Interview : Ritt am toten Pferd

Advicum Daniel Knuchel
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Aufgrund des COVID-19-Schocks werde rund um die Welt versucht, die am Boden liegende Wirtschaft mit milliardenschweren Förder- und Überbrückungsprogrammen zu stabilisieren. Kritik an der aktuellen Förderungspolitik in Corona-Zeiten übt Daniel Knuchel, Partner der Wiener Unternehmensberatung Advicum Consulting. Anstatt künstlicher Maßnahmen zur Lebenserhaltung unter schwierigsten Bedingungen, braucht es eine Rückkehr zum Wettbewerb.

FACTORY: Welche Auswirkung hat Corona auf Österreichs produzierende Industrie?

Daniel Knuchel: Die Corona-Krise eröffnet für mittelständische Unternehmen neue Chancen. Gerade die viele Hidden Champions, die in ihren Nischen Weltmarktführer sind, können davon profitieren. Für andere sieht die Zukunft düster aus. Denn auch wenn alle groß loben, dass sie regional produzieren lassen, das wird nur so lange halten, bis der Preisdruck wieder zunimmt und die globale Produktion wieder zunimmt. Aber wir haben jetzt die Chance, wenn wir schnell genug sind, und mit den richtigen Mitteln ausgestattet werden, unsere Position im Mittelstand auszubauen. In Österreich haben wir, wie in Deutschland und der Schweiz, Qualität und Präzision.

FACTORY: Was ist für den Ausbau des Wettbewerbs nötig?

Knuchel: Gerade jetzt sollte in der Technologieentwicklung nicht gespart werden. Im europäischen Kontext, in dem man sich ja auch ein Stück weit der Digitalisierung und dem Fortschritt verschrieben hat, müssen Unternehmen und die Politik Mitteln in die Forschung und Entwicklung investieren. Derzeit erleben wir das Gegenteil, Förderungen werden flächendeckend nach dem Gießkannenprinzip verteilt. Stattdessen sollten gezielt Unternehmen mit zukunftsfähigen Geschäftsmodellen unterstützt werden.

FACTORY: Handelte die Regierung falsch?

Knuchel: Mitte März musste die Bundesregierung flächendeckend reagieren. Jetzt ist es jedoch an der Zeit, dass Förderungen und Stundungen zielgerichteter zum Einsatz kommen. Insbesondere wenn sich die innovativen und digitalisierten Österreichischen Mittelstandsunternehmen entwickeln sollen. Corona ist ein Stückweit der Katalysator und wir sollten jetzt schauen, dass wir den Speed nutzen und mit viel Intelligenz und gezielten Maßnahmen die eigene Industrie dort hinbringen wo wir hinwollen. Nämlich an die Spitze. Stabilisieren ist grundsätzlich gut aber der privatwirtschaftliche Blick nach vorne ist aus meiner Sicht nicht zu vernachlässigen.

FACTORY: Durch künstliches am Leben erhalten durch Förderungen wird ein Phänomen verstärkt, dass sich bereits seit Jahren abzeichnet: Zombie-Firmen. Was für Konsequenzen werden sich daraus ergeben?

Knuchel: Auf die Phase, die Ende dieses/Anfang nächsten Jahres auf uns zurollen wird, müssen wir uns mit Konsequenz, Fingerspitzengefühl und Mut zur Veränderung vorbereiten statt weiterhin mit dem Füllhorn wahllos Fördergelder auszustreuen.

Statistiken zeigen, die Insolvenzsituation hat sich seit 1995 verändert. Im langjährigen Schnitt gehen zwischen 1,5 bis 2 Prozent der bestehenden Unternehmen eines Jahres insolvent. Warum auch immer diese Unternehmen „Aussterben“, das ist ein notwendiger Selbstreinigungsprozess. In einer Wirtschaft ist das per se gut. Denn wir müssen innovativ sein, wir müssen neu werden.

Sieht man sich die Statistiken an zeigt sich, die Insolvenzraten sinken seit Jahren. Sie sind speziell tief in den Krisen. 2008 gab es wesentlich weniger Insolvenzen als normal. 2020 sind wir bei 0,9 Prozent anstatt von 2 Prozent, Tendenz noch weiter sinkend. Der Grund, derzeit ist alles eingefroren. Die Folge ist, wir stoppen einen wichtigen Reinigungsprozess und das nach zehn Jahren Hochkonjunktur, in denen wir auch nicht viele Insolvenzen gesehen haben.

FACTORY: Was kommt damit auf die Wirtschaft zu?

Knuchel: In der Regel hätten wir 5.000 bis 6.000 Insolvenzen pro Jahr. Doch seit einigen Jahren haben wir pro Jahr ungefähr 1.500 Insolvenzen zu wenig. Durch die Konjunktur und die niedrigen Zinsen gab es einen Insolvenzstau. Über fünf Jahre gerechnet gib es somit rund 7.500 Firmen die seit Jahren keine Gewinne schreiben und dennoch existieren; und das ist sehr konservativ von mir gerechnet.

Jetzt passiert mindestens ein weiteres Jahr nichts. Es wird sogar noch verschlimmert: diese Unternehmen zahle keine Sozialversicherung und müssen keine Steuern abführen. Der Schuldenrucksack wird immer größer. Aber irgendwann muss Normalität einkehren. Was machen jetzt die kranken und toten Firmen, die nochmal sechs Monate auf ihren Rucksack aufgeladen haben? Zurückzahlen? Nein. Sterben? Vielleicht. Oder, der Rucksack wird ihnen erlassen, was dazu führt, dass die gesunden Firmen wieder bestraft werden.

FACTORY: Was wäre für Sie der schlechteste Weg den die Politik einschlagen könnte?

Knuchel: Ich bin kein Hellseher und kann der Politik auch keine umfassenden Ratschläge erteilen. Aus unternehmerischer und privatwirtschaftlicher Sicht würde ich mir jedoch wünschen, dass man gezielt in die Zukunft investiert. Dies bedeutet im Umkehrschluss, dass ich es nicht als positiv erachten, wenn der Selbstreinigungsprozess der Wirtschaft ausgeschlossen wird. Ich bin überzeugt, dass im Wesentlichen diejenigen Unternehmen innerhalb einer Branche, die positiv gearbeitet haben und ihr Geld durch die Krise gebracht haben, die Innovation betrieben haben, nicht benachteiligt werden sollten. Benachteiligung entsteht für mich dadurch, dass ihnen bei einem möglichen Schuldenerlass für andere eine Anzahl an Wettbewerbern gegenüberstehen wird, die es eigentlich nicht mehr geben dürfte.

Wesentlich erscheint mir in diesem Zusammenhang, dass hier mit viel Fingerspitzengefühl und Marktverstand zwischen den unterschiedlichen Branchen unterschieden wird, denn nicht allen Branchen geht es schlecht.

FACTORY: Was wäre die vernünftigste Lösung?

Knuchel: Schön langsam die Stundungen stoppen, Förderungen stoppen und zu lenken, um diesen Abfluss zu kontrollieren. Die toten Unternehmen weiter mitzuschleppen ist wie, wenn ich eine Stauwehr habe und das Wasser steigt und steigt: ich kann mich entscheiden Wasser abzulassen oder warten, bis der Damm bricht.

Es ist ein Irrglaube, dass es schlimm ist, wenn der eine oder andere zusperre muss. Gewisse Dinge braucht wir einfach nicht mehr und dazu zählen auch tote Unternehmen. Vielleicht darf ich ein symbolisches Beispiel geben: wenn wir keine Unternehmen mehr benötigen würden, die Benzinmotoren herstellen, weil die Autos mit Wasserstoff oder Elektrizität fahren. Dann stellt sich die Frage, wie lange will man Motorenhersteller am Leben erhalten, weil es Tradition ist? Wenn sie es nicht wagen sich zu wandeln und Elektromotoren o.ä. herzustellen oder etwas ganz anders zu machen, warum sollen sie dann noch da sein? Eine harte Frage. Die Frage muss sich ein guter Unternehmer aber stellen. Das hat bereits in den Jahren der Hochkonjunktur gefehlt.

FACTORY: Wessen Aufgabe ist es?

Knuchel: Das ist eine ganz einfache Antwort: dazu braucht es keine Regierung oder Interessensvereinigungen, sondern Unternehmer mit Weitblick. Nehmen Sie als Beispiel Nokia. Das finnische Unternehmen ist damals mit seinem Handy zum Weltmarktführer aufgestiegen. Dann ist jemand gekommen mit einem Smart Phone. Was hat Nokia gesagt: „Interessiert uns nicht.“ Wer hätte es wissen müssen? Natürlich der Wirtschaftskapitän: der Geschäftsführer, die Gesellschafter. Keine Regierung. Die Regierung hätte es unterstützen können. Ist aber nicht notwendig, wenn die Wirtschaft gesund ist.

FACTORY: Bedeutet es nicht das letztendlich?

Knuchel: Die Staaten werden weiterleben, aber irgendwer muss diese Schuldlasten abtragen und das werden die nächsten Generationen sein. Deshalb muss man sich die Frage stellen: Was hinterlassen wir der nächsten Generation? Schulden, damit es uns jetzt gut geht?!

Danke für das Gespräch!

Zur Person:

Daniel Knuchel ist Equity-Partner bei Advicum Consulting, einem eigentümergeführten österreichischen Beratungs- und Investmentunternehmen. Der gebürtige Schweizer verfügt über umfassende Erfahrung im Managementconsulting und hält nichts vom künstlichen Am-Leben-erhalten von Unternehmen. Die Entwicklung hin zu einer New Economy, kann nicht mit toten Pferden bestritten werden.