Interview : „Corona-Krise bedeutet nicht, dass man plötzlich auf Fachkompetenz verzichten kann“

Fit AG Carl Fruth
© FIT AG / Lisa Kirk

FIT Additive Manufacturing ist ein in Lupburg ansässiger Industriepartner und ein Technologieunternehmen, das sich auf die additive Fertigung spezialisiert hat. Mit insgesamt 280 Mitarbeitern und sechs Standorten verfügt der 3D-Druck-Dienstleister FIT AG zusätzlich auch über konventionellere Verfahren, wie z. B. CNC-Fräsen, Spritzguss, Vakuumguss oder Elastomer-Fertigung.

FACTORY: Ihr Technologie-Unternehmen FIT bietet in Zeiten des Coronavirus für Unternehmen 3D-Druck-Lösungen an. Ich nehme an, die sind je nach Kunde sehr unterschiedlich, aber wie sieht so eine Lösung aus?

Carl Fruth: Absolut, das ist ganz unterschiedlich. Prinzipiell ist es so, dass wir natürlich über die additive Fertigung – und wir haben ja eine Vielzahl von unterschiedlichen Lösungen im Bereich der additiven Fertigung – sind wir in der Lage, sehr schnell physische Bauteile zu erzeugen. Wenn man jetzt physische Bauteile braucht, dann kann man sie über die additive Fertigung herstellen. Ob das jetzt irgendwelche Halter, Gehäuseteile oder Hebel sind, ist uns ja im Prinzip vollkommen egal. Wenn aufgrund der aktuellen Lage ein Bedarf an verschiedenen medizinischen Geräten besteht, die jetzt in dieser Corona-Krise unterstützend wirken, dann machen wir eben die.

FACTORY: Haben sich da schon Unternehmen bei Ihnen gemeldet? Die EU-Kommission beispielsweise sucht derzeit nach 3D-Druck-Kapazitäten und auch die deutsche Bundesregierung hat dazu aufgerufen.

Fruth: Ich weiß nicht, ob diese ganzen Aussagen valide sind. Es gibt da momentan in diesem Bereich einen sehr großen Aktionismus. Viele Personen, die in dem Bereich der additiven Fertigung beschäftigt sind, sind natürlich kreativ und die fragen sich: „Kann ich meine Kreativität in Bereichen nutzen, die Menschen hilft?“ Das führt aber momentan leider dazu, dass viele von ihrem Wissen im Bereich des 3D-Drucks ausgehen und Lösungen produzieren, die überhaupt keine Lösungen sind. Denn was sind die Anforderungen an eine gute Atemschutzmaske?

FACTORY: Da müsste man wahrscheinlich Ärzte in Krankenhäusern fragen.

Fruth: Haben die Ahnung von Filtertechnik? Und haben die auch Ahnung von Normierung und Zulassung? Das ist eben genau die Schwierigkeit, die ich momentan in diesem Bereich feststelle. Es werden hier plötzlich vollkommen untaugliche Lösungen am Markt platziert, die im schlimmsten Fall Leute in eine gewisse Sicherheit wiegen, die es überhaupt nicht gibt.

FACTORY: Haben Sie da auch ein konkretes Beispiel dazu?

Fruth: Nehmen wir die Atemschutzmasken als Beispiel. Wir bei FIT beschäftigen uns auch damit und sicher auch aufgrund unserer langjährigen Erfahrung in dem Bereich. Produktentwicklung, Unterstützung für die Entwicklungsabteilungen – wir sind mit vielen Fragestellungen seit Jahren sehr vertraut und darum wissen wir auch um die Komplexität von solchen. Aber entschuldigen Sie bitte, ich nehme einfach keinen ernst, der für 500 Euro einen 3D-Drucker bei irgendeinem Versandhandel gekauft hat und hobbymäßig ein bisschen damit rumspielt. Das ist eine unseriöse Lösung.

FACTORY: Warum? Wie machen Sie das in Ihrem Unternehmen?

Fruth: Ich kann Ihnen sagen, wie wir das angehen. Ich habe bei mir Ingenieure beauftragt, einen Entwurf für eine Atemschutzmaske zu machen, bei der ich mir sicher bin, dass wir die bei uns gut fertigen können, weil die sehr stark auf die Fertigungstechnologie angepasst ist, die wir wirklich in der Tiefe kennen. Parallel dazu habe ich aber unsere Kontakte, die ich aufgrund meiner vielen Jahren im Bereich der additiven Fertigung geknüpft habe, genutzt – beispielsweise Hersteller von Filter –, um dort anzufragen, ob diese die Masken, die wir herstellen, schnell prüfen können. Taugen sie wirklich was? Schirmen sie wirklich alle Partikel ab? Das heißt, ich versuche unser Netzwerk zu nutzen, um schnell Atemschutzmasken zu produzieren. Das können wir über eine Technik machen. Wir haben eine Vielzahl an Technologien, wo wir auch Kleinteile gut produzieren können, also Spritzguss, wir können Werkzeuge additiv herstellen. Die Konstruktion, die wir bei uns intern machen, ist auch tauglich, sofort auf diese Fertigungstechnologie umgestellt zu werden, um das dann alternativ oder parallel zu machen. Auf der anderen Seite habe ich die Schwierigkeit: Wenn ich tausende Facebook- oder LinkedIn-Artikel lese „Die Europäische Kommission sucht 3D-Druck-Kapazitäten“ – was heißt das denn konkret? Wer ist die Person, die die Verantwortung hat zu sagen: „Ich brauch jetzt diese Masken“. Wer prüft die Masken, wer kontrolliert sie? Diese Person gibt es einfach nicht. Also müssen wir uns auf der anderen Seite fragen: Gibt es überhaupt einen Bedarf an solchen Masken? Das ist eine große Herausforderung, denn wie geht man das am besten an? Soll ich die Polizeistelle bei uns im Ort fragen, ob sie Masken brauchen? Oder soll ich in Krankenhäuser fahren und dem Personal, das sowieso derzeit genug anderes zu tun hat, sagen, dass wir für sie Masken produzieren könnten?

FACTORY: Das bedeutet, es fehlt eine Art seriösen Vermittler zwischen den Herstellern und denjenigen, die Masken benötigen?

Fruth: Das ist die große Schwierigkeit dabei. Ich habe Anfragen von einem meiner Unternehmen in Tschechien bekommen. Die haben einen konkreten Bedarf und einen konkreten Auftrag: Masken für Tschechien herzustellen. Die unterstützen wir natürlich gern. Wir können ihnen dieses und jenes liefern, wir können hier und dort was machen. Wir können ihnen ganz schnell die benötigten Werkzeuge bauen.

FACTORY: Sie haben gerade einen weiteren Standort von Fit Technology erwähnt – Tschechien. Da würde mich interessieren, wie das mit ihren italienischen und amerikanischen Lokalitäten derzeit aussieht. Sind das Produktionsstandorte?

Fruth: Nein, dort ist nur Vertrieb und derzeit in Quarantäne.

FACTORY: Bemerken Sie bei Ihren anderen Standorten, auch wenn es sich „nur“ um Vertriebs- und nicht um Produktionsstandorte handelt, Auswirkungen oder läuft alles „normal“?

Fruth: Normal läuft momentan gar nichts. Ich sehe momentan auch gerade in der Öffentlichkeit einen sehr großen, nicht zielführenden Aktionismus. Wenn jetzt jemand anfängt, ein Open Source-Beatmungsgerät herzustellen, bis man das auf die Reihe bekommt, bis man überhaupt das Gerät versteht – das ist nichts, was man mal schnell in ein, zwei Wochen erledigt. Es gibt Firmen, die beschäftigen sich seit Jahren mit einem Team von Spezialisten. Die Medizintechnik-Unternehmen, die solche Beatmungsgeräte herstellen, die könnten doch ganz einfach ihre Produktion hochskalieren. Wenn die Komponenten brauchen, die nur mehr in geringer Stückzahl vorhanden sind und so schnell wie möglich Fertigungskapazitäten benötigen, da setzen Unternehmen wie die FIT an und hier können wir gut unterstützen. Aber es ist doch unsinnig, wenn jeder ein Beatmungsgerät herstellt. Diese Form von Aktionismus ist gut gemeint, aber gut gemeint heißt nicht, dass es besonders gut gemacht ist. Diese Krise heißt nicht, dass man plötzlich auf Fachkompetenz verzichten kann. Das wäre eher ein Rückschritt als eine Hilfe.

FACTORY: Viele gehen davon aus, dass die additive Fertigungs-Branche jetzt ihren Durchbruch erlangt, Sie sehen das aber anders?

Fruth: Naja, sie boomt jetzt nicht durch die Corona-Krise, sie hat gewisse Möglichkeiten und die kann man in solchen Fällen sicher auch nutzen. Jeder, der zurzeit Anfragen bekommt, wird diese sicher bearbeiten. Aber einmal ganz realistisch: Unseren Maschinen ist es doch vollkommen egal, ob sie Prototypen für Autos oder Bauteile für ein Beatmungsgerät herstellen.

FACTORY: Haben sich Industrieunternehmen bei Ihnen gemeldet?

Fruth: Nein, die diskutieren gerade darüber, aber so schnell geht das nicht.

FACTORY: VW will auch Ersatzteile und Atemschutzmasken herstellen. Die USA will auch Industrieunternehmen, beispielsweise GM und Ford, zur Herstellung von Beatmungsgeräten verpflichten, auch Tesla will hier mitmischen. Wie kann man sich das vorstellen? Morgen liefern sie 70.000 Masken an die Krankenhäuser?

Fruth: Nein, Tesla hat vielleicht in den Produktionsstätten noch welche auf Lager und kann die zur Verfügung stellen. Das ist sicherlich ein Aspekt, den Unternehmen hier machen können. Aber sie können doch nicht plötzlich in einem VW-Werk keine Autokarosserie mehr machen, sondern schnell ein paar Werkzeuge für Blechteile, die in medizinischen Geräten zum Einsatz kommen, herstellen. Bis so etwas tatsächlich hergestellt wird, vergehen Monate.

FACTORY: Haben Sie in Ihrem Unternehmen bereits personelle oder auch wirtschaftliche Auswirkungen spüren können?

Fruth: Ja, selbstverständlich. Die Unternehmen wissen momentan nicht, wie es weitergeht. Und wenn man nicht weiß, wie’s weitergeht, ist das erste, was die meisten tun: Kosten reduzieren, also keine zusätzlichen Ausgaben mehr. Ist das Produkt, das ein Unternehmen nächstes Jahr auf den Markt bringen will, jetzt im Moment lebensnotwendig? Nein, also: einstellen. Das heißt, wir beschäftigen uns immer noch sehr mit Innovationen, aber das fällt jetzt alles erstmal zurück. Wie stark das Ausmaß ist – 30, 50 oder 100 Prozent – das kann ich nicht sagen. Unsere Fertigungsbereiche sind momentan tatsächlich noch einigermaßen ok ausgelastet, aber was neue Anfragen anbelangt, geht es schon deutlich zurück.

FACTORY: Fühlen Sie sich auch von der Bundesregierung unterstützt? Oder finden Sie, die Förderungen bringen Ihrem Unternehmen überhaupt nichts?

Fruth: Ich denke, dass die Politik da momentan schon sehr versucht, unterstützend zu wirken, aber zwischen Wollen und Können gibt es einen großen Unterschied. Letztendlich geht es in allen Unternehmen darum, liquide zu bleiben. Wenn man kein Geld mehr hat, hat man natürlich ein Problem. Jetzt muss man schauen, dass man ausreichend Cash hat. Wie macht man das? Indem man zum Beispiel Zahlungen nicht mehr oder sehr verzögert erfüllt. Die Politik unterstützt auch in puncto Steuern. Aber natürlich passiert das jetzt genau so bei Zahlungen, die nicht ganz dringlich sind, die werden zurückgehalten. Das ist es, was Unternehmen kurzfristig machen. In vielen Unternehmen gibt es ein Risiko, dass der Umsatz einbricht. Wenn das passiert, habe ich natürlich nach wie vor Kosten. Die Mitarbeiter kann man zum Großteil in Kurzarbeit schicken und somit Kosten reduzieren, aber andere Kosten laufen ja weiter. Wenn da kein oder sehr wenig Umsatz gemacht wird, gibt’s natürlich einen Engpass und diesen muss man überbrücken.

FACTORY: Haben Sie in Ihrem Unternehmen auch schon Mitarbeiter für die Kurzarbeit angemeldet?

Fruth: Ja, zwar noch nicht in der Fertigung, dafür in der Projektentwicklung und im Angebotswesen. Da bemerken wir schon sehr starke Auswirkungen. Wir haben da aufgrund des Infektionsrisikos Teams gebildet, die aus zwei Personen bestehen und die dann jeweils miteinander arbeiten.

FACTORY: Sehen Sie auch Chancen in der derzeitigen Coronakrise für die Industrie?

Fruth: Ja, eine sehr große Chance sogar. Der Industrie ist es jetzt viele Jahre über hinweg sehr gut gegangen und hat sich daran gewöhnt. Aus jeder Krise ergeben sich Notwendigkeiten und Notwendigkeiten sind immer eine große Chance, durch diese Not wird man gezwungen, etwas zu ändern. Und ohne Änderung gibt es keine Innovation. Nachdem wir bei FIT sehr stark an Innovation hängen, ergeben sich meines Erachtens für unser Geschäft durch diese Krise auch in der Zukunft viele neue Chancen, weil Unternehmen Veränderungen durchführen werden.

FACTORY: Das bedeutet, eher die Technologie- und F&E-Branchen werden davon profitieren?

Fruth: Genau, in manchen Bereichen werden die Unternehmen nicht mehr so fortfahren, wie sie das bis jetzt gemacht haben. Sondern die werden mit den Erfahrungen dieser Krise auch ihre Geschäftsmodelle und Produkte überdenken. Da wird es eine Bereitschaft geben, sich aus der Not heraus neue Dinge zu trauen. Es wird ein neuer Druck entstehen, dadurch, dass sich Lieferketten neu aufbauen und sich generell sehr viel ändert, wird es einen Bedarf an neuen Lösungen und Produkten geben. Das ist es, was wir bei der FIT brauchen, um ein gutes Geschäft machen zu können. Das ist ja auch das, was die Menschheit weiterbringt.

FACTORY: Wenn’s immer gut läuft, wird sich nichts verändern.

Fruth: Das ist ja die Schwierigkeit. Wenn es gut läuft, dann spielen viele zwar herum, aber eine richtige Veränderung gibt es nicht. Da muss man schon aus der Komfortzone raus.

FACTORY: Was, glauben Sie, könnte sich konkret für Ihr Geschäft oder für Ihre Branche verändern?

Fruth: Das ist eine ganz schwierige Frage. Das kann ich Ihnen so nicht beantworten. Wir denken an ganz viele verschiedene Szenarien, aber wir können sie heute nicht bewerten. Und das macht ja diesen Blick in die Glaskugel so schwierig. Wir haben keine Ahnung, was wirklich auf uns zukommt. Das sind alles nur Annahmen. Und egal, was ich sage, das wird übermorgen nicht mehr gültig sein. Aber ich denke, in dieser Krise ist eine gewisse Dynamik drinnen und diese Dynamik kann helfen.