Remote Factory : Er ROC(kt) den Prozess
In Leuna laufen im Remote Operation Center (ROC), dem Kontrollzentrum von Linde, Informationen aus 111 Anlagen in Deutschland, Österreich, Schweiz, Italien und Benelux zusammen. Ingenieure, Verfahrenstechniker und IT-Experten überwachen die Anlagen aus der Kommandozentrale. Joachim Pretz ist ROC-Manager und hat FACTORY mehr zur Fernsteuerung der Anlagen verraten.
FACTORY: Wie erfolgt die Einbindung einer Anlage in ROC?
Joachim Pretz: Die Einbringung bedarf einer umfassenden administrativen sowie technischen Vorbereitung. Sie erfordern einen hohen Zeit- und Arbeitsaufwand, der nicht unterschätzt werden sollte. Da das ROC in Leuna eines von mehreren in der Linde Welt ist, konnten wir aber auf einen großen Erfahrungsnetzwerk von Linde Fachleuten zurückgreifen. Natürlich gab es während des ganzen Prozesses der Zentralisierung trotzdem noch viele neue Lerneffekte. Wir haben immerhin schon vor rund 10 Jahren in Leuna mit der Zentralisierung begonnen.
FACTORY: Was hat sich an der Arbeit durch die Fernsteuerung geändert?
Pretz: Durch die Zentralisierung im ROC hat sich nicht nur die Arbeitsweise der Ingenieure im ROC, sondern auch der Kollegen vor Ort in den Anlagen geändert. Sie können sich jetzt intensiver auf die Wartung sowie Instandhaltung konzentrieren und so die Verfügbarkeit der Anlagen erhöhen. Unser Remote Operations Konzept ist nur durch mehr Automatisierung möglich. So betreut ein Operator bis zu 20 Anlagen unterschiedlichster Größenordnung. Die Zentralisierung sehr vieler Anlagen erlaubt es uns, Spezialisten im ROC zum Beispiel für die Automatisierungstechnik oder die Daten Analysen vorzuhalten.
FACTORY: Werden nur Daten gesammelt, die für den Betrieb benötigt werden?
Pretz: Um verlässliche Vorhersagen für die vorausschauende Wartung zu treffen ist es erforderlich, eine große Menge von Daten in unserer zentralen Datenbank zu erfassen, zu speichern und für die Auswertung der Prozesse zu verwenden. Aufgrund der riesigen Datenmengen spielt selbstverständlich das Thema „Big Data“ eine Rolle. Es werden aber nicht zu viele Daten erfasst, sondern alle notwendigen Daten. Mit dem Remote Operations Konzept ergibt sich der Bedarf nach mehr Automatisierung und nach mehr Sensorik. Das bedeutet wiederum, dass mehr Daten benötigt werden, um alle Vorteile nutzen zu können.
FACTORY: Wo entwickelt sich die Remote Betreuung von Anlagen hin?
Pretz: Die Automatisierung ist bereits auf einem hohen Standard, aber der Trend geht eindeutig zu noch mehr Automatisierung. Es besteht Bedarf, zumal wir nicht nur neue Anlagen ins Remote Operation Center überführt haben. Wir übernehmen auch ältere Anlagen, wenn die moderne Automatisierungstechnik installiert wurde.
FACTORY: Was ist, wenn es zu einem Notfall kommt?
Pretz: Ein Not-Aus kann nicht ferngesteuert werden. Jede dieser Anlagen, wird aber einer HAZOP* unterzogen und bringt sich im Zweifelsfall selbst in den sicheren Zustand, so dass kein Eingriff von außen notwendig ist. Des Weiteren sind alle ROC Operatoren und Kollegen vor Ort entsprechend geschult, denn nicht jede Anlage ist unbesetzt.
Wir unterscheiden in drei Kategorien von Anlagen: ECOVAR-Anlagen sind unbemannt und werden in regelmäßigen Abständen oder bei Bedarf durch Techniker besucht, kontrolliert, gewartet und Instand gehalten. Mittlere Anlagen sind in den üblichen Bürozeiten besetzt und werden ansonsten komplett über das ROC bedient. Selbstverständlich gibt es hier auch eine Rufbereitschaft, die im Bedarfsfall vor Ort tätig werden kann. Große Standorte mit zwei oder mehr Anlagen haben nach wie vor eine 24/7 Schicht vor Ort.
FACTORY: Was wenn die Internetverbindung ausfällt?
Pretz: Es wird eine sichere Datenverbindung hergestellt, die auch einer regelmäßigen Prüfung unterliegt. Das Internet kann nie komplett ausfallen, nur einzelne Verbindungen oder Verbindungsabschnitte. Für diese Fälle sind wir durch mehrfache Redundanzen gut abgesichert. Dem Linde Konzern ist grundsätzlich die IT-Sicherheit sehr wichtig und daher wird sehr darauf geachtet, die Schutzmaßnahmen regelmäßig anzupassen. Mitarbeiter sind hinsichtlich Cyber Sicherheit geschult und sensibilisiert.
FACTORY: Wie hat sich der ROC-Betrieb auf die Kennzahlen ausgewirkt?
Pretz: Mit der Einführung des ROC-Betriebs hat sich die Anlagen-Effizienz in den letzten 10 Jahren signifikant erhöht. Darüber hinaus konnten Prozesse vereinheitlicht, neue Automatisierungstechniken eingeführt und letztlich die Verfügbarkeit der Anlagen insgesamt erhöht werden. Die ROC-Entwicklung ist aber lange noch nicht beendet. Sie hängt in ihrer Art und Geschwindigkeit auch maßgeblich von den Fortschritten in der Informationstechnik und Automatisierungstechnik ab. Es lässt sich auch noch nicht abschätzen, welchen Einfluss die künstliche Intelligenz auf die Anlagen Automatisierung und Steuerung in Zukunft haben wird.
Danke für das Gespräch!
*Methode des Risikomanagements Hazard and Operability Study, kurz HAZOP