Komplettbearbeitung : Weingärtner Maschinenbau baut größtes Dreh- und Fräszentrum der Geschichte

Weingärtner mpmc 2000
© Factory / Elisabeth Biedermann

Ganz hinten in der zweiten Montagehalle wartet das Superlativ.

Capriblau glänzt das riesige Fünf-Achs-Komplettbearbeitungszentrum in den Sonnenstrahlen, die durch die Fenster im Hallendach scheinen. Satte 21,5 Meter Länge misst die mpmc 2000 von Weingärtner. Ein gigantisches Dreh- und Fräszentrum, das die Traunviertler Maschinenbauer in Rekordzeit für einen großen amerikanischen Energiekonzern gefertigt haben. „Eine völlig neue Dimension“, versichert Klaus Geissler, Vertriebsleiter von Weingärtner. Und behält Recht damit – denn mit einem Drehdurchmesser von zwei Metern können hier 60-Tonnen- Bauteile bearbeitet werden.

Österreichische Ingenieurskunst.

Für Factory war am 24. Juli der letztmögliche Besichtigungstermin des gigantischen Bearbeitungszentrums (BAZ). Schon am Tag darauf begannen die Mitarbeiter mit der Demontage und Verpackung. In einem Zeitraum von drei Wochen verließen 13 vollbeladene Sattelzüge die Hallen der Traunviertler. Allein das Basisteil, also das Maschinenbett mit ein paar Fixkomponenten, wog dabei 110 Tonnen. „Das ist die Grenze für die Straße, schwerer ging es nicht mehr“, so Geissler. Ende August gingen

dann die einzelnen Bauteile zum Auftraggeber in die USA.

USP von Weingärtner sorgte für Auftrag.

Der Kickoff für das Megaprojekt erfolgte bereits auf der EMO 2013 in Hannover. Ein amerikanischer Energiekonzern interessierte sich für die Komplettbearbeitungstechnologie der Traunviertler. Warum? Weil Weingärtner es mit einem neuartigen Konzept geschafft hat, die Temperaturausdehnung der Maschinenkomponenten während der Bearbeitung zu beherrschen. Ein USP, das die Amerikaner für ihren Auftrag – ein BAZ für Gas-Großturbinen- unbedingt brauchten. Die größte Herausforderung dabei erklärt Geissler wie folgt: „Der Auftrag gestaltete sich als ein sehr verkettetes Projekt, denn der Kunde wollte mit unserem BAZ einen Turbinen-Prototypen fertigen, den er wiederum für seine eigene Entwicklungs- und Testphase verwenden konnte.“ Deadline für den Prototypen: Ende Juli 2015. Eigentlich ein Zeitplan der Unmöglichkeit, nicht so für die gewieften Traunviertler. Mit Jahreswechsel 2014 begannen die Arbeiten im Rekordtakt.

Bearbeitung eines Güterwaggons.

Das neue Flaggschiff von Weingärtner hat eine maximale Werkstücktragfähigkeit zwischen Futter und Reitstock von 60 Tonnen, was dem Gewicht eines vollbeladenen Güterwaggons entspricht. Ein XXL-Projekt, das in dieser Form einzigartig ist. Denn dank der eigengefertigten speziellen Lünetten kann das volle Werkstückgewicht ohne Futter beziehungsweise Reitstock getragen werden. „Diese Entwicklung war nötig, um stirnseitige Operationen genauso zu ermöglichen wie alle Arten der Innenbearbeitung“, erklärt Geissler. Altbewährte Methoden, wie die selbstentwickelte Hauptspindelgeneration mit Master-Slave-Technologie, welche das spielfreie Positionieren der C-Achse ermöglicht,gehören genauso zum Programm wie der Zahnstangenantrieb mit dem Master-Slave-System an der Z-Achse.

Ein großer Vorteil dabei: Die variable Vorspannung ohne Umkehrspiel. „Durch diese Methoden können wir höchstgenau ohne Umkehr-bzw. Flankenspiel positionieren sowie den mechanischen Verschleiß der Zahnräder durch elektronische Kompensation ausgleichen.“ Auch auf die Punkte Arbeitssicherheit und Ergonomie am Arbeitsplatz legten die Traunviertler viel Wert. Denn trotz Drehteilen von bis zu zwei Metern Durchmesser erhalten die Bediener einwandfreie Einsicht in den Arbeitsraum – automatische Schutztüren inklusive.

Ceratizit als Werkzeugpartner.

Bis zu 120 verschiedene Werkzeugtypen werden von dem Wechselsystem (Kettensystem mit Robotershuttle) vollautomatisch gerüstet. „Die Werkzeuge selbst sind dabei Sonderanfertigungen, die gemeinsam mit dem Kunden entwickelt wurden“, so Geissler. Weil die Traunviertler alle Maschinenbauteile selbst fertigen, war es ein glücklicher Zufall, dass auch der Werkzeuglieferant ein Heimspiel wurde. Das Tiroler Unternehmen Ceratizit stellte sich als bester Werkzeugpartner heraus und konnte die amerikanischen Auftraggeber mit seiner Werkzeugstandzeit und seiner individuellen Entwicklungsstrategie überzeugen.

Jungfernbearbeitung der Superlative.

Nach einer Hochlaufphase von knapp drei Monaten war es dann so weit: Die Bearbeitung des Turbinen-Prototypen stand an. Hier zeigte sich die Ingenieurskunst von Weingärtner in vollem Ausmaß. Mit dem XXL-BAZ spart sich der Kunde fast die Hälfte der konventionellen Bearbeitungszeit für Teile dieser Art. Immerhin ein Teil pro Monat soll das BAZ schaffen. Wie die Traunviertler diese niedrigen Produktionszeiten geschafft haben, verrät Geissler wie folgt: „Zum einen können wir, dank der vollgekapselten Maschine, extra hohe Drücke beim Kühlmittel einsetzen und erzielen damit optimale Schnittwerte bei der Zerspanung.“

Den grundlegenden Vorteil dieser Maschine sieht der Vertriebsleiter jedoch in der Kombination von Drehmaschine und 5-Achs-BAZ. „Wir haben auch das Produktionsverfahren aufgrund der komplexen Werkstücksgeometrie neu überdacht“, erklärt Geissler weiter. Das Ergebnis: Ein völlig neues Bearbeitungskonzept als Turnkey-Solution in enger Zusammenarbeit von Kunde, Werkzeuglieferant und Weingärtner.

60-Tonnen-Bauteil per Luftfracht.

Als Factory dann Ende Juli zu Besuch in Kirchham war, wurde gerade der Werkstück- Prototyp verpackt. Ausnahmsweise geht das 60-Tonnen-Bauteil per Luftfracht in die Vereinigten Staaten. „Sonst wäre sich das vom Zeitplan her nicht mehr ausgegangen“, erklärt Geissler. Das Bearbeitungszentrum selber verließ einige Wochen später die Kirchhamer Produktion. Zum Erscheinungstermin dieser Ausgabe dürften sich gerade 13 Sattelschlepper ihren Weg entlang der Route 66 zu ihrem Endabnehmer bahnen.

Platz für solche Großprojekte hatte man bei Weingärtner schon immer. In weiser Voraussicht haben die Traunviertler vor sieben Jahren ihre Fertigungshallen extra groß gebaut. Klaus Geissler hat dafür eine simple, aber vielsagende Erklärung: „Das wird nicht unser letztes XXL-Komplettbearbeitungszentrum gewesen sein, das wir bauen.“ Elisabeth Biedermann