Teile-Ökonomie : Wie viel Potenzial Machine Sharing wirklich hat
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Es dauert nur wenige Minuten. Wer eine Anfrage auf Europas größtem Online-Marktplatz für Zeichnungsteile stellen will, hat das rasch erledigt. Ein paar Daten zum eigenen Unternehmen, so genau wie möglich den gewünschten Auftrag eingeben – und dann heißt es: kurz warten. Denn „Techpilot“ funktioniert nicht wie andere Online-Plattformen, hier wird nicht alles unkontrolliert online gestellt. „Wir sind kein anonymes Vermittlungsservice. Anfragen werden nicht nur online gestellt, sondern auch an all jene Zulieferer in unserer Datenbank weitergeleitet, die sich dafür interessieren könnten“, erklärt Markus Hegewald. Bevor das passiert, wird die Anfrage überprüft: Sind alle wesentlichen Maße und Angaben vorhanden? Gibt es Angaben zu dem Interessenten? Oder handelt es sich gar um eine Scherzanfrage? Lauter Fragen, die Hegewald und seine 26 Kollegen bei seiner täglichen Arbeit beschäftigen.
Dieses Service scheint der Schlüssel zum Erfolg von „Techpilot“ zu sein. Denn während andere Industrie-Plattformen im Lauf der Jahre wieder verschwunden sind – oder nie Fuß gefasst haben - , ist das deutsche Unternehmen nun seit mittlerweile 15 Jahren am Markt. Unter den 16.000 Zulieferern, die dort aktuell registriert sind, befinden sich Marktgrößen wie Palfinger oder Voith, aber auch kleine Unternehmen wie die Giesshammer Metalltechnik aus Salzburg oder die oberösterreichische GS KunstForm aus St. Lorenz. Doch der Erfolg kommt nicht automatisch: Wer hier konkrete Aufträge lukrieren will, muss nicht nur Geld, sondern auch Zeit investieren.
Start-up CNC Monster geht noch einen Schritt weiter
Nicht nur vermitteln, sondern auch die Daten des Unternehmens analysieren: Die Online-Plattform des Start-Up-Unternehmens „CNC Monster“ aus Amstetten geht noch einen Schritt weiter. So haben die beiden Jungunternehmer Daniel Auer und Robin Enzlmüller eine Online-Plattform für die metallverarbeitenden Industrie geschaffen, in der die gesamte Fertigungskette des jeweiligen Unternehmens digitalisiert wird. Maschinendaten, Laufzeiten von Aufträgen und Werkzeugverbrauch werden digital erfasst, um gezielt Aufträge zu lukrieren. „Mit Hilfe der Online-Plattform können Teile gedreht und gefräst werden ab der Stückzahl Eins. Ein Auftraggeber gibt seinen Wunsch in ein Formular ein und bekommt transparente, vergleichbare und schnelle Angebote, auch kurzfristig“, erklärt Auer.
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Kapazitätsbörsen werden sich verbreiten
Der passende Zulieferer per Mausklick: Ist das die Zukunft? Christian Lerch, Leiter des Geschäftsfelds Industrielle Innovationsstrategien im deutschen Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung, hält das durchaus für möglich. Und mehr als das, er sieht die Branche bereits in diese Richtung gehen: „Es ist davon auszugehen, dass sich Kapazitätsbörsen im Bereich von Standardprodukten weiter verbreiten.“ Mit Hilfe von Online-Plattformen lassen sich Transaktionskosten so stark reduzieren, dass das Teilen von Kapazitäten in Zukunft wirtschaftlich attraktiv wird. „Im Bereich von Nischen- und Kleinserien-Produkten muss man die Entwicklung allerdings erst noch abwarten“, so Lerch.
