Plattformökonomie : Überall Plattformen - wer, wie, was, wofür?
Eigentlich sollte der Ball zur EM schon 2020 rollen. Doch die Pandemie machte den Fans und den Veranstaltern der EM 2020 einen Strich durch die Rechnung. Nicht nur die Fans trauerten damals, auch die Getränkeabfüller sorgten sich. Mancher investierte im Vorjahr Geld in neue Maschinen und Anlagen – so auch in Umrichtertechnologie von Danfoss. Produziert haben die Anlagen dann weniger als erwartet. Der Unternehmer schrieb die Maschinen ab, blieb auf Kosten sitzen. „Für ihn wäre doch Pay-By-Use in diesem Fall genial gewesen“, meint Andreas Schmidt von Danfoss. Er kümmert sich unter anderem um neue Geschäftsmodelle bei Danfoss Drives in der Region Zentraleuropa. „Das muss auch kein Nachteil für Danfoss sein. Umsätze verschieben sich über den Lebenszyklus des Umrichters und wir können gleichzeitig Services anbieten“, ergänzt Schmidt. Umrichter as a Service? „Warum nicht?“, fragt der Danfoss-Manager.
B2B-Plattformwelt: Kundenzentrierung fehlt oft noch
Prof. Dr. Heiko Gebauer vom Fraunhofer IMW beschäftigt sich seit einigen Jahren mit neuen Geschäftsmodellen, Plattformen und Ökosystemen in der Industrie. Für ihn ist klar: „Ohne Ökosystem wird eine Plattform nicht funktionieren.“ Zu oft würden Unternehmen Plattformen mit Marktplätzen gleichsetzen, so der Wissenschaftler. Eine Plattform sei aber viel mehr, sie sollte auch ein Innovationshub sein, wo man mit Kunden und Partnern neue Geschäftsmodelle entwickelt. „Wir müssen auch auf der Plattform immer wieder das Kundenproblem lösen.“ Zu oft seien bislang Plattformen um das tonangebende Unternehmen herum entwickelt worden. „Ein Logo in die Mitte und drum herum ein paar Helfer und schon steht die Plattform. So geht das aber nicht. Wir müssen auch Wettbewerber zulassen, müssen die Fragen des Kunden beantworten“, mahnt Gebauer.
Nischen-Plattformen
‚Coopetition‘ ist das neue Zauberwort. Schmidt sieht das ähnlich. „Klar will jeder gerne das tonangebende Unternehmen sein, aber wenn wir Wettbewerber ausschließen, dann ist unsere Plattform für Kunden nicht attraktiv genug, sie zu nutzen. Der Kunde entscheidet, wo er sich engagiert.“ Und das, da sind sich Gebauer und Schmidt einig, geschieht nicht nur auf einer Plattform. „Es gab in der Industrie die Bestrebungen alles abzudecken, aber viele Anbieter haben dazugelernt“, erklärt der Forscher. Er ist sich sicher: Auch die kleinen Unternehmen besuchen die Plattformen. „Die sind vielleicht viel agiler. Da entscheidet der Inhaber persönlich, ob er mitmachen will oder nicht. Ich würde den Mittelstand nicht unterschätzen.“
„Ohne Ökosystem wird eine Plattform nicht funktionieren."Prof. Heiko Schmidt
Wandel in der Unternehmenskultur als Grundlage
Danfoss-Mann Schmidt bestätigt das: „Die Kunden fragen nach und es entstehen erste Plattformen.“ Auf das Unternehmen kommen neue Herausforderungen zu: „Wir verkaufen auf diesen Plattformen aber nicht einfach nur unsere Umrichter. Wir müssen darüber nachdenken was es bedeutet, dass die technischen Möglichkeiten es erlauben, Hard- und Software voneinander zu trennen. Den Umrichter wird es auch in zehn Jahren noch geben, aber die Individualisierung der Software gewinnt an Bedeutung. Vielleicht liefern wir in Zukunft noch Frequenzumrichter mit einer Grundsoftware und Applikationsbibliotheken, aber für weitere Anwendungen entwickelt sich eine Plattform, auf der Kunden sich mit Entwicklern austauschen und Geschäft machen können.“ Und Danfoss verdient an der Transaktion? „Das könnte eine Einnahmenquelle sein. Services, Subscription-Modelle oder Lizenzen gehören auch dazu. Eine Idee zu entwickeln und Geld zu verdienen ist gar nicht so schwer. Die Herausforderung besteht darin, drei bis vier Vertriebsmodelle gleichzeitig zu fahren“, erklärt Gebauer.
Testen, testen, testen
Auch Keba setzt auf eine Plattformstrategie. Geld wollen die Österreicher mit Lizenzen und Serviceverträgen verdienen. Auch Zulieferer sind Teil von Kemro X. „Unterschiedliche Motoren, werden zuvor alle getestet und dann in die Plattform aufgenommen“, heißt es bei dem Unternehmen. „Kemro X ist ein komplettes Automatisierungssystem – also ein Gesamtsystem für Hard- und Software. Alle mobilen und stationären Panels, unsere Antriebe und Hardwarevarianten und auch das Engineering Tool sind darin integriert. Aufgebaut ist das Ganze in Modulen, die wie Apps auf einem Smartphone genutzt werden können. Diese Module können von KEBA, aber auch Standardmodule aus der Linux Welt sowie kundenspezifische Module sein. Indem Kemro X Linux-basiert und offen ist, können Kunden ganz einfach eigene Software-Bausteine und Software von Drittanbietern integrieren und so Wissen schützen und ihre Unabhängigkeit bewahren. Durch die offene Systemarchitektur können unterschiedliche Systeme genutzt werden, ohne dass der User davon etwas mitbekommt“, erklärt Filip Miermans.
Plattform as a Service
Keba orientiert sich am Kunden – ganz so wie es sich Gebauer wünscht. Die Anwender können selbst Module integrieren bis hinunter zum Betriebssystem-Kern – „es sind keine Grenzen gesetzt und es steht ihnen immer die Entscheidung offen, Teile von Keba zu verwenden oder auch nicht“, versichert Miermans. Und die Hürden? Mit jeder Komponente, die zur Plattform dazukommt, wird der Aufwand, das Testverfahren stabil zu gestalten und zu halten, größer – daher sind automatische Testverfahren aus Sicht von Keba „überlebensnotwendig“. Dazu kam immer wieder die Frage: Wie schnell matchen die Verantwortlichen die Anforderungen der Industrie mit der Plattform?Die Plattform-Idee steckt an. Plattform as a Service (PaaS) ist der nächste Schritt. Dr. Julian Feinauer von Pragmatic Industries geht genau diesen. Im Magazin der Hannover Messe erklärt er seine Idee: Er will den kleinen und mittleren Maschinenbauer die Chancen zu geben, selbst eine Plattform für ihre Kunden zu entwickeln - as a Service eben. In dem Artikel der Messe erklärt Feinauer: „PaaS bedeutet für uns, dass wir den Unternehmen eine Plattform schlüsselfertig bereitstellen, die diese direkt nutzen können. Die Plattform ist installiert und vorkonfiguriert und kann dann von den Kunden weiter individualisiert werden und an die eigenen Bedürfnisse und Prozesse angepasst werden.“ Auf dieser Plattform kann dann der Maschinenbauer selbst Applikationen und digital Services anbieten oder er öffnet die Plattform für andere Anbieter von Softwarelösungen. Auch Feinauer und sein Team liefern Anwendungen in die Kundenplattformen, die auf einer IONOS Cloud läuft. Ob as a Service selbst oder als Anwender – an den Plattform-Gedanken wird sich die Industrie gewöhnen – kleine und große Unternehmen.