Kfz-Industrie : Drohen massive Jobverluste durch Elektroautos?

Daimler Crafter
© Daimler AG

Der Umschwung auf Elektroautos könnte nach einer von der Autoindustrie und der IG Metall angestoßenen Studie zigtausende Arbeitsplätze in Deutschland kosten. Nach Berechnungen des Fraunhofer-Instituts für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO) könnten - in einem noch relativ günstigen Fall - unter dem Strich rund 75.000 von derzeit 210.000 Jobs in der Antriebstechnik wegfallen.

"Je nach Betrieb und Region können die Folgen beträchtlich sein", erklärte Institutschef Oliver Riedel am Montagabend in Frankfurt. Beschäftigte von kleinen Zulieferbetrieben in strukturschwachen Regionen wären am schwersten betroffen. Der IG-Metall-Vorsitzende Jörg Hofmann erklärte, die Gewerkschaft wolle mit der Studie keine Angst schüren, aber Unternehmen und Politik aufrütteln, frühzeitig gegenzusteuern: "Da sind zunächst mal die Unternehmen gefordert."

Beschäftigungseffekte in der Antriebsproduktion

Das Fraunhofer-IAO aus Stuttgart erarbeitete die Neuauflage der erstmals 2012 angestellten Studie mit Hilfe und Daten der deutschen Autokonzerne BMW, Daimler und Volkswagen sowie den großen Zulieferern Bosch, ZF Friedrichshafen, Mahle und Schaeffler. Das Szenario eines Wegfalls von 75.000 Stellen unter Einrechnen von 25.000 neu entstehenden Arbeitsplätzen ist noch eines mit vorsichtigen Annahmen über den Hochlauf von Elektroautos: Dabei wird für 2030 ein Batterieauto-Anteil von 25 Prozent vorgenommen - diese Zielmarke wollen die Autobauer allerdings schon fünf Jahre früher erreichen, um die CO2-Vorgaben in der EU einzuhalten. Die IAO-Forscher konzentrierten sich auf die Beschäftigungseffekte in der Antriebsproduktion. Bei schnellerem Umstieg auf E-Autos könnten demnach auch bis zu 109.000 oder gut die Hälfte der Beschäftigten ihre Stellen verlieren. Übrigens: Der VDMA kritisiert diese Zahlen. Sie würden ein "verzerrtes Bild" darstellen. Der Branchenverband nennt die Hybridtechnologie als Allheilsbringer. Sie werde eventuelle Jobverluste überkompensieren, heißt es.

VW hat schon einen Pakt zu sozialverträglichem Personalabbau ausgehandelt

VW-Betriebsratschef Bernd Osterloh erklärte, ein Elektroantrieb habe nur ein Sechstel so viele Teile wie ein Benzin- oder Dieselantrieb, eine Batteriefabrik brauche nur ein Fünftel so viele Arbeitskräfte wie ein Motorenwerk und ein E-Auto ein Drittel weniger Arbeitszeit. Andere Studien mit breiterem Ansatz folgern dagegen, dass im Wandel der Autoindustrie zu Elektromobilität, mobilen und digitalen Dienstleistungen per Saldo mehr Jobs entstehen als verschwinden.

Wichtig aus Sicht der IG Metall sind aber nicht die exakten Zahlen und abstrakte Nettoeffekte, sondern wie ein Arbeiter vom Kolbenmechaniker zum Techniker für Leistungselektronik wird. Die Unternehmen müssten deshalb eine Qualifizierungsoffensive starten, forderte Hofmann. Der Staat müsse unvermeidlich Arbeitslose stärker und länger finanziell bei der Neuorientierung unterstützen. Oberstes Ziel der Betriebsräte ist es außerdem, so viel wie möglich Arbeit in Deutschland zu halten. Darüber verhandeln sie bei den Autokonzernen und den großen Zulieferern schon länger. So hat VW schon einen Pakt zu sozialverträglichem Personalabbau und Umschulung ausgehandelt.

30.000 Arbeitsplätze in Deutschland hängen vom Verbrennungsmotor ab

"Wir müssen neue Technologien in Deutschland ansiedeln", sagte Hartwig Geisel, Betriebsratschef von Bosch. Er befürchtet noch "drastischere Zahlen" bei dem Zulieferer als die in der Studie kalkulierten Effekte. Denn bei dem Stiftungskonzern hingen 30.000 Arbeitsplätze in Deutschland vom Verbrennungsmotor ab. Um das Bosch-Werk in Stuttgart mache er sich dabei weniger Sorgen als etwa um die Standorte Homburg/Saar oder Bamberg in wirtschaftlich schwächeren Regionen "Für die wird die Luft extrem dünn."

Fertigung von Batteriezellen nicht China überlassen

Die Betriebsräte warnten davor, die Technologie - etwa die Fertigung von Batteriezellen - Herstellern aus China, Korea oder Japan zu überlassen. Deutschland sei führend in der Batterieforschung und müsse aufpassen, dass nicht andere sich die Ergebnisse hernähmen zum Produzieren, erklärte Peter Cammerer vom BMW-Betriebsrat. "Wir müssen den Chinesen die Innovationen verkaufen, und nicht die als erstes uns." Bosch zog sich Anfang März aus dem zentralen Forschungsbereich zu Elektroautos zurück: Der Autozulieferer wollte keine Batteriezellen selbst produzieren - obwohl die EU-Kommission heftig dafür warb. "Zu teuer, zu riskant" sei die Fertigung, so das Management. Hingegen Siemens wurde vor kurzem Technologiepartner des schwedischen Batteriespezialisten Northvolt und investierte 10 Mio. Euro beim Aufbau einer Batteriefabrik in Europa. (red/APA/Reuters)