Interview : Wieso 80 Prozent aller KI-Projekte in der Industrie scheitern

Patrick Glauner
© TH Deggendorf

Patrick Glauner berät die Politik in Sachen künstliche Intelligenz, bildet als KI-Professor an der TH Deggendorf die Facharbeiter der Zukunft aus und mit seinem Beratungsunternehmen führt er Unternehmen durch Digitalisierungsprozesse.

FACTORY: Was sind die größten Herausforderungen, wenn es darum geht, KI in Unternehmen einzuführen?

Patrick Glauner: Es fängt schon damit an, dass viele Unternehmen im Vorhinein sagen, dass sie KI einsetzen wollen. Damit schafft man aber oft Probleme, die es gar nicht gibt. Ich sage immer, wir müssen es möglichst einfach lösen, egal um welches Problem es sich handelt. Wenn das ein Geschäftsprozess ist, der einfach sehr schlecht aufgebaut ist, dann hilft mir KI nicht wirklich. Ich muss zuerst die menschliche Intelligenz bringen und erst dann die künstliche ­­­– zunächst den Geschäftsprozess neu durchdenken. Andere typische Probleme sind, dass Fachexperten nicht einbezogen werden. Man benötigt die Fachexperten aber, um zu bewerten, ob die Entscheidungen der KI tatsächlich auch sinnvoll sind.

Es geht also um die Einschätzung, was in einem Unternehmen sinnvoll ist. Sie betonen immer wieder, dass 80 Prozent der KI Projekte scheitern. Wie erklären Sie sich das?

Glauner: Scheitern heißt in diesem Sinne – entweder hat gar nichts funktioniert oder ein Prototyp wird nicht zum Produkt entwickelt und bleibt in der Entwicklungsphase. Eine der Schwierigkeiten ist hier die Datenqualität. Und was mir auch oft auffällt: Jemand muss im Unternehmen die KI ja auch umsetzen. Oft sind das Studenten, manchmal sind das auch Berater. Aber wenn das dann nicht in bestehende Prozesse und Systeme integriert wird, dann scheitert es natürlich auch. Und das alles führt dazu, dass 80 Prozent der Projekte scheitern.

Da stellt sich natürlich auch die wirtschaftliche Frage. Macht es wirklich Sinn, trotz dieser hohen Fehlerquote in KI zu investieren. Das kann ja finanziell ordentlich danebengehen.

Glauner: Man muss natürlich mit den richtigen Leuten arbeiten. Weil wenn Sie sich auf LinkedIn so umschauen, dort ist jeder, der einen einstündigen KI-Kurs belegt hat, auf einmal ein KI-Experte. Diese Leute sind natürlich auch Teil des Problems. Aber wenn man die richtigen Experten gewinnt und bereit ist, zu investieren, dann ist der Erfolgssatz schon deutlich höher. Natürlich muss man auch neu denken, man muss bereit sein, Prozesse zu verändern. Man muss auch die anderen Stakeholder im Unternehmen überzeugen. Viele Menschen haben Angst vor Veränderungen und deswegen muss man im Unternehmen Verständnis für diese Themen schaffen. Wenn man das nicht macht, wird es viele Widerstände geben. Auch dass Mitarbeiter die Projekte mit Absicht scheitern lassen, weil sie womöglich Angst davor haben, dass die KI ihre Arbeit übernehmen könnte.

Sie haben sich viel mit dem Thema KI im Maschinenbau auseinandergesetzt. Was sind da die spezifischen Herausforderungen?

Glauner: Da denken viele immer nur an Predictive Maintenance – da hört das Thema meistens auf. Ich glaube aber, da fängt das Thema gerade erst an. Man kann mit KI im Maschinenbau sehr viele tolle Dinge machen. Zum Beispiel die Vorhersage von Verbräuchen, automatische Generierung von Layouts, den Ersatz von sehr kostenintensiven Simulationen. Die Herausforderung ist aber auch hier die Datenqualität. Das ist ein Thema, um das man sich im Maschinenbau früher nicht so gekümmert hat. Natürlich ist der Maschinenbau ein sehr konservatives Feld, wo die Menschen manchmal nicht so offen sind für Veränderungen. Aber das kann man alles schaffen.

Wohin führt dieser technologische Wandel in der Industrie? Wie könnte die Fabrik der Zukunft ausschauen?

Glauner: Die Veränderungen sind gewaltig. Wir haben grundsätzlich schon einen sehr hohen Automatisierungsgrad in den Fabriken. Und da geht es eigentlich immer darum, repetitive Dinge zu automatisieren – also Arbeitsschritte, die immer gleich sind. Der Mensch ist dafür nicht gemacht, weil er schnell ermüdet oder sich langweilt. Wir als Mensch sind aber sehr gut darin, individuelle Dinge zu erledigen. Die KI ist dahingehend vielversprechend, genau diese Arbeit zu übernehmen und menschliches Entscheidungsverhalten zu automatisieren. Deshalb wird es in der Fabrik der Zukunft viel mehr Individualisierung geben.

Dass repetitive Tätigkeiten aussterben werden, sagen auch viele Studien. Denken Sie, dass die KI ein Jobkiller sein könnte?

Glauner: Viele der repetitiven Tätigkeiten in den Fabriken sind ja schon ausgestorben. Wenn sie in eine moderne Fabrik zum Beispiel eines Autoherstellers gehen, dann haben sie da einen Automatisierungsgrad von weit über 90 Prozent. Es stellt sich natürlich die Frage, inwieweit wird die KI den Arbeitsmarkt verändern und da gibt es natürlich auch Ängste. Da muss man aber sagen, es gibt heutzutage kaum noch Jobs, die es vor hundert Jahren gegeben hat. Der Arbeitsmarkt hat sich seit Beginn der industriellen Revolution immer gewandelt. Und das ist sicher eine Herausforderung, wo man sich im Bereich der lebenslangen Weiterbildung Gedanken machen und viel dafür unternehmen muss, damit die Menschen vom Wandel auch profitieren und dass es zu keiner Massenarbeitslosigkeit kommt.

Was ist eigentlich der Unterschied zwischen herkömmlichen statistischen Methoden und der Auswertung mit KI?

Glauner: Da sprechen Sie ein ganz spannendes Thema an. Wie definiert man künstliche Intelligenz? Wenn ich mit meinen Kollegen spreche, habe ich den Eindruck, dass es sehr verschiedene Auffassungen gibt. In der Statistik geht es darum, Daten zu analysieren und Zusammenhänge zu erkennen, gewisse Hypothesen zu bestätigen. Die KI hat eigentlich ein anderes Ziel, jedenfalls beim maschinellen Lernen. Dabei geht es nicht darum, was im Datensatz enthalten ist, sondern man will generalisieren – also für neue Eingaben Vorhersagen treffen.

Dabei geht es aber auch um die Wechselbeziehung zwischen Mensch und Maschine, die durch den Input des Menschen dazulernt und sich verbessert.

Glauner: Das ist sehr wichtig, dass man hier eher ein Miteinander als ein Gegeneinander sieht. Schlussendlich ist die KI kein Selbstzweck, sie ist da, um uns Menschen zu unterstützen. Wir sollten der KI auch nicht blind vertrauen. Sie macht natürlich auch Fehler und da ist es dann wichtig, dass menschliches Feedback in die KI eingeht, damit sie im Laufe der Zeit noch besser wird.

Mit Ihrem Beratungsunternehmen führen Sie Unternehmen durch diesen Prozess. Um welche Firmen handelt es sich dabei?

Glauner: Das ist ganz bunt gemischt. Vom Start-up über den Mittelständler bis hin zum Konzern ist da wirklich in jeder Größe etwas dabei. Das sind aber ganz unterschiedliche Fragestellungen. Manche Kunden sagen, sie wollen erst mal verstehen, was KI überhaupt ist. Andere sagen konkret, es gibt ein Problem, das sie mit KI lösen wollen. Dann gibt es auch strategische Problemstellungen. Da ist man dann die Feuerwehr, wo zuvor vielleicht ein anderer Berater viel verbrannte Erde hinterlassen hat.

Als Professor für KI bilden Sie die Experten der Zukunft aus. Welche Herausforderungen sehen Sie für den Bildungsbereich?

Glauner: Wir müssen das Ganze sehr praxisnahe gestalten – mit Projekten, wo am Ende auch konkrete Dinge rauskommen und nicht nur Gleichungen, die man dann vielleicht auswendig lernt. Und es ist auch wichtig, dass die Studenten nicht nur die reine Technik beherrschen, sondern auch ein Verständnis von Betriebswirtschaft und Innovationsmanagement haben. Man kann nämlich noch so tolle Methoden haben, am Ende muss es auch umsetzbar sein und es muss Geld verdienen.

Glauben Sie, dass die klassischen technischen Studien wie Maschinenbau noch zeitgemäß sind?

Glauner: Ich glaube, die brauchen wir nach wie vor. Sie sind sogar sehr wichtig, denn der KI-Experte kann nicht jeden Maschinenbauer ersetzen, sondern es ist am Ende wieder ein Miteinander. Die KI kann natürlich unterstützen, indem man gewisse Prozesse automatisiert, schwerfällige Aufgaben in der Konstruktion oder Berechnung übernimmt. Aber ich bin davon überzeugt, dass jene Studien, die keinerlei Bezug zur Digitalisierung haben, irgendwann die Absolventen für die Arbeitslosigkeit ausbilden werden. Denn den Fortschritt der Digitalisierung können wir nicht mehr aufhalten.