„Machine Sharing“ bei Kuckucksbrauerein
Online-Plattformen wie „Techpilot“ könnten auch die Basis für den nächsten großen Trend in der Industrie sein: das „Machine Sharing“. Denn die Unternehmen bieten hier nicht nur ihre Leistungen als Fertigungsbetrieb an, sondern auch ihre Maschinen. Produktionsanlagen zum Mieten sozusagen. In manchen Bereichen werde dieses Modell bereits erfolgreich umgesetzt, so Lerch: „Bei mobilen Maschinen und Anlagen ist die Hürde aufgrund der Mobilität relativ gering, und wird in manchen Bereichen seit Jahren schon umgesetzt. Denken Sie nur an die Land- und Forstwirtschaft oder den Verleih von Baumaschinen.“ Aus Kostengründen sei damit zu rechnen, dass sich diese Entwicklung in der Industrie fortsetze: „Bei stationären Maschinen und Anlagen wird es in Zukunft darum gehen, teure Leerkapazitäten zu vermeiden sowie Spitzenlasten über andere Maschinen auszulagern und somit die Anlagennutzung zu teilen.“ Dafür gebe es auch schon etliche erfolgreiche Beispiele: „Eine neue Entwicklung sind hier die sogenannten Kuckucks-Brauereien: Der Kunde kommt zum Hersteller, um überschüssige Produktionskapazitäten vor Ort zu nutzen. Anders als bei der Lohnfertigung oder der Lohnbrauerei werden bei Markenbrauereien dritte Brauereien beauftragt, Biere ihrer Marke herzustellen. Dieses Konzept basiert nicht darauf, dass der Kuckucksbrauer seine Bierproduktion abgibt, sondern darauf, dass die Produktionsanlagen der Gastbrauereien genutzt werden, um selbst sein Bier zu brauen. Häufig kooperieren diese Gastbrauereien mit mehreren Kuckucksbrauern. Mittlerweile gibt es sogar Brauereien, die sich ganz auf Kuckucksbrauer spezialisiert haben, wie die belgische Brauerei De Proef.“
In den letzten Jahren hat sich im Bereich der industriellen Fertigung viel getan, es entstehen neue Varianten des Mietens und Vermietens von Anlagen. „In der Automobilbranche bietet zum Beispiel Schlemmer eine mobile Produktionsanlage an, die in einem Container per Lkw in kürzester Zeit weltweit verlagert werden kann, um vor Ort Bauteile für Automobilzulieferer zu fertigen“, erzählt Christian Lerch. Ist der Auftrag erledigt, fährt die Produktionsanlage zum nächsten Kunden.
Kundennutzen im Mittelpunkt
Digitale Geschäftsmodelle als Schlüssel zum Erfolg: Was der Industrie völlig neue Wege ermöglicht, sorgt auch für Verunsicherung. Viele Betriebe fühlen sich überrollt und wissen nicht, wie sie die ersten Schritte in die Sharing-Economy machen sollen. Daniel Pressl, Experte für digitale Businessmodelle, sagt: „Am besten ist es, sich hinzusetzen, bei Null anzufangen und alles neu zu denken.“ Das übergeordnete Ziel bei allen Überlegungen sollte Transparenz sein: „Der Kunde von heute will Überblick auf Knopfdruck. Wie ein Betrieb auf diese neuen Erfordernisse reagiert, entscheidet darüber, ob er in Zukunft erobert – oder ob er erobert wird.“
Mehr Lachs, wenn der HSV gegen den FCB spielt
Außerdem dürfe man den Kundennutzen nicht aus den Augen verlieren, rät Alois Süssenbacher, Klagenfurter Unternehmensberater mit dem Schwerpunkt Digitalisierung: „Was auch immer ich in meinem Unternehmen ändere, es muss dem Kunden einen Vorteil bringen.“ Das sei beispielsweise einem großen Lieferanten gelungen, der seinen Kunden „Nordsee“ mit der Hilfe von datengetriebenen Services überraschte: Durch die Auswertung der Daten aus den vergangenen 20 Jahren wurde auf Schwankungen in der Nachfrage hingewiesen. „Es hat sich dabei beispielsweise gezeigt, dass der Lachskonsum in Hamburg sprunghaft ansteigt, wenn der HSV gegen den FCB spielt und es gleichzeitig regnet. Der Vorschlag des Lieferanten an den Kunden war dann: Bestellen sie mehr Lachs – und beide Seiten haben davon profitiert.“