung in Sicht

Doch es gibt noch einen anderen Punkt der den Siegeszug der Additiven Fertigung bremsen könnte: das Vorhandensein von Fachkräften. „Der Bedarf steigt und steigt. Eine Entspannung ist nicht in Sicht“, sagt Kriszt. Auch Harald Bleier ist davon überzeugt, dass es die Additive Fertigung nur dann in die Breite schaffen werde, wenn sich künftig mehr junge Menschen für eine derartige Ausbildung interessieren. Dafür sei es wichtig, die Digitalisierung beziehungsweise Technik auch in Gymnasien, Mittelschulen und Handelsakademien zum Thema zu machen, fordert Stampfl.

Dann würden vermutlich auch mehr junge Mädchen, die häufig Gymnasien besuchen, einen technischen Beruf ergreifen. Noch dazu einen mit, so der einhellige Tenor, guten Aussichten. Oder, wie Bleier sagt: „Es wird dauern, bis ein Facharbeiter für 3D-Druck beim AMS landet – wenn das überhaupt der Fall sein wird.“ Angesichts dieser Zukunft ist 1zu1-Geschäftsführer Wolfgang Humml optimistisch, seine offenen Lehrstellen doch besetzen zu können – „bis jetzt haben wir das immer geschafft“.