Im Gespräch: Patrick Enzinger : Der Green Deal ist doch tot, oder?

Patrick Enzinger ist Gründer und CEO der Unternehmensberatung greenapex. Er verfügt über 17 Jahre Erfahrung in der Energiewirtschaft und war Mitgründer und CEO des Corporate-Start-ups „Smart Inspection“, der Wiener Stadtwerke und Wien Energie. Er unterstützt Unternehmen bei der Entwicklung innovativer sowie nachhaltiger Projekte und dem Aufbau internationaler Joint Ventures.
- © greenapexDer Green Deal wurde von der EU-Kommission verwässert und umetikettiert. Sind wir nicht Zeugen eines Rückzugs von der industriellen Nachhaltigkeit?
Patrick Enzinger: Nein, ich sehe eher eine Verlangsamung des Prozesses. Der Green Deal – der durch den Clean Industrial Deal ergänzt wurde – verfolgt nach wie vor das langfristige Ziel, Europa zum ersten klimaneutralen Kontinent zu machen. Dies erfordert Maßnahmen auf allen Ebenen: Organisationen, Institutionen und Unternehmen. Es geht um CO₂-Reduktion, aber auch um Menschenrechte in Lieferketten. Ja, einige Regelungen wurden durch die sogenannte Omnibus-Verordnung abgeschwächt oder verzögert. Aber zentrale Elemente wie die Lieferkettenverordnung gelten ab 2028. Und auch wenn zum Beispiel Deutschland einige Verpflichtungen aussetzt, sehe ich keine grundsätzliche Abkehr. Vielmehr musste vielen Unternehmen mehr Zeit eingeräumt werden – selbst große Konzerne waren mit der Umsetzung überfordert. Das heißt aber nicht, dass man das Thema aufgeben sollte. Eine ernsthafte Nachhaltigkeitsstrategie braucht Vorbereitung und ist mit viel Aufwand verbunden.
Die europäische Industrie steckt immer noch tief in der Rezession. Ist es unter diesen Umständen sinnvoll, an Nachhaltigkeitsstrategien festzuhalten?
Enzinger: Ja – und zwar genau deswegen. Man muss langfristig denken. Es geht um Risikomanagement. Viele denken zuerst an die Kosten. Es geht aber darum, sich ernsthaft zu fragen: Was passiert, wenn ein Lieferant in der dritten Reihe ausfällt – zum Beispiel dort, wo die Rohstoffe produziert werden? Im schlimmsten Fall kann das Unternehmen dicht machen. Vorbereitung ist das A und O. Es geht nicht darum, sofort eine komplette Strategie umzusetzen, sondern sich gut aufzustellen. Auch global tut sich einiges: China arbeitet intensiv an eigenen Nachhaltigkeitsstandards. Und langfristig können Unternehmen, die sich jetzt vorbereiten, Wettbewerbsvorteile durch effizientere Prozesse, günstigere Rohstoffe oder geringeren Aufwand erzielen.
Clean statt Green
Der Clean Industrial Deal verschiebt den Fokus vom langfristigen Rahmenmodell des Green Deal hin zu kurzfristigen industriepolitischen Maßnahmen: Er beschleunigt Zulassungsverfahren für grüne Technologien, fördert mit milliardenschweren Fonds Investitionen in saubere Produktionsprozesse und erleichtert staatliche Beihilfen für klimafreundliche Innovationen. Gleichzeitig werden bürokratische Hürden, etwa bei der Nachhaltigkeitsberichterstattung für KMU, abgebaut, ohne das übergeordnete Ziel der Klimaneutralität aus den Augen zu verlieren. Insgesamt soll so die europäische Industrie effizienter werden, Rohstoffkreisläufe stärken und Europa im globalen Wettbewerb behaupten.
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Kritiker bemängeln, dass der Clean Industrial Deal vor allem auf Anreize und Subventionen für Großkonzerne setzt, während verbindliche Vorgaben und Kontrollmechanismen zur Durchsetzung der Klimaziele fehlen. Zudem befürchten viele, dass die Lockerung der Berichtspflichten für KMU zwar Bürokratie abbaut, aber auch grünes Greenwashing erleichtert und den Druck auf tatsächliche Emissionsminderungen mindert.

Was sind die konkreten Alleinstellungsmerkmale für Europa?
Enzinger: Nehmen wir als Beispiel die Bauwirtschaft, wo Sand – ein zentraler Rohstoff für Beton – knapp wird. Deshalb denkt man über Kreislaufwirtschaft und Recycling nach. Es geht darum, Ressourcen zu schonen und Nachhaltigkeit als Teil der Unternehmensstrategie zu begreifen. Hier ist Europa vielen anderen Regionen voraus. Und das zahlt sich langfristig aus.
Die hohe bürokratische Belastung sorgt für Kritik, die vor allem KMU kaum stemmen können. Wie sollen sie mit den Pflichten umgehen?
Enzinger: Der erste Schritt ist, sich zu informieren: Welche Anforderungen gelten konkret für das eigene Unternehmen? Für die meisten KMU wird die große CSRD nicht gelten. Aber es gibt den VSME (Voluntary Standard for Small and Medium Enterprises). Ein freiwilliger, schlanker Standard, der in Europa gerade Fuß fasst. Er bietet klare Vorgaben mit vergleichsweise weniger Aufwand. Leider ist das „freiwillig“ irreführend. Denn der Druck auf KMU wächst - etwa durch Banken, die bei der Kreditvergabe einen Nachhaltigkeitsnachweis verlangen. Auch Großunternehmen fordern von ihren Zulieferern Nachhaltigkeitserklärungen, unterstützt durch die ab 2028 EU-weit geltenden Lieferkettenverordnungen. Und auch in der Kommunikation nach außen ist Vorsicht geboten. Die Green-Claims-Richtlinie der EU geht entschieden gegen Greenwashing vor. Wer etwa ein Produkt als klimaneutral bezeichnet, muss das in Zukunft auch belegen können.
Wichtig ist, dass es im Unternehmen eine Person gibt, die für das Thema verantwortlich ist.
Immer mehr Unternehmen müssen Nachhaltigkeitsberichte veröffentlichen. Bringen sie wirklich etwas – oder sind sie nur PR?
Enzinger: Ein Nachhaltigkeitsbericht kann viel bewirken – wenn er fundiert ist. Wenn ich mich am VSME orientiere, zeige ich, dass ich Nachhaltigkeit im Unternehmen ernst nehme. Das geht weit über PR hinaus. Es ist die Basis für Ausschreibungen, für Kundenbeziehungen – zum Beispiel in der Automobil-Zulieferkette. Aber es darf nicht bei einem Bericht bleiben. Eine ehrliche Auseinandersetzung mit Risiken, Chancen und Auswirkungen - das ist der Schlüssel.
Mit Ihrem Unternehmen beraten Sie Unternehmen bei der Entwicklung und Umsetzung von Nachhaltigkeitsstrategien. Mit welchen Unternehmen haben Sie zu tun?
Enzinger: Ich arbeite mit Unternehmen jeder Größe – von Start-ups bis hin zu Konzernen. Ursprünglich komme ich aus der Start-up-Szene und habe mit Wien Energie „Smart Inspection“ gegründet. Schon damals war Umweltmonitoring ein Teil unseres Portfolios. Das hat mich motiviert, mich selbstständig zu machen und mich voll und ganz dem Thema Klimawende und Green Deal zu widmen. Heute unterstütze ich Unternehmen branchenübergreifend bei der Nachhaltigkeitsberichterstattung und Strategieentwicklung. Mein Hintergrund ist technisch: Ich habe 17 Jahre in der Energiewirtschaft gearbeitet und kenne die Branche daher sehr gut.
Wie läuft der Prozess der Entwicklung einer Nachhaltigkeitsstrategie ab?
Enzinger: Wir beginnen mit einer Bestandsaufnahme. Ein Beispiel: Ein Unternehmen möchte ein gutes Ecovadis-Rating erreichen. Oft sind schon viele Daten vorhanden, aber nicht vollständig. In einem Workshop identifizieren wir dann die relevanten Themen - Umwelt, Soziales, Governance. Daraus entwickeln wir Ziele, zum Beispiel CO₂-Reduktion, Diversity oder faire Bezahlung. Diese Ziele fließen in die Unternehmensstrategie ein. Wichtig ist, dass es im Unternehmen eine Person gibt, die für das Thema verantwortlich ist – auch in kleinen Unternehmen. In größeren Unternehmen arbeiten wir in interdisziplinären Teams. Viele Daten – etwa zum Arbeits- und Gesundheitsschutz – sind ohnehin schon vorhanden. Wir helfen, diese effizient zu strukturieren.

Instandhaltungstage 2025: Ein Muss für Fach- und Führungskräfte
Patrick Enzinger wird über ESG-Reporting als Schlüssel zum Erfolg im Rahmen der Instandhaltungstage 2025 einen Vortrag halten. Die Veranstaltung bietet an drei Tagen ein abwechslungsreiches Programm, das intensive Fachtrainings, spannende Vorträge, Workshops und Diskussionen umfasst. Zudem präsentieren ausgewählte Aussteller Produkt- und Dienstleistungsinnovationen, die zur Effizienzsteigerung in der Instandhaltung beitragen.
Vom 3. bis 5. Juni verwandelt sich das Wyndham Grand Salzburg Conference Centre in den Hotspot für Innovationen und strategischen Austausch rund um Instandhaltung und Asset Management.
Alle weiteren Informationen und Anmeldung: Instandhaltungstage 2025
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Das klingt stark nach Change-Management. Wo setzen Sie konkret an?
Enzinger: Am Anfang im Management. Dort braucht es das Commitment. Im nächsten Schritt – zum Beispiel mithilfe der doppelten Wesentlichkeitsanalyse – beziehen wir weitere Mitarbeitende mit ein. Später, bei der Datenerhebung, braucht es Ansprechpartner in den Fachabteilungen, etwa in der Produktion. Nur so lebt das System.
Welche Rolle spielen Instandhalter, um Nachhaltigkeitsprojekte in der Industrie umzusetzen?
Enzinger: Eine zentrale Rolle. Durch Industrie 4.0 liegen viele Daten bereits digital vor – etwa zum Energieverbrauch oder zur Effizienz von Maschinen. Diese Daten können für die Nachhaltigkeitsberichterstattung genutzt werden. Wichtig ist, keine Parallelstrukturen aufzubauen. Stattdessen sollten bestehende Systeme intelligent angezapft werden. Und: Die größten Hebel zur Zielerreichung liegen in den Prozessen – also in Produktion und Instandhaltung. Wer dort die Stellschrauben erkennt und nutzt, kann CO₂-Emissionen und Energieverbrauch deutlich senken. Schlüsselpersonen sind dabei die Betriebsleiter und Instandhalter. Sie kennen die Prozesse im Detail – das Management oft nicht. Ihr Know-how ist entscheidend, um Nachhaltigkeit wirklich im Unternehmen zu verankern.