Software : Simulation: Wie Martin Schifkos Algorithmen Anlagenbauern Millionen sparen

Martin Schifko Software Lackierprozesse optimieren Engineering Software Steyr (ESS)
© ESS/Simlinger

„Wenn wir eine Lackieranlage für Autos optimieren, sind alleine beim Energieverbrauch Einsparungen von 20 Millionen Euro pro Jahr möglich“, sagt Martin Schifko. Skizziert der Geschäftsführer von Engineering Software Steyr (ESS) die Dimensionen dieser Anlagen, erahnt man das gewaltige Einsparungspotenzial. So verbraucht alleine der Ofen einer Lackieranlage pro Fahrzeug bis zu 400 Kilowattstunden (KWh) Strom. Bei einer modernen, optimierten Anlage reduziert sich der Verbrauch auf 130 KWh. „Bedenkt man, dass eine durchschnittliche Anlage 400.000 Autos pro Jahr lackiert, ist der Einsparungseffekt natürlich enorm“, betont Martin Schifko. Bei weltweit jährlich 80 Millionen produzierten Autos multipliziert sich dieser auf bis zu 16 Milliarden Kilowattstunden. Im Vergleich dazu: Ein Atomkraftwerk produziert jährlich 11 Milliarden Kilowattstunden.

Zu komplex für menschliches Gehirn

Dabei ziehen sich die Einsparungspotenziale durch den gesamten Lackierprozess. Geprägt ist dieser von den erwähnten „konfliktären Zielgrößen“: Die Endverbraucher wollen ein perfekt lackiertes und zuverlässig vor Korrosion geschütztes Auto, die Produzenten hingegen möglichst wenig Materialeinsatz, Abwasser und Energieverbrauch. Nachdem man bei der Qualität des Produkts kein Risiko eingehen will, bleibt der Ressourceneinsatz hoch. „Macht man aber eine vollständige Simulation aller Prozesse und analysiert diese, versteht man plötzlich deren Wechselwirkung, entdeckt Abhängigkeiten und erkennt Einsparungspotenziale“, erklärt Schifko. „Ohne Simulations-Software ist diese Komplexität für das menschliche Gehirn nicht zu erfassen.“ Als Beispiel nennt er die kathodische Tauchlackierung für den Korrosionsschutz. Dafür wird die Karosserie elektrostatisch aufgeladen. Dabei arbeitet man mit Spannungen von 250 bis 300 Volt. Die Herausforderung dabei: Die elektrischen Felder so aufzubauen, dass überall – also auch in allen Hohlräumen – eine optimale Schichtdicke entsteht, und gleichzeitig der Energieverbrauch so gering wie möglich bleibt. „Spart man nur ein µm Schichtdicke ein, bringt das pro Auto einen Euro allein an Materialeinsparungen“, sagt Martin Schifko. Bei hunderttausenden Autos pro Jahr und Anlage ist das ein gutes Argument, die ESS-Software einzusetzen.

Prozessübergreifende Auswirkungen sichtbar machen

Verschwenderisch ist sehr oft auch die Spritzkabine in Nass- oder Pulverlackieranlagen. Im Falle von Pulver werden in Hochrotationszerstäubern mit 10.000 Umdrehungen pro Minute Pulverpartikel atomisiert und von einem Roboter auf definierten Wegen über die Karosserieteile verteilt. „Während manche Sektoren unnötigerweise mehrfach besprüht werden, geht auch viel Pulver einfach am Ziel vorbei“, sagt Schifko. Gleichzeitig löst diese Verschwendung einen Dominoeffekt aus. So ist die Rückgewinnung des verschwendeten Pulvers energieintensiv. Andererseits kann es sein, dass es bei der Trocknung zu sogenannten „Lackläufern“ kommt, die danach aufwändig entfernt werden müssen. Mit der von ESS entwickelten Software lassen sich diese Prozesse in einfachen Schritten simulieren und schließlich problemlos optimieren. „Für die Bedienung unserer Software braucht es kein Spezialwissen“, betont Schifko. So ist es möglich, sämtliche Prozesse in einer Lackieranlage in der Simulations-Software physisch abzubilden. Damit wird sichtbar, wie sich die Optimierung, die in einem Produktionsschritt gesetzt wurde, sich auch auf die nachgelagerten Prozesse auswirkt.

Virtualisierung stoppt Verschwendung

Dass weder die Anlagenbauer noch die Anwender über das nötige Wissen verfügen, diese Prozesse zu optimieren, mag überraschen. Trotzdem ist das in praktisch allen Branchen nicht die Ausnahme, sondern die Regel. Die Vorgabe des Kunden an den Anlagenbauer, wie effizient ein Werkstück bearbeitet werden muss, ist meist nur eine an ähnlichen Anlagen orientierte Wunschgröße. Entsprechend groß ist der Spielraum, der üblicherweise in den Pflichtenheften definiert ist. „Da es in aller Regel keine Simulation einzelner Prozesse – geschweige denn der ganzen Anlage – gibt, werden die Potenziale nicht annähernd ausgeschöpft“, beschreibt Schifko ein gängiges Phänomen. Dabei ist es mit vergleichsweise wenig Aufwand möglich, komplette Anlagen und den Prozess-Flow in der Simulations-Software physisch abzubilden. „Dann stoppt die Virtualisierung die Verschwendung“, sagt er.

Mittelstand im Fokus

Derzeit ist ESS hauptsächlich in der Automobilindustrie engagiert. Das erklärt auch die hohe Exportquote von 95 %. Zuletzt hat das multikulturelle aus mehr als 16 Nationen, einen Umsatz von über drei Millionen Euro erzielt. In den nächsten Jahren erwartet ESS zumindest ein jeweils zweistelliges Wachstum. Erklärtes strategisches Ziel ist es, stärker in Österreich Fuß zu fassen und auch mit mittelständischen Unternehmen aller Branchen zu arbeiten. „Wir wollen von den Großen lernen und es den Kleinen geben“, sagt Schifko. Selbst große Kunden wie Daimler sind dankbar, wenn Unternehmen verschiedenster Größe und aus unterschiedliche Branchen die ESS-Software nutzen. Schließlich steigt mit der Anzahl der User auch die Qualität des Produktes.

Gewaltige Rechenleistung, leicht anwendbar

Aus der derzeit starken Verankerung in der Automobilindustrie dürften also auch starke Umsatzimpulse im Geschäft mit KMU entstehen. „Wir sind für alle Unternehmen, die im Design und Manufacturing tätig sind, ein attraktiver Partner“, sagt Schifko. Diese Attraktivität basiert vor allem auf der leichten Anwendbarkeit der ESS-Software. Dafür braucht es keine Experten für numerische Strömungsmechanik, die es in mittelständischen Unternehmen meist nicht gibt. Das Programm ist für alle Prozesstechniker leicht anwendbar. Wie groß das Anwendungsgebiet für Simulationen abseits der Automobil-Industrie ist, zeigt auch eine Entwicklungszusammenarbeit mit Profactor in Steyr, der TU Kaiserslautern und der JKU im medizinischen Bereich. Ziel dieser Kooperation ist es, ein ca. zwei Millimeter großes Lab-on-Chip zu bauen, das direkt im menschlichen Körper Blutproben analysiert – etwa für Diabetiker. „Alleine die Dimension dieses Chips ist ein überzeugender Grund, auf Virtualisierung und Simulationen zu setzen“, betont Schifko. Entsprechend beeindruckend ist auch die Rechenleistung, die ESS zur Verfügung steht: Diese basiert auf Grafikkarten und liegt bei rund 660 Terraflops. Im Vergleich dazu verfügt das JKU-Rechenzentrum in Linz mit dem zweitgrößten Intel-Cluster Europas über 50 Terraflops.