Interview : Warum die Digitalisierung auf das Thema Lean nicht verzichten kann

Bosch Stefan Bastian
© Robert Bosch

Factory: Herr Bastian, IIoT oder Industrie 4.0 – was muss der Unternehmer kaufen?

Stefan Bastian: (lacht) Es muss zum Unternehmen passen. Aber zunächst zu den Begriffen: Industrie 4.0 ist für viele Unternehmen zu Deutsch geprägt. Deshalb sprechen wir bei Bosch meistens von IIoT. Das wird weltweit verstanden. IIoT steht für die B2B-Welt, aber die Prinzipien aus dem IoT sind doch sehr ähnlich. Beim IIoT übertragen wir sozusagen die Basisprinzipien vom IoT. Ob wir nun Daten von menschlichen Gewohnheiten und Aktivitäten sammeln (im IoT) oder von Maschinen (IIoT) spielt am Ende für die reine Technik nur noch eine untergeordnete Rolle. Anders sieht es natürlich mit Gesetzen und Vorschriften aus.

Nochmal die Frage – was muss er kaufen?

Bastian: Weder IIoT noch Industrie 4.0 kann man einfach so kaufen. Wir erleben häufig Kunden, die von der Digitalisierung aufgeschreckt sind, an Veranstaltungen teilgenommen haben und jetzt schnell investieren wollen. Diese Unternehmen gilt es oft zu bremsen, denn zunächst müssen bei vielen Firmen die internen Prozesse optimiert werden.

Das haben wir schon vor 15 Jahren gehört. Also zurück zu lean?

Bastian: Ja, das stimmt. Das Thema bleibt akut. Denn lean zu sein, ist eine der wichtigsten Voraussetzung für ein gutes Digitalprojekt. Wir verkaufen keine Projekte oder Produkte, wenn die Prozesse nicht funktionieren – das fängt mit der Software an und hört oft beim Vertrieb auf. Nur wer lean zu Ende denkt, kann aus unserer Sicht auch gute Lösungen implementieren. Das zeigen wir unseren Kunden auch in unseren eigenen Werken.

Die eigenen Werke, die alle durchautomatisiert sind?

Bastian: Nein, eine komplette Automatisierung nimmt dem Unternehmer die Flexibilität. Das macht betriebswirtschaftlich gar keinen Sinn.

Aber in den Anfangsjahren der Industrie 4.0-Diskussion sollte alles automatisiert werden.

Bastian: Ja, das stimmt, da haben wir alle in der Industrie dazugelernt. Der Mensch ist und bleibt der entscheidende Erfolgsfaktor. Je nach Arbeitsanforderung muss er vielleicht neu qualifiziert werden, er bleibt aber der wichtigste Akteur in der Produktion, das Bindeglied zwischen Maschinen und Daten.

Zurück zu den Prozessen. Lean heißt nicht automatisch digital?

Bastian: Genau. Jeder Unternehmer muss seine Investition bewerten und berechnen. Kollaborative Robotik kann sich in Deutschland vielleicht lohnen, in einem Werk in Osteuropa aber nicht unbedingt. Trotzdem ist die Herausforderung bei allen Unternehmen gleich: eine durchgängige Datentransparenz herzustellen. Die Zahlen geben dem Unternehmer letztlich den ausschlaggebenden Hinweis, ab wann sich beispielsweise der Einsatz eines Cobots lohnt. Das ist Intelligenz in der Fertigung: Die Fabrik lernt und gibt dem Unternehmer Hinweise, wie er seine Prozesse weiter verbessern kann.

Das ist ziemlich schwierig...

Bastian: Ja, wer Transparenz und Prozesse visualisieren möchte, benötigt „saubere“ Datensätze. Das kostet Zeit, Geld und Geduld. Darüber hinaus sind kompetente Mitarbeiter und ausgereifte Technik unabdingbar. Auch die Offenheit, sich Fehler einzugestehen und aus ihnen zu lernen, ist eine wesentliche Voraussetzung.

Aufräumen macht aber den wenigsten Spaß….

Bastian: Ja, dafür gibt es uns. Bosch Industry Consulting hilft dabei sehr gerne und unterstützt bei der Optimierung von Prozessen (lacht).

Und Sie verkaufen dann nach dem Aufräumen Ihre Bosch-Produkte?

Bastian: Nein, das ist nicht die Bedingung. Wir schaffen keine proprietären Systeme oder Plattformen. Das würde der Logik von IIoT völlig widersprechen. Wir schauen uns die bestehenden Systeme an und kombinieren, ergänzen und harmonisieren diese. Dabei können Lösungen entstehen, die sowohl von Bosch aber auch von anderen Unternehmen stammen. Viele Unternehmen nutzen MES-Systeme, die aber für die Herausforderungen von morgen beispielsweise im Bereich Tracability gar nicht geeignet sind. Auch Realtime fällt den Systemen bis dato schwer, aber für neue Anwendungen und Prozesse braucht es gerade das. Wir schauen uns alle Systeme in den Prozessen an – WMS, ERP oder auch das MES.

