Werkzeugmaschinenindustrie : Cecimo: Gefährdet die EU die Rolle der Werkzeugmaschinenindustrie?

Roland Feichtl
© Factory /Thomas Topf

FACTORY: Herr Feichtl, Sie haben damals vor den Russland-Sanktionen der EU gewarnt. War das, weil Sie einer der Leidtragenden waren, oder ging es tatsächlich um das Wohl einer ganzen Branche?

Roland Feichtl: Die Russland-Sanktionen waren keine Sanktionen der „westlichen Industrienationen“. Denn im Gegensatz zu den Iran-Sanktionen erteilten Japan, Korea und Taiwan keine Sanktionen. Unser Handelsvolumen mit Russland ist damals um 30 Prozent gesunken, gleichzeitig das der USA mit Russland um 10 Prozent gestiegen.

Sie fühlten sich also betrogen?

Feichtl: Sie dürfen eines nicht vergessen: Als wir unsere Maschinen nicht mehr an unsere russischen Kunden liefern konnten, ließen sich diese die Maschinen teilweise von Asiaten nachbauen. Und wer garantiert uns, dass diese nachgebauten Maschinen nicht irgendwann auch nach Brasilien oder Europa geliefert werden? Das Wichtigste ist der freie Handel. Und hier macht mir nicht nur Trump Sorgen, sondern auch schon länger die EU.

Werden also nachgebaute Maschinen aus Asien bald unseren Markt überschwemmen?

Feichtl: „überschwemmen“ vielleicht nicht. Sehen Sie, die Erfüllung von EU-Regularien und Vorschriften kosten einen europäischen Werkzeugmaschinenhersteller ungefähr acht Prozent seiner Herstellkosten. Das wäre kein Problem, wenn die EU verhindern würde, dass Maschinen aus Asien, die diesen Vorschriften nicht genügen, ins Land kommen. Dass dies nicht geschieht, ist ein klarer Wettbewerbsnachteil und den wollen wir im Rahmen von Cecimo bekämpfen.

Kürzlich warnte eine Studie der Bertelsmann-Stiftung, dass chinesischen Investoren hierzulande freier Marktzugang geboten werde, im Gegensatz dazu aber die chinesische Regierung strategische Industrien bewusst vor ausländischem Zugriff schütze. Droht uns der technologische Ausverkauf?

Feichtl: Wir müssen unser technologisches Know-how definitiv schützen. Wir hatten eine Zeit, wo unsere Politik dachte, dass wir von Dienstleistung alleine leben und die Produktion nach China und Osteuropa auslagern können. Eine industriefeindliche Einstellung ...

...die Sie stark kritisieren, weil ...

Feichtl: ... diese Einstellung unseren Wohlstand gefährdet. Dieser ist nur gesichert, wenn wir die Produktion in Europa halten können. Und leider investieren wir in Europa derzeit weniger, als wir Werkzeugmaschinen abschreiben. So erleben wir eine Veralterung des Maschinenparks. Und um auf Ihre Frage mit den chinesischen Investoren zurückzukommen: Der amerikanische Präsident kann ohne Angabe von Gründen – nur mit dem Hinweis auf das nationale Interesse – jeglichen Deal untersagen. Egal ob ein Chinese ein Unternehmen oder einen Flughafen kaufen will.

Dann ist der Protektionismus, den die Amerikaner betreiben, richtig?

Feichtl: Ich betone noch einmal: Das Wichtigste ist der freie Handel. Wie immer man zum US-Präsidenten steht, er hat erkannt, dass er das Eigentum seiner Schlüsseltechnologien schützen muss. Denn dort, wo es zu Hause ist, liegt auch die Interessenslage.

Haben sich die Amerikaner nicht gerade bei der Werkzeugmaschinenindustrie zu abhängig gemacht?

Feichtl: Die USA haben einen Gutteil ihrer Werkzeugmaschinenindustrie verloren. Es gibt Studien, die zeigen, dass sie nicht mehr in der Lage sind, ihre eigenen militärischen Güter selbst zu produzieren. Sie sind dabei abhängig von Europa und ein bisschen auch von Japan. Dass sie nun versuchen, hier gegenzusteuern, ist verständlich.

Ein Problem auch für Ihr Geschäft ...

Feichtl: Klar. Ich beobachte Trumps Handelspolitik durchaus mit Sorge. Aber bei aller Liebe zur Marktwirtschaft, auch Europa muss hier auf der Hut sein. China hat den Kapitalismus perfektioniert. Unsere Politik muss endlich gute Rahmenbedingungen setzen.

Auch wenn das heißt, man greift Mitbewerber auf staatlicher Ebene an? Immerhin war der VW-Skandal ...

Feichtl: ... auch ein Mittel, um der amerikanischen Industrie zu helfen. Weder die Amerikaner noch die Chinesen waren in der Technologie des Verbrennungsmotors Marktführer. Die US-Automobilindustrie inklusive ihres hochgelobten Teslas war notleidend. Dass die USA die Chance nützten, um ihrem größten Mitbewerber zu schaden, ist verständlich. Mit Interesse habe ich beobachtet, dass ausgerechnet zur Zeit des Abgasskandals in Amerika General-Motors-Plakate mit einer Dieseloffensive auftauchten.

Warum halten Sie die Elektromobilität für eine Scheinlösung?

Feichtl: Weil die Produktion von einem batteriebetriebenen Elektroauto doppelt so viel Umweltbelastung mit sich bringt wie die eines herkömmlichen Verbrennungsmotors. Sie können heute vier Jahre mit Diesel, Benzin oder acht Jahre mit einem gasbetriebenen Verbrennungsmotor fahren – bis sie gleichauf sind mit der Umweltbelastung eines Elektroautos. Das stimmt aber auch nur, wenn der Strom dazu zu 100 % alternativ erzeugt worden ist. Die Politik soll Rahmenbedingungen vorgeben, aber keine Technologieauswahl – egal ob direkt oder indirekt – betreiben.

Trotzdem pocht die EU auf E-Autos.

Feichtl: Elektromobilität ist Planwirtschaft. Die EU reguliert nur das, was aus dem Auspuff kommt, alles andere ist ihr zu schwierig. Und damit wird etwas gefördert, was die Umwelt schlussendlich mehr belastet. Als z. B. die Grenzwerte für die Feinstaubbelastung herabgesetzt wurden, war die Automobilindustrie gezwungen, die Temperatur im Verbrennungsmotor anzuheben, um diese Werte einzuhalten. Und was ist passiert? Es entstanden mehr Stickoxide, die jetzt unsere Umwelt zusätzlich belasten.

Das heißt, man hat bei den Grenzwerten einen Fehler gemacht?

Feichtl: Definitiv. Nur 4 bis 6 % der Feinstaubbelastungen kommen vom Verbrennungsmotor. Ich habe mit Politiker gesprochen, die heute hinter vorgehaltener Hand zugeben, dass diese Grenzwerte zu niedrig angesetzt wurden. Aber bevor man zugibt, einen Fehler gemacht zu haben, und einen fälschlicherweise zu niedrig angesetzten Grenzwert wieder etwas erhöht, wodurch sich das Problem der Stickoxide praktisch in Luft auflösen würde, zwingt man lieber die Automobilindustrie Milliarden in etwas zu investieren, das der Umwelt nicht hilft. Und dabei rede ich noch gar nicht von den Rohstoffproblemen und denen der Entsorgung der hochgiftigen Batterien.

Kann es Ihnen als Vertreter der Werkzeugmaschinenbranche nicht egal sein, für welchen Antriebsstrang Sie Maschinen produzieren?

Feichtl: (lacht) Am liebsten produzieren wir natürlich für Hybrid. Aber richtig, unsere Industrie macht, was der Markt von ihr verlangt. Aber es gehen nun einmal 50 Prozent der Werkzeugmaschinen in die Automobilindustrie. Da können uns von Politik und gesellschaftlichem Mainstream erzwungene Fehlentwicklungen nicht egal sein, auch wenn beide das von uns erwarten.

Was wäre dann Ihrer Meinung nach der richtige Weg?

Feichtl: Wirklich helfen würde ich der Umwelt, wenn diese Milliarden in die Forschung rund um den Verbrennungsmotor investiert werden würden. Dieser hat noch so viel Potenzial. Rein technisch könnten wir schon die Hälfte der Abgase reduzieren. Mittelfristig versprechen synthetische Brennstoffe und Wasserstoff eine echte Problemlösung in Richtung der heute fälschlicherweise mit Elektroautos propagierten „Zero-Emission“.

Sie wollen das Know-how Ihrer Branche auch vor der Macht von Konzernen schützen. Woher kommt dieses Bedürfnis?

Feichtl: Es zeichnen sich hier Tendenzen ab, die mir wirklich Sorge bereiten. Konzerne aus China, aber auch schon aus Europa, fordern in ihren Vertragsentwürfen, dass man ihnen das Nutzungsrecht an Patenten überschreibt. Diese Konzerne versuchen auch ihre Machtposition zu nutzen, um unbegrenzte Haftungen zu fordern.

Musste Krauseco schon Patente abtreten?

Feichtl: Nein. Wir haben das abgelehnt. Aber ich kenne Werkzeugmaschinenhersteller, denen nichts anderes übrig blieb. Wenn ein Kunde, der 30 Prozent Ihres Umsatzes ausmacht, das von Ihnen verlangt, werden Sie vielleicht darüber nachdenken müssen – auch wenn das heißt, dass Patente zur freien Nutzung abgegeben werden.

Zur freien Nutzung? D. h. auch ein Mitbewerber hat damit Zugriff auf mein Know-how?

Feichtl: Richtig, das ist das Ziel. Ein sehr delikates Thema. Etwas, wo die EU helfen könnte. Generell gilt es, den bürokratischen Aufwand des Patentwesens, dessen tatsächlichen Nutzen stark zu hinterfragen.

Hatten Sie denn schon einmal schlechte Erfahrungen?

Feichtl: Durchaus. Vor einigen Jahren hat ein Mitbewerber gegen ein jahrelang geprüftes und letztendlich vollinhaltlich erteiltes Patent von uns verstoßen. Wir haben unter Vorlage eindeutiger Beweise geklagt und das Patentgericht schloss sich unserer Sichtweise an. Wir haben am Ende aber dennoch verloren, weil ein anderes vom Wettbewerber angerufenes deutsches Gericht die Erfindungshöhe als nicht hoch genug eingeschätzt hat. Jetzt frage ich Sie, wer lag falsch, das staatliche Gericht oder das vorangegangene fünfjährige staatliche Patentverfahren? Man weiß es bis heute nicht. Nur eines ist klar, die halbe Million Euro an Patent- und Verfahrenskosten bekomme ich nicht wieder zurück.

Als Präsident von Cecimo wollen Sie die Vorreiterrolle Ihrer Branche in den Zukunftsfeldern wie Industrie 4.0 sichern. Sind Betreibermodelle, wo Kunden nur mehr für die Nutzung der Maschine zahlen und nicht für die Maschine selbst, die Zukunft des Werkzeugmaschinenbaus?

Feichtl: Die Methode, nur mehr pro Werkstück zu zahlen, ist ein Geschäftsmodell, das sich vor allem jene näher ansehen sollten, deren Kunden aus der mittelständischen Industrie kommen. Je größer der Kunde, umso weniger wird er daran interessiert sein, seine Daten – die es nun einmal dafür braucht – außer Haus zu geben. Große Kunden wollen diesen Produktivitätsvorteil selbst haben und investieren daher lieber in die Maschine selbst.

Klingt so, als ob diese Geschäftsmodelle nichts Neues für Sie wären.

Feichtl: Solche Dinge wurden auch schon in der Vergangenheit probiert. Als Jacques Nasser CEO von Ford war, gab es ein Projekt, wo er nur eine Halle zur Verfügung stellte. Alle Lieferanten sollten dort ihre Maschinen platzieren und selber betreiben. Nasser wollte nicht mehr für die Maschinen selber bezahlen, sondern nur mehr pro Auto, das die Halle verlässt.

Und warum wurde daraus nichts?

Feichtl: Weil Sie, wenn das so machen, Kompetenz verlieren. Irgendwann wissen Sie nicht mehr, wie ein Auto gebaut wird, nur mehr, wie man eines entwickelt. Und wenn Sie die Entwicklung auch noch au.er Hand geben, sind Sie irgendwann nur mehr eine Bank. Ich bin seit meinem 19. Lebensjahr in der Industrie. Solche Schwenke z. B. von einer dezentralen zu einer zentralen Organisation oder von hochproduktiver zu flexibler Produktion und vice versa erlebe ich immer wieder. Im Moment bewegen wir uns wieder Richtung 100 % flexible Produktion. Aber der Schwenk in die andere Richtung wird auch bald wiederkommen.

Trotz der vorhin erwähnten Probleme, es herrscht Hochkonjunktur. Jammert Ihre Branche da nicht auf etwas hohem Niveau?

Feichtl: Natürlich ist es erfreulich, dass wir derzeit eine so gute wirtschaftliche Situation haben. Die Frage ist nur, wie lange diese anhält, und auch die Unsicherheit bezüglich E-Mobilität dämpft. Nach jeder guten Konjunktur kommt auch was anderes. Unsere Industrie ist das gewohnt, dass es wieder Korrekturen geben wird. Und die Vergangenheit hat gezeigt, dass dies schnell die Hälfte des jetzigen Volumens darstellen kann. Das Wichtige ist, dass wir uns gut darauf vorbereiten.

Sind Sie ein vorsichtiger Mensch?

Feichtl: Ich bin vorsichtig mit Euphorie, wie „in den nächsten Jahren verdopple ich mein Geschäft“. Das kann man am grünen Tisch ruhig planen, aber wir leben in einem Umfeld, wo es zu viele Störfaktoren gibt. Jeder einzelne kann unsere Konjunktur massiv verändern.

Eine Prognose, wann es zu einer Korrektur kommt?

Feichtl: Dazu möchte ich mich nicht äußern. Ich kann aber sagen, dass 2018 ein gutes Jahr wird.

Vielen Dank für das Gespräch! Das Gespräch führte Elisabeth Biedermann.

Was ist Cecimo?

Cecimo ist der Europäische Dachverband der Werkzeugmaschinenhersteller. Im Cecimo sind 15 nationale Werkzeugmaschinenhersteller-Verbände zusammengeschlossen, die etwa 1.600 Industrieunternehmen in Europa vertreten (EU, EFTA, Türkei). Die von Cecimo repräsentierten Länder decken über 97 Prozent der gesamten Werkzeugmaschinenproduktion Europas und mehr als ein Drittel der weltweiten Produktion ab. Die Branche zählt über 150.000 Mitarbeiter und produzierte 2015 Maschinen im Wert von rd. 24 Mrd. Euro.

Zur Person: Roland Feichtl (61) begann seine berufliche Karriere als Konstrukteur und Projektleiter im Maschinenbau der voestalpine (damals noch Voest-Alpine). In sein Tätigkeitsfeld fiel der Aufbau und die Leitung des Geschäftsbereiches TMS / Roboteranlagen für die Automobilindustrie. Seit 1993 ist er Vorsitzender der Geschäftsführung der Krause & Mauser-Gruppe mit dem Wiener Feinbohr-Spezialisten Krauseco Werkzeugmaschinen. Krause & Mauser liefert Maschinen und Anlagen für die Serienproduktion, insbesondere für den automotiven Antriebsstrang sowie Chassis und Karosserie. Ende 2017 wurde Feichtl einstimmig zum neuen Präsidenten von Cecimo, dem europäischen Dachverband der Werkzeugmaschinenhersteller, gewählt. Feichtl führt damit die europäische Werkzeugmaschinen-Industrie an, die für ein Drittel der weltweiten Produktion steht.