Additive Fertigung : 3D-Druck verkürzt Lieferketten

In der Industrieproduktion sind Lieferketten oft mehrstufig und weltweit verteilt. Doch Ereignisse wie die Corona-Pandemie oder die Blockade des Suezkanals durch ein havariertes Schiff bringen die Unternehmen zum Nachdenken, ob eine Vereinfachung der Supply Chain möglich ist. Denn nach einer Schätzung der Allianz entstanden in der Weltwirtschaft allein durch die „Suez-Krise“ Einbußen von fünf Milliarden Euro pro Woche.

Viele Unternehmen beginnen, die Risiken ihrer Supply Chain neu einzuschätzen, und suchen nach Alternativen. So ermöglicht Additive Manufacturing (3D-Druck) die On-Demand-Produktion von Teilen durch ein digitales Lager in der Cloud. Nutzer können die Konstruktionsdaten abrufen und die Teile vor Ort drucken. Dadurch sinkt die Abhängigkeit von traditionellen Lagerbeständen und die Lieferkettenkosten werden geringer.

Es gibt für den Einsatz von Additive Manufacturing in der Logistik zwei Szenarien: Die Bauteilproduktion mit Additive Manufacturing als Teil der Inbound- oder der Outbound-Logistik. Diese Szenarien haben einen erheblichen Einfluss auf Logistikunternehmen.

Fertiger ersetzen Zulieferer durch den 3D-Drucker

Das erste Szenario kommt im produzierenden Gewerbe häufiger vor: Ein Zulieferer bietet schwankende Qualität zu hohen Preisen. Wenn es nicht um Standardprodukte aus der Massenfertigung geht, kann Additive Manufacturing helfen. Ein Beispiel dafür sind die Erfahrungen des Kontaktlinsenherstellers Alcon aus den USA.

Ein Zulieferer fertigte für ihn speziell konstruierte Halterungen für die Werkzeuge seiner Maschinen. Die Halterungen sind dabei jeweils an eine bestimmte Kombination aus Werkzeug und Maschine angepasst und wenn deshalb nur in sehr kleinen Serien hergestellt. Icon stellte fest, dass die Halterungen nur eine geringe Haltbarkeit von etwa zwei Wochen hatten. Hinzu kam eine Lieferfrist von vier bis sechs Wochen. Dies führte dazu, dass der Hersteller größere Mengen der etwa 250 Dollar teuren Halterungen vorrätig halten musste.

Um jederzeit Ersatz verfügbar zu haben und gleichzeitig Kosten zu sparen, begann die Entwicklungsabteilung von Alcon, mit dem 3D-Druck von Verbundwerkstoffen zu experimentieren. Mit Erfolg: Ein 3D-Drucker für Komposit-Werkstoffe fertigt eine Halterung in etwa 24 Stunden. Die Materialkosten betrug nur rund 40 Dollar und der Drucker wurde nach dem Pay-per-Use-Modell bezahlt.

Dieses Beispiel zeigt deutlich, dass Additive Manufacturing in der Lage ist, hochwertige und hochpreisige Bauteile deutlich kosteneffizienter herzustellen als mit herkömmlichen Produktionsverfahren. Das Unternehmen wird zudem unabhängig von Zulieferern und ihrer womöglich schwankenden Qualität.

Der 3D-Druck digitalisiert die Warenauslieferung

Auch für die Outbound-Logistik gibt es Szenarien für Additive Manufacturing, die bereits von einigen Unternehmen erfolgreich eingesetzt werden. So ist die Bernstein Mechanische Fertigung GmbH (BMF) dazu übergegangen, ihre Auslieferung teilweise auf 3D-Druck umzustellen. Das Unternehmen stellt Sandstrahlanlagen her, deren Komponenten hohe Anforderungen an Materialqualität und Dauerhaftigkeit stellen.

Da die Maschinen bei ihrem Einsatz sehr strapaziert werden, benötigen die weltweit verteilten Kunden häufig Ersatz für Verschleißteile. Die Anforderungen an die Logistik sind hoch, da hier große Entfernungen zu bewältigen sind. Zudem lässt der Transportweg den Kunden nur die Wahl, entweder einen hohen Lagerbestand zu halten oder längere Zeit auf Ersatzteile zu warten.

BMF ist deshalb dem technologischen Fortschritt beim 3D-Druck gefolgt und setzt nun auf den Druck mit Endlos-Karbonfaser und Verbundwerkstoffen. Sie erfüllen alle Qualitätskriterien für die Ersatzteile und können vergleichsweise rasch vor Ort gedruckt werden. Das Unternehmen hat ein virtuelles Ersatzteilelager in der Cloud aufgebaut, das den Kunden die entsprechenden Konstruktionsdaten für den 3D-Druck zur Verfügung stellt.

Statt nun regelmäßig Ersatzteile zu liefern, lässt BMF nach dem Kauf einer Sandstrahlanlage einen passenden 3D-Drucker vor Ort beim Kunden aufstellen. Zukünftig liefert das Unternehmen auf digitalem Wege die korrekten und gegebenenfalls an Kundenwünsche angepassten Druckdaten für die Ersatzteile.

Logistiker integrieren 3D-Druck ins Geschäftsmodell

Diese Beispiele machen deutlich, dass sich Additive Manufacturing im produzierenden Gewerbe noch stärker etablieren wird. Zwar wird es nicht die herkömmliche Industrieproduktion verdrängen, aber in vielen Bereichen ergänzen. So gibt es natürlich immer noch einen Markt für die Massenfertigung von Spritzguss- oder Stanzteilen, mit den entsprechenden Transportaufträgen.

Doch je exotischer das Material, je individueller die Maschinen oder ihre Komponenten und je ausgedehnter die Lieferketten – desto eher werden Industrieunternehmen sich auf der Inbound-Seite für Additive Manufacturing entscheiden. Hinzu kommt, dass viele Druckerhersteller auf Pay per Use setzen. Denn industrielle 3D-Drucker sind nichts weiter als neuartige, digitale Werkzeugmaschinen, die eine vergleichbar hohe Investition erfordern. Mit der Bezahlung nach Nutzung entfällt jedoch diese Ausgabe.

Aus ähnlichen Gründen gibt es für die Hersteller einen großen Anreiz, auf der Outbound-Seite die Ersatzteilproduktion an den 3D-Drucker auszulagern. Dabei können Unternehmen für ihre Kunden einen digitalen Service gestalten: Der Drucker wird über einen Druckerhersteller nach dem Pay-per-Use-Modell gemietet und beim Kunden aufgestellt.

Die Druckdaten für die Ersatzteile gibt es dann auf einer mandantenfähigen Cloud-Plattform. Es entfallen die Kosten für Lagerhaltung, Verpackung und Versand. Neben dem finanziellen Aspekt, lässt sich durch den Verzicht auf Transporte zusätzlich die CO²-Bilanz des eigenen Unternehmens senken.

So wird deutlich, dass Additive Manufacturing in der Supply Chain eine sehr große Bedeutung erlangen wird. Logistikunternehmen sollten deshalb den Markt analysieren und überlegen, ob Geschäftsmodelle mit 3D-Drucker nicht ihre sonstigen Services gut ergänzen.

So ist beispielsweise Additive Manufacturing eine Chance für die Kontraktlogistik, ihr bisher bestehendes Geschäftsmodell „Vorproduktion und Montage“ noch deutlich auszuweiten.