Klingt nach Greenfield-Projekten!?

Bastian: Nein, nicht unbedingt. Greenfield-Projekte sind übrigens gar nicht so viel leichter und effizienter als bestehende Anlagen, denn oft werden Vorgaben aus den Bestandswerken übernommen und wir kämpfen dann vor Ort mit den gleichen Herausforderungen.

Wo ist denn jetzt für Sie als Bosch-Berater richtig Musik in den Prozessen?

Bastian: Vorausschauende Wartung ist ein wichtiger Markt, wir sehen aber vor allem im Zusammenspiel von Extra- und Intralogistik sowie der Produktionsplanung den größten Hebel für Unternehmen. Es ist für jedes Unternehmen gut, wenn wir bei Maschinen die Effizienz um ein paar Prozentpunktesteigern. In der Logistik aber identifizieren wir Einsparpotenziale im zweistelligen Prozentbereich.

Warum fangen die Kunden dann nicht sofort an?

Bastian: Viele scheuen noch den Weg in die Vernetzung – auch weil sie Sorgen haben, ob das alles funktioniert und sie am Ende wirklich die gewünschten Einsparungen erzielen.

Verständlich...

Bastian: Wir haben darauf reagiert und arbeiten zum Beispiel seit Anfang des Jahres mit der Munich Re zusammen.

Mit einer Versicherung, die Naturkatastrophen rückversichert?

Bastian: Daher kennt man das Unternehmen, aber die Munich Re bietet mehr. Aktuell erarbeiten wir gemeinsam mit Kunden in ersten Pilotprojekten konkrete Lösungspakete. In Workshops und Vor-Ort-Gesprächen ermitteln wir genaue Bedarfe und legen Implementierungsschritte und Finanzierungskonzepte fest. Konkret geht es darum, aus Maschinen- und Fertigungsdaten genau die Informationen herauszufiltern, die für eine Analyse und Optimierung der Produktion erforderlich sind. Auf dieser Grundlage können wir zum Beispiel Wartungsbedarfe gezielter ableiten und entsprechend neue Modelle zur Risikominimierung definieren.

Wie soll das funktionieren?

Bastian: Bosch und Munich Re stellen einerseits sensorbasierte Schadenspräventions-Maßnahmen und andererseits neuartige Finanzinstrumente für den Risikotransfer zur Verfügung. Für den ganzheitlichen Risikomanagement-Ansatz kombinieren wir die Schadendatenbank von Munich Re mit unserem Know-how in der Datenanalyse. So können wir Investitions- und operative Risiken bestmöglich verringern und die Implementierung von IIoT-Lösungen erleichtern. Wir können aber nicht nur Schäden abwenden, wir arbeiten auch an Konzepten zur Absicherung von Lieferungen.

Und wenn die Lieferung nicht pünktlich kommt, zahlt Bosch oder die Versicherung?

Bastian: Aus Maschinen- und Fertigungsdaten können genau die Informationen herausgefiltert werden, die für eine profunde Analyse und schließlich eine Optimierung der Produktion erforderlich sind. Dabei unterstützen Munich Re’s Schadendatenbank und das Know-how bei der Datenanalyse den ganzheitlichen Risikomanagement-Ansatz. So können wir beide, Bosch und Munich Re, Investitions- und operative Risiken bestmöglich verringern und die Implementierung von Industrie 4.0-Lösungen erleichtern.

Klingt gut. Aber einen Stau werden Sie nicht verhindern können.

Bastian: Aber wir können den Produktionsprozess flexibilisieren, ein anderes Produkt vorziehen oder das fehlende Teil zu einem späteren Zeitpunkt anbauen, wenn möglich. Wir haben da viele Ideen…

Viel Erfolg und danke für das Gespräch! Das Gespräch führte Robert Weber.

Was macht Bosch Connected Industry?

Mehr als eine Milliarde Zusatzumsatz: Zum Jahresbeginn 2018 haben 500 Mitarbeiter der neuen Geschäftseinheit Bosch Connected Industry ihre Arbeit in Deutschland, Ungarn und China aufgenommen. Im neuen Bereich bündelt das Unternehmen Industrie 4.0-Aktivitäten, auch in den Bereichen Software und Services. Bis 2020 will die Bosch-Gruppe mit Industrie 4.0 insgesamt mehr als eine Milliarde Euro Zusatzumsatz erzielen. Bosch Connected Industry verfolgt das Ziel, Kunden bei der Vernetzung des kompletten Wertstroms zu unterstützen. Das Software-Portfolio ermöglicht Firmen einen bedarfsgerechten Einstieg in die vernetzte Fabrik: von Starter-Kits und Retrofit-Lösungen bis hin zum Gesamtpaket. Entsprechend kombiniert lassen sich einzelne Linien, Werke und Werksverbunde sowie deren Intra- und Extralogistik miteinander vernetzen.