Interview : „Es wird kein einzelnes Unternehmen die Welt erobern“
FACTORY: Sie sind ja eigentlich studierter Ingenieur, Sie kommen aus dem Manufacturing-Bereich und jetzt sind Sie auf der Software-Seite gelandet. Wie ist es dazu gekommen?
Sven Hamann: Ich habe Informatik und Maschinenbau studiert, hatte also diese Kombination von Anfang an. Das war aber lange vor Industrie 4.0. Produktionstechnik und Automatisierungstechnik ziehen sich als roter Faden durch meinen Lebenslauf.
Und wie sehen Sie generell die Entwicklung in den einzelnen Betrieben? Wie sehr können sie sich einstellen auf den immer stärkeren Fokus auf Software?
Das nehme ich schon als sehr prägend war. Viele Innovationen kommen aus der Informatik, aus der Softwareabteilung. Wenn man beispielsweise in den Automobilbereich schaut, dann geht es viel um Fahrassistenzsysteme, um die Vision des autonomen Fahrens, wo ein ganz wesentlicher Teil die Software und auch Sensorik ist.
Wie sehen Sie die Forderung nach mehr Open Source? Es gibt ja
immer mehr Stimmen, die sagen, wir als europäische Betriebe müssten
stärker voneinander lernen.
Das kann ich sehr gut nachvollziehen und unterstützen. Ich glaube generell, es gibt eine Notwendigkeit stärker zusammenzuarbeiten. Unsere Aufgaben werden komplexer, man braucht in viel mehr Disziplinen Erfahrung und das kann eine einzelne Firma kaum alleine abdecken. Und ein Weg, wie man in eine Partnerschaft gehen kann, ist natürlich Open Source.
Wie weit widerspricht das dem eigenen Profitgedanken von Unternehmen?
Das kommt darauf an. Wir engagieren uns aktiv im Bereich Open Source bei der Open Manufacturing Plattform, einem Zusammenschluss von Microsoft, Bosch, BMW, ZF, und weiteren 13 Unternehmen. Da geht es darum, Datenaustausch über Unternehmensgrenzen hinweg zu ermöglichen. Es bringt überhaupt nichts, wenn ein Unternehmen eine proprietäre Lösung herstellt und diese nicht über die Grenzen des eigenen Unternehmens hinauskommt. Das wird nie zum Ziel führen. Und da wird auch kein einzelnes Unternehmen im Sinne eines Businesscases oder eines Geschäftsmodells die Welt erobern.
Wie funktioniert der Datenaustausch auf dieser Plattform?
Wir bringen sehr transparent Ressourcen und Aufwände ein und schaffen eine gemeinsame Lösung, womit wir Daten über die gesamte Wertschöpfungskette austauschen. Und den Nutzen haben dann alle. Sodass alle aus den Daten ihre eigenen Produkte verbessern, neue Erfahrungen gewinnen und Prozesse optimieren können. So ist der Austausch für alle auch wirtschaftlich.
Wie sieht da die Reaktion aus? Gibt es bezüglich des Daten-Sharings auch Ressentiments?
Es gibt natürlich Firmen, die in ihren Geschäftsmodellen versuchen, über einen Plattformansatz eine beherrschende Stellung einzunehmen – im Sinne von die Idee „der Gewinner nimmt alles mit“. Ich glaube nur, das funktioniert heute nicht mehr.
Niemand wird sich in die Plattformabhängigkeit eines anderen Unternehmens begeben. Das ist meiner Ansicht nach antiquiertes Vorgehen.Sven Hamann, CEO Bosch Connected Industry
Was ist ihr konkreter Beitrag zur Open Manufacturing Plattform?
Wir haben beispielsweise das Nexeed Industrial Application System oben. Da versuchen wir eine offene Plattform darzustellen. Unsere Partner können ihre Module dort einbringen. Hinter ihren Modulen haben sie auch ihr eigenes Geschäftsmodell, eigene Lizenzen und können das wirtschaftlich darstellen.
Zu Nexeed wollte ich ohnehin noch kommen. Sie bieten die Software ja seit drei Jahren auch für externe KundInnen an. Was hat zu dem Schritt geführt, damit nach außen zu gehen?
Die Gründung der Bosch Connected Industry war damit verbunden, dass wir aus vielen Jahren der Erfahrung bei Bosch in den 250 Eigenwerken weltweit Digitalisierungslösungen eingeführt haben. Und wir haben im Gründungsjahr 2018 gesagt, wir wollen diese Erfahrungen und Lösungen auch PartnerInnen zur Verfügung stellen. Aber das sind nicht nur reine Softwarelösungen.
Was ist es dann?
Wir versuchen ein ganzheitliches Angebot anzubieten, nämlich die Beratung davor im Sinne eines Produktionssystems über Lean Production, Off-Shopfloor-Optimierung vorzunehmen und das ergänzen durch digitale Lösungen. Da geht es auch um die Qualifikation von MitarbeiterInnen. Wir möchten einen Change-Prozess in den Firmen antreiben, sodass sie den Wandel in die Digitalisierung schaffen.
Was sind Auslöser, warum KundInnen zu Ihnen kommen?
Wir stellen jetzt gerade fest, dass die Krise durch die Pandemie zu einem richtigen Boost in der Digitalisierung geführt hat. Es hätte ja auch anders sein können – eine Krise bedeutet ja, dass viele Firmen in einer wirtschaftlich schwierigen Situation stecken. Aber wir sehen genau das Gegenteil. Der Haupttreiber dabei ist die Wirtschaftlichkeit.
Spielen hier mittlerweile auch Nachhaltigkeitsziele eine Rolle?
Bosch ist das erste globale Industrieunternehmen, das seit 2020 CO2-neutral ist, und zwar für alle Werke und Entwicklungsstandorte weltweit. Aus der Erfahrung heraus haben wir gesehen, dass das kein Widerspruch sein muss. Ich kann sehr wohl Ziele verfolgen, wie Wirtschaftlichkeit, Wettbewerbsfähigkeit, Produktivitätssteigerung auf der einen und Energieeinsparung, Verschwendungsminimierung auf der anderen Seite.
Ein Thema, das zurzeit auch sehr stark diskutiert wird, ist 5G. Wie viel Hoffnung stecken Sie in diese Technologie?
Grundsätzlich finde ich es immer schwierig, sich eine Technologie herauszugreifen und zu sagen: das ist die Silverbullet. Es sind oft Kombinationen aus verschiedenen Technologien. Aber ich gehe davon aus, 5G wird sich durchsetzen und vor allem im Bereich Connectivity eine große Rolle spielen. Ein typisches Anwendungsfeld ist zum Beispiel eine Montageaufgabe in einer großen Halle. Wir haben eine Schrauberlösung, da muss ein Mitarbeiter mit dem Schrauber an verschiedenen Stellen eine Aufgabe lösen. Heute möchten wir die kompletten Daten aus jedem Schraubfall speichern und auswerten können. Das sind teilweise sehr große Datenmengen und das schaffen wir nur über 5G. Und eine andere Anwendung ist mobile Robotik. Da kann man offline die Optimierung von Routenplanungen vornehmen und diese dann auf den Roboter laden. In Bosch-Werken laufen bereits die ersten Piloten, wo wir ein 5G-Netzwerk aufgebaut haben und dort Erfahrungen sammeln.
Gibt es auch eine Entwicklung in Richtung mehr Effizienz des Datensammelns?
Ich sehe hier zwei Trends.
Zum einen: gezielter zu entscheiden, welche Daten ich langzeitarchiviere und welche wirklich von Bedeutung sind. Da werden Entscheidungen dazu wieder mehr von der Cloud in die Linie rutschen. Zum Beispiel über Edge-Lösungen, wo ich wieder näher an der Produktion dran bin.
Und der zweite Trend ist das, was man aus der anfänglichen Big Data-Euphorie gelernt hat: die ganzen Daten sind oft Datengräber, weil die Bedeutung dahinter oft nicht erkennbar ist. Daher ist es sinnvoll den Daten eine semantische Struktur, also eine Bedeutung zu geben. Sei es in Bezug auf die Temperatur, den Nutzungsgrad etc. Denn wenn ich die Daten nicht nur als Daten, sondern mit einer Semantik speichere, dann kann ich sie danach weiterverwenden.
Gibt es da noch viel Aufholbedarf beim Know-How der KundInnen?
Ja, meiner Meinung nach ist das eine der größten Herausforderungen, vor denen wir in Europa stehen: die Qualifikation und Weiterbildung der MitarbeiterInnen. Unsere Erfahrung nach ist das auch entscheidend für den Erfolg von Digitalisierungsprojekten. Das heißt, Unternehmen sollten in einer sehr frühen Phase die MitarbeiterInnen einbinden, ihnen Gestaltungsmöglichkeiten geben, ein Angebot zur Weiterbildung machen. Der Mitarbeiter ist im Verbesserungsprozess der größte Schatz, den man als Betrieb hat. Und je mehr Qualifikation er hat, desto offener ist er selber gegenüber Veränderungen und desto besser kann er mitgestalten.