Kolumne von Michael Fälbl : Die Bedeutung von Wikipedia für die Produktion
Eine Jugendliche in der Steiermark sucht eine Lehrstelle bei innovativen Betrieben in der Region. Ein Einkäufer in Zentralasien recherchiert zu Anlagenbauern für nachhaltige Produktionsverfahren. Eine Wissenschaftlerin in Spanien sucht nach potenziellen Forschungspartnern in ihrem Bereich. Für ihre Anfragen nutzen sie Suchmaschinen, Sprachassistenten oder KI-gestützte Chatbots.
Bestmögliche Antworten zu liefern ist das Verkaufsargument dieser digitalen Werkzeuge, die Auswahl der für die Antworten benötigten Informationen ihre Kernkompetenz. Vertrauenswürdige Informationen zu finden, stellt heute eine zunehmende Herausforderung dar. Worauf stützen sich also die Ergebnisse von Google, Siri oder ChatGPT?
Die Wikipedia als Fundament digitalen Vertrauens
Im Detail wissen wir nicht, wie Suchergebnisse zustande kommen – das ist das wohlgehütete Geschäftsgeheimnis großer Technologieunternehmen. Einige Eckpfeiler sind aber bekannt: Als vertrauensvolle Quellen gelten wissenschaftliche Einrichtungen, etablierte Medien oder demokratisch legitimierte Institutionen, in Österreich z.B. Webseiten mit gv.at-Endung. Eine weitere zentrale Informationsbasis für die genannten Dienste: Wikipedia.
Während die Idee eines Online-Lexikons, das von jedem Menschen bearbeitet werden kann, in den frühen 2000er Jahren noch als abstrus abgetan wurde, hat sich Wikipedia mit der Ausbreitung des Internets professionalisiert und als Fundament digitalen Vertrauens etabliert. Die Inhalte der Enzyklopädie, die permanent von einer offenen und aktiven Gemeinschaft kontrolliert werden, gelten heute als der gemeinsame Informationsnenner der digitalen Gesellschaft. Wikipedia-Artikel bilden daher die Grundlage moderner Dienste, z.B. die Google Infobox oder zahlreiche KI-Modelle.
Wieso sollte das die österreichische Produktion interessieren?
Österreichs produzierende Betriebe und die produktionsnahen Forschungseinrichtungen genießen einen sehr guten Ruf. Viele von ihnen sind innovativ und spezialisiert, werden oft als „Hidden Champions“ bezeichnet. In Österreich gibt es viele Organisationen, die über weltweit gefragtes, durch Patente oder wissenschaftliche Publikationen bestätigtes, Fachwissen verfügen. Dieses kann z.B. spezifische Produktkategorien, Produktionsverfahren oder internationale Standards betreffen.
Solche Unternehmen oder Einrichtungen und ihr Spezialwissen können für eine Enzyklopädie wie Wikipedia relevant sein. Häufig sind diese dort aber nicht oder nur sehr unzufriedenstellend auffindbar – die Jugendliche, der Einkäufer oder die Wissenschaftlerin werden dann höchstwahrscheinlich bei ihren Suchanfragen nicht darauf hingewiesen. So entgehen österreichischen Institutionen potenzielle Fachkräfte, Kunden oder Partnerschaften.
Kein Ort für Eigenwerbung und Marketingsprech
Nur eine kleine Zahl von Informationen ist für Wikipedia geeignet. Wann ein Unternehmen einen eigenen Eintrag haben kann, ist klar definiert. Für Quellenangaben gelten strikte Kriterien, Ihre Firmenwebseite ist z.B. keine geeignete Informationsbasis für Wikipedia-Artikel. Im Marketing übliche Formulierungen, z.B. ausschmückende Adjektive oder das Wort „Hidden Champion“, haben keinen Platz. Der Versuch der Eigenwerbung wird strikt und öffentlich einsehbar geahndet, bezahltes Schreiben – dazu gehört auch das Bearbeiten von Artikeln in der Arbeitszeit – ist nur unter Einhaltung strenger Regeln erlaubt.
Für viele Unternehmen oder Forschungseinrichtungen kann die Arbeit mit Wikipedia dennoch interessant sein. Dabei geht es nicht nur um das Sichtbarmachen von Kompetenz oder Relevanz. Es geht auch darum, in Zeiten zunehmender Fehl- und Desinformationen zu einer demokratischen Informationsbasis unserer Gesellschaft beizutragen. Dabei kann und sollte man ganz klein anfangen – machen Sie mit!