Maintenance : Wie organisiert man die Instandhaltung?
FACTORY: Herr Aichinger, sind Sie Team zentral oder dezentral?
Michael Aichinger: Ich habe in beiden Organisationsformen der Instandhaltung gearbeitet und ich bin ein Befürworter der zentralen Instandhaltungs-Organisation. Interessanterweise haben beide Formen meiner Erfahrung nach etwa gleich viele Anhänger und die Diskussion darüber kann durchaus sehr emotional werden. Vor- und Nachteile sind der jeweiligen Organisationskultur geschuldet.
Bei Evonik Fibres in Österreich ist die Instandhaltung zentral organisiert?
Aichinger: Ja. Mit den beiden Standorten in Lenzing und in Schörfling haben wir ja eine spezielle Situation. An beiden Standorten gibt es unterschiedliche Techniker in ihren Kompetenzen, Maschinenbau und Elektrotechnik. Dennoch organisiert sich das Team wirklich zentral: Als Beispiel: Nach der morgendlichen Planung holen wir uns die Kompetenzen an den Standort, wo wir Bedarf haben.
Wir arbeiten sehr bedarfsbezogen und setzen die Ressourcen sehr gezielt ein. Die beiden Standorte sind rund fünf Kilometer von einander entfernt, die gezielte Unterstützung geschieht also sehr rasch. Ich bin daher der Meinung: Wenn ein sehr gutes Planungstool im Einsatz ist und man danach wirklich lebt und die Ressourcen so gezielt verteilt, funktioniert zentrale Organisation am effizientesten.
Welche Vorteile hat denn eine dezentrale Organisation der Instandhaltung?
Aichinger: Man hat den Maschinen- oder Anlagenspezialisten in jedem Team, also die Ressource ist jederzeit verfügbar. Der Spezialist hat seine Anlagen, arbeitet nur auf denen, kennt sie nahezu auswendig. Somit kommt der Nachteil der dezentralen Instandhaltung ins Spiel. Sollten wo Hot-Spots bei Störungen/Umbauten auftreten, gibt es meist – aus meiner Erfahrung – zwischenmenschliche Probleme unter den Teams. Es wird keine Unterstützung betrieben, und somit schafft man eine Kultur der Instandhaltungs-Spaltung. Die zentrale Organisation kann sehr rasch eine hohe Verfügbarkeit an Ressourcen zusammenziehen. Ähnlich unserer Organisation. Einander auszuhelfen, ist hier selbstverständlich.
Wie entgeht man bei mehreren Standorten dem Gefühl, dass bei Problemen die „Gescheiten aus der Zentrale“ anrücken?
Aichinger: Ich war für einen Konzern europaweit an Standorten in Instandhaltungs-Teams tätig. Und mein Zugang zur Technik war ein sehr einfacher: Das Zauberwort heißt Bodenständigkeit, einige Tage bzw. Wochen operativ mit dem Team tätig sein, schaffte ein großes Vertrauen. Und konnte zeigen, dass ich auch aus der Praxis komme. So entsteht Diskussion auf Augenhöhe. Ich denke nicht, dass jemand das Gefühl hatte, hier komme der „Gescheite“, der keine Ahnung hat.
Ich gehe davon aus, dass Digitalisierung eine Voraussetzung für zentrale Organisation ist?
Aichinger: Definitiv. Dennoch, das beste Instandhaltungs-Tool ist nicht die alleinige Lösung für Probleme im Bereich der Instandhaltung. Es ist eine wichtige Begleitmaßnahme, die die Arbeit der Instandhalter wesentlich vereinfacht. Mit Transparenz und gewachsener Historie, dem Zugriff auf Zeichnungen und Pläne bzw. der gezielt geplanten Ressourcenplanung, gibt es dem Instandhalter die Stützen, die er im Arbeitsalltag benötigt. Entscheidend ist, fern von jeglicher Digitalisierung, die zwischenmenschliche Beziehung innerhalb des Teams – Einer für Alle und Alle für Einen.
Welchen Stellenwert hat denn in der zentralen Organisation das berühmte „Bauchgefühl“ der langjährigen Instandhaltungs-Mitarbeiter? Ist das hier schwieriger zu erhalten?
Aichinger: Das ist nur eine Frage der Unternehmenskultur. Ich habe selbst sehr erfahrene Kollegen, die beim Betreten des Lüfterhauses sofort bemerken, wo sich ein Lagerschaden ankündigt. Hier findet tagtäglich ein Wissenstransfer an jüngere Kollegen statt. Der klassische Instandhalter mit Erfahrung und Bauchgeführt hat immer noch hohen Stellenwert, wenn er seine Erfahrung teilt – aus meiner Sicht in allen Organisationsformen.
Wo endet die sinnvolle Zentralisierung der Instandhaltung bzw. die Eigenständigkeit?
Aichinger: Ich denke, hier muss unterschieden werden zwischen der operativen Instandhaltung, welche als zentrale Organisation an den Standorten geführt wird, und dem Konzernstandard, welcher zentral für mehrere Standorte als Richtwert gilt. Somit ist die zentrale Organisation selbst sprech- und handlungsfähig und nimmt sich die Tools aus dem Konzern, die auch hilfreich sind. Es gibt aber auch Unternehmen, welche ihre Instandhaltungen weiter in die Konzernebenen hierarchisch binden.
Sie haben das erlebt?
Aichinger: Ich kenne durchaus Unternehmen, in deren zentrale Instandhaltungs-Standards nicht nur vorgegeben werden, sondern an Standorte verbindlich diktiert werden. Ein solches System spricht mich gar nicht an.
Sie haben gemeint, die Diskussion über die Organisationsform werde manchmal sehr emotional. Warum eigentlich?
Aichinger: Ganz klar ist mir das nicht immer. Es hat wohl viel mit der Unternehmenskultur zu tun. Bei sehr hierarchisch organisierten Unternehmen mit vielen Zwischenebenen ist auch die Instandhaltung dementsprechend organisiert. In einem solchen Umfeld erfährt eine zentralisierte Instandhaltung eher keine Akzeptanz der Mitarbeiter. Jeder für seinen Bereich.
Ich bin überzeugt, dass die zentrale Instandhaltung etwas „hemdsärmeliger“ und auf der zwischenmenschlichen Ebene funktioniert. Sie muss von einer Kultur getragen sein, in der man einander aushilft, sich für die anderen und ihre Probleme interessiert.
Und genau deshalb werden die „klassischen“ Instandhalter nicht aussterben. Ganz im Gegenteil. Gerade in den zentralen Instandhaltungen fühlen sich diese gut aufgehoben und geben auch gerne ihr Wissen weiter. Und das ist Gold wert. Ich bin stolz, Teil einer solchen Organisationsform zu sein.
Erleben Sie Michael Aichinger auch bei der 8. Instandhaltungskonferenz am 14. September 2021 in der voestalpine Stahlwelt in Linz!
Alle Informationen unter instandhaltungskonferenz.com