Industrie 4.0 : Wie steht es um die Bildung in Österreich?

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Wo wird Industrie 4.0 gelehrt?

Wenig überraschend weisen bspw. naturwissenschaftliche-technische Bildungseinrichtungen einen höheren Industrie 4.0 Bezug auf als ihre geisteswissenschaftlichen Pendants. Deutlich erkennbar sind auch Unterschiede in der zeitlichen Dynamik, in welcher einzelne Bildungseinrichtungen ihr Lehrangebot aufgrund veränderter Rahmenbedingungen anpassen. Am tertiären Bildungssektor zeigt sich, dass deutlich mehr Fachhochschulen Industrie 4.0 relevante Studiengänge anbieten oder zumindest verstärkt nach außen kommunizieren als Universitäten. Während 71% der Fachhochschulen Studienrichtungen mit Industrie 4.0 Bezug führen, listen „lediglich“ 29% der österreichischen Universitäten entsprechende Curricula in ihrem Studienangebot. Bei Letzteren konnte der Begriff „Industrie 4.0“ (noch) in keinem Studienprogramm eruiert werden, bei Fachhochschulen fand die Bezeichnung hingegen bereits Eingang in die Curricula. Einzelne Fachhochschulen bieten Studienrichtungen, die mit dem Thema Industrie 4.0 in einem unmittelbaren Bezug stehen bzw. direkt darauf abzielen (wie z.B. die Bachelorstudien „Smart Engineering“ der FH St. Pölten oder „Automatisierungstechnik“ der FH Oberösterreich). Bei den Universitäten ist der (Industrie 4.0) Spezifizierungsgrad geringer, der Fokus liegt auf einer möglichst umfassenden Ausbildung in den jeweiligen Grundlagen, wie Maschinenbau, Mechatronik etc. Das schmälert aber keineswegs die Bedeutung der Universität als wichtige „Industrie 4.0 Bildungseinrichtung“ in Österreich, sondern verdeutlicht vor allem nur den im Vergleich zu den berufsfeld- und anwendungsorientierten Fachhochschulen anderen Aufgaben- und Tätigkeitsanspruch in Hinblick auf eine stark grundlagenforschungsgetriebene Lehre, schreiben die Autoren.

Im sekundären Bildungsbereich sind in erster Linie bei den Höheren Technischen Lehranstalten und den Berufsbildenden Schulen (Lehre) Industrie 4.0 relevante Lehrangebote zu finden. In beiden Institutionen bietet Oberösterreich jeweils das im Bundesländervergleich größte Industrie 4.0 Ausbildungsangebot. Insgesamt 35 HTL-Fachrichtungen an in Summe 11 Standorten sind in Oberösterreich Industrie 4.0 relevant. Das ist knapp ein Fünftel der Industrie 4.0 relevanten HTL-Fachrichtungen in Österreich. Ebenso hoch ist der Oberösterreich-Anteil des österreichweiten Lehrangebotes mit Industrie 4.0 Bezug. Neben dem angeführten Angebot des „ersten Bildungsweges“ bieten WIFI und BFI zusätzlich Industrie 4.0 relevante Weiterbildungskurse an. