Im Gespräch: Dr. Masahiko Mori : Neue Wege in Europa, starke Wurzeln in Japan

Masahiko Mori, CEO von DMG Mori, vor der Firmenzentrale.

Dr. Masahiko Mori wurde 1961 in Nara, Japan, geboren. 1999, im Alter von 37 Jahren, wurde er Präsident von Mori Seiki Co. Ltd. 2009 begann die Kooperation zwischen DMG (Deckel Maho Gildemeister) und Mori Seiki und damit die gemeinsame Marke „DMG MORI“. 2016 erfolgte der Zusammenschluss durch den Beherrschungsvertrag. Dr. Mori ist seitdem ebenfalls Präsident und CEO der DMG MORI-Gruppe und seit Mai 2018 auch Aufsichtsratsvorsitzender der DMG MORI AG. Darüber hinaus ist er Vizepräsident der Japan Machine Tool Builders Association (JMTBA), Fellow der International Academy for Production Engineering (CIRP), Vorstandsmitglied der Kyoto University Innovation Capital und Mitglied des Kuratoriums der Kyoto University.

- © DMG Mori

Sie haben kürzlich an der Grundsteinlegung für die neue Europazentrale von DMG Mori in München teilgenommen. Welche strategischen Vorteile sehen Sie im Umzug nach München?

Masahiko Mori:
München ist ein europäisches Zentrum. Die Flug- und Straßenverbindungen sind sehr gut und München ist auch sehr nah an unserem Hauptwerk. Außerdem war München auch der ursprüngliche Standort von Deckel, dort wurde das Unternehmen gegründet. Es gibt täglich mehrere Direktflüge aus Japan und den USA. Es ist also ein perfekter Standort für ein deutsch-japanisches Unternehmen.

Interessant ist, dass Sie Ihre Europazentrale von der Schweiz nach Deutschland verlegen, obwohl viele Industrieunternehmen derzeit die überbordende EU-Bürokratie kritisieren. Was war der Grund zu sagen, wir verlassen mit unserer Europazentrale die Schweiz und ziehen nach Deutschland?


Mori:
Das hat mit der Geschichte von Gildemeister zu tun. Gildemeister ist eines der ältesten börsennotierten Unternehmen Deutschlands. Gildemeister hat Deckel-Maho damals auf Anraten der Banken gekauft. Aus Sicht der Gildemeister-Zentrale in Bielefeld war es dann besser, weiter nach Süden zu ziehen. Und dann war es wegen des deutschen Länderindividualismus besser, nicht nach München zu gehen, sondern nach Winterthur in die Schweiz, um eine gewisse Neutralität zu wahren. Aber ich war damals noch nicht Hauptaktionär dieser Firma. Ich glaube nicht, dass es gut war, als deutsches Unternehmen in die Schweiz zu gehen. Als wir 2016 mehr als 75 Prozent der Anteile erworben und den Beherrschungsvertrag abgeschlossen haben, habe ich mich persönlich entschieden, nach Deutschland zurückzukehren.

Die Entscheidung, nach München zu gehen, fiel also schon damals?


Mori:
Ja, damals schon. Also haben wir uns nach einem Standort umgesehen. Bielefeld ist natürlich ein schöner Ort, mit dem wir historisch sehr verbunden sind. Deshalb behalten wir dort die Fabrik, die Forschung und Entwicklung und investieren auch neu. Aber von der Lage her ist es kein optimaler Standort für eine Zentrale. Deswegen haben wir uns für München entschieden.

Die neue Europazentrale entsteht in München.
DMG Mori etabliert in München sein europäisches Headquarter und Technologiezentrum. Ab 2026 mietet das Unternehmen hierfür ein innovatives Gebäude in der Nähe des Olympiaparks mit einer Grundfläche von 10.000 Quadratmetern. In einem repräsentativen, 1.500 Quadratmeter großen Showroom können Kunden, Partner und Nachwuchstalente Hightech-Maschinen erleben. - © EB 32 Grundstücksgesellschaft mbH & Co. KG
Um ehrlich zu sein, haben wir in Japan mehr Bürokratie.

Sie hatten also keine Angst vor der EU-Bürokratie?

Mori:
Um ehrlich zu sein, haben wir in Japan mehr Bürokratie. Und natürlich hat jedes Land, das auf eine lange Geschichte zurückblicken kann, viele bürokratische Hürden. Aber wir kommen gut damit zurecht.

Die Zusammenarbeit mit Gildemeister begann 2009, die Übernahme erfolgte 2015. Dabei trafen unterschiedliche Unternehmenskulturen aufeinander, die japanische und die deutsche. Wie konnten die Unterschiede überwunden werden?


Mori:
Die Leute sagen sowieso, Japaner und Deutsche seien sich ähnlich. Das stimmt auch. Aber in unserer Gruppe haben wir etwa 13.500 Menschen. Mehr als viertausend sind weder Deutsche noch Japaner. Wir haben Mitarbeiter aus den USA, aus China, Italien, Frankreich, Österreich und so weiter - insgesamt aus 59 verschiedenen Ländern. Wir sind also ein sehr multikulturelles Unternehmen. Wenn Deutsche und Japaner sich nur gegenseitig akzeptieren und den Rest der Organisation ignorieren würden, hätten wir keinen Erfolg. Japan macht zehn Prozent unseres Marktes aus, Deutschland 15 Prozent. Und 75 Prozent liegen außerhalb des deutsch-japanischen Marktes. Wir bringen das Beste aus deutscher und japanischer Technologie mit, aber andere Kulturen - wie man mit Kunden umgeht, wie man mit Lieferanten umgeht - kommen aus der Offenheit anderer europäischer, amerikanischer oder asiatischer Kulturen.

Wie äußert sich dieser Kulturaustausch im Arbeitsalltag?


Mori:
Nun, wir haben zum Beispiel systematische und philosophische Dinge von Deutschland übernommen. Aber was Qualität und Kundenservice angeht, lernen die Deutschen von Japan - wie man mit Qualitätsproblemen umgeht, wie man den kleinen Kunden aus Asien, den USA, Frankreich oder Italien zuhört. Aber unser ERP-System ist SAP. Wir befinden uns gerade in der Endphase der Implementierung von S/4HANA. Direktvertrieb, Geschäftsmodelle, Preisstrukturen - das sind Dinge, die wir aus der europäischen Geschäftskultur übernehmen.

Dr. Masahiko Mori beim Wiener Produktionstechnik Kongress
Dr. Masahiko Mori beim 6. Wiener Produktionstechnik Kongress im Palais Ferstel, wo er sein Leitbild für die Zukunft der Fertigung präsentierte. - © WPK
Im Werkzeugmaschinenbau ist China noch nicht reif für Europa, aber früher oder später wird es sicher ein Thema werden.

Wir befinden uns inmitten einer großen geopolitischen Krise. Wie wirken sich all diese Konflikte auf Ihr Unternehmen aus?

Mori:
Das hat zu einem Umdenken geführt. In Japan betreiben wir mehr vertikale Integration. Zum Beispiel stellen wir alle Spindeln, Revolver und Kugelgewindetriebe selbst her, und zwar auf unseren eigenen Maschinen. Wir sind sehr autark und versuchen, so viel wie möglich von japanischen Lieferanten zu beziehen und Importe aus China oder anderen asiatischen Ländern aufgrund von Qualitätsanforderungen zu minimieren. Japan ist vom Meer umgeben, so dass wir die Gussteile nicht per LKW transportieren können. Die gleiche Philosophie führen wir nun auch in unseren Werken in Deutschland und Italien ein. Wir haben ein großartiges Vormontage- und Bearbeitungswerk in Polen, das wir um eine Gießerei erweitern, um 20.000 Tonnen Gussteile pro Jahr zu produzieren, anstatt sie aus China zu importieren.

Sie haben die Konkurrenz aus China erwähnt. Glauben Sie, dass sich die EU und vielleicht auch Japan gegen die Billigkonkurrenz aus China wehren müssen?


Mori:
Zumindest bis 2030 wird China den Vorteil billiger Arbeitskräfte haben und damit die Marktpreise unterbieten. Ein wettbewerbsfähiger Marktpreis ist gut, aber wenn sie nachhaltige Marktpreise zerstören, wie im Fall der Photovoltaik, wo sie in Deutschland die gesamte Industrie zerstört haben - dann hat niemand etwas davon. Eine solche Geschichte dürfen wir nicht noch einmal erleben. Wir müssen hier verantwortungsvoller agieren. Im Werkzeugmaschinenbau ist China noch nicht reif für Europa, aber früher oder später wird es sicher ein Thema werden.

Wir werden uns in den nächsten Jahren nicht zu 100 Prozent auf KI verlassen können.

DMG Mori hat sehr ehrgeizige Nachhaltigkeitsziele. Was sagen Sie Skeptikern, die den grünen Wandel in der Industrie für unrealistisch halten?

Mori:
Im Vergleich zur Automobil- oder Konsumgüterindustrie ist der Anteil des verarbeitenden Gewerbes an den Emissionen relativ gering. Trotzdem müssen wir handeln. Wir haben uns ganz konkrete Ziele bis 2030 gesetzt, und ich bin überzeugt, dass wir sie erreichen werden. Nur ein Beispiel: Weltweit sind noch rund fünf Millionen alte Maschinen im Einsatz, die viel Energie verbrauchen. Allein durch die Modernisierung dieser Maschinen können wir erheblich dazu beitragen, den CO2-Fußabdruck zu verringern.

Automatisierung und künstliche Intelligenz sind ebenfalls Teil dieser Strategie. Welche Verbesserungen versprechen Sie sich davon?


Mori:
Wir haben derzeit weltweit 400 bis 500 Testmaschinen im Einsatz, die jährlich 2.000 bis 3.000 Tests durchführen, alle in digitaler Form. Diese gesammelten Daten werden für die KI entscheidend sein. Bis 2030 werden wir in der Lage sein, KI-Führungssysteme für Kunden und Anwendungstechniker anzubieten, aber eine vollständig autonome Programmierung wird schwierig sein. Wir werden uns in den nächsten Jahren nicht zu 100 Prozent auf KI verlassen können, aber wir können 70 bis 80 Prozent der Arbeit automatisieren und den Rest verfeinern die Experten, ohne die es auch in Zukunft nicht gehen wird.

Die ambitionierte Nachhaltigkeitsstrategie von DMG Mori
Neben Prozessintegration, Automatisierung und Digital Transformation (DX) ist Nachhaltigkeit als Green Transformation (GX) eine Säule der DMG MORI Machining Transformation (MX). Mit ihr gestaltet der Werkzeugmaschinenhersteller die Zukunft der Produktion. Sie soll dazu beitragen, Klimaschutzziele zu erreichen und ist gleichzeitig eine Antwort auf steigende Energiepreise. - © DMG Mori
Im Jahr 2028 werde ich 30 Jahre Präsident sein, und DMG Mori wird sein 80-jähriges Bestehen in Japan feiern. Ich denke, das ist ein guter Zeitpunkt, um als Präsident zurückzutreten.

DMG Mori hat zwei Standorte in Österreich, in Stockerau wurde kürzlich ein neues Technologiezentrum eröffnet. Welche Rolle wird der Standort in Zukunft spielen?

Mori:
Österreich ist, historisch gesehen, immer das Herz Europas gewesen. Hier gibt es großartige Universitäten wie die Technische Universität Wien, und wir haben einzigartige Kunden in Branchen wie Formenbau, medizinische Optik, Halbleiter usw. Die Zusammenarbeit mit österreichischen Kunden ist immer erhellend, sie sind anspruchsvoll, aber es lohnt sich. Wir haben hier eine starke Vertriebs- und Servicepräsenz, daher wird Österreich auch in Zukunft ein wichtiger Standort für uns bleiben.

Sie haben angedeutet, dass Sie 2028 als CEO zurücktreten werden. Sind Sie bereits auf der Suche nach einem Nachfolger?


Mori:
Ich bin jetzt 63 Jahre alt und wurde 1999 Präsident. Im Jahr 2028 werde ich 30 Jahre Präsident sein, und DMG Mori wird sein 80-jähriges Bestehen in Japan feiern. Ich denke, das ist ein guter Zeitpunkt, um als Präsident zurückzutreten. Es wird einige Zeit dauern, den richtigen Nachfolger zu finden, aber es gibt einige gute Kandidaten, die ich im Auge habe. Aber auch nach meinem Ausscheiden als Präsident werde ich dem Unternehmen als Aufsichtsratsvorsitzender beratend zur Seite stehen.

Der neue Showroom von DMG Mori in Stockerau.
Der Standort Stockerau von DMG Mori ist die zentrale Anlaufstelle für österreichische Kunden. Der neue Showroom erstreckt sich über rund 250 Quadratmeter und bietet Platz für eine Vielzahl von Maschinen. - © DMG Mori