Leonhard Muigg : Warum die Digitalisierung kein "Use Case" sein darf

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© Siemens AG

Digitalisierung ist für die Industrie zum wichtigsten Strategiethema geworden. Die Diskussionen drehen sich längst nicht mehr darum, ob die digitale Transformation notwendig ist oder ob es sich nur um einen „Hype“ handelt, sondern darum, welche Strategien die erfolgversprechendsten sind. Der Ansatz, die Digitalisierung als Use Case zu behandeln, ist aber definitiv zu kurz gegriffen.

Digitalisierung ist Strategie

So viel steht fest: Die Art und Weise, wie heute Produkte entwickelt und gefertigt werden, wird sich durch die Digitalisierung komplett verändern. Wer sich dieser Tatsache verschließt, läuft Gefahr seine Marktposition zu verlieren. Da bildet auch ein Konzern wie Siemens keine Ausnahme. Das Management erkannte früh die Gefahr zu einem reinen Komponentenlieferanten zu „verkümmern“. Ursprüngliche Kernkompetenzen im Bereich Elektrifizierung und Automatisierung, die jahrelang die führende Marktposition sicherten, drohten durch Computerisierung und Datenvernetzung einfach wegzubrechen. Schon um die Jahrtausendwende nahm Siemens deshalb erste strategische Projekte in Angriff. Damals natürlich noch nicht unter dem Begriff „Digitalisierung“, sondern der „virtuellen Inbetriebnahme“. Bereits ab 2007 investierte Siemens in zukunftsorientierte Technologie, kaufte fast halbjährlich Softwareunternehmen zu und nützte so die Möglichkeiten der Digitalisierung, um die eigene Kernkompetenz zu stärken - teilweise sogar neu zu definieren. Die kürzlich gegründete IoT-Allianz mit Maschinenbauern und anderen Elektrotechnikern zeigt dies nur allzu deutlich. Jeder kennt den Konzern aus dem Bereich der Automatisierung und Elektrifizierung. Aber nur die wenigsten wissen, dass Siemens heute eines der größten IT-Unternehmen im industriellen Umfeld ist. Warum ist das wichtig? Weil es zeigt, dass die digitale Transformation kein reines Technologie-Thema ist. Das ist es eigentlich nur zu einem sehr geringen Prozentsatz. Digitalisierung ist Strategie und Organisation.

Kostenlose Prozessberatung heute leider gang und gäbe

Wie setzt man also Digitalisierung um? Meiner Meinung nach muss sich jedes Unternehmen eine passende Strategie erarbeiten. Wie breit diese aufgesetzt wird, hängt ganz stark von der Zielsetzung ab. Achtung! Die Digitalisierung ist kein Selbstzweck. Eifrige Datensammler kreieren nur Datenfriedhöfe, denn sie schaffen keine smarten Daten. Wichtig ist, dass Unternehmen nur jene Daten sammeln, die auch ihre Kernkompetenzen stärken. Und mal ehrlich: Ein Maschinenbauer hat keine IT-Kernkompetenz und wird diese auch nicht schnell genug entwickeln können. Deshalb sehe ich aktuelle Entwicklungen, bei denen sich klassische Maschinenbauer plötzlich in tiefe IT-Plattformgefilde wagen, kritisch. Vielmehr sollten sie versuchen, ihr Know-how rund um den Produktionsprozess in bare Münze umzuwandeln. Geht es um eine vernetzte Anlage oder Maschine, ist kostenlose Prozessberatung heute leider gang und gäbe. Hier wird viel Geld verschenkt.

Zur Person: Leonhard Muigg ist als Industrie 4.0-Koordinator der Siemens AG Österreich tätig. Er fungiert als Kommunikator zwischen den Siemens-Bereichen und den Industriepartnern, um das Thema Industrie 4.0 zu positionieren und voranzutreiben.

Der Kommentar ist Teil der Kolumne "Digital Enterprise" in den Printausgaben des Fachmagazins FACTORY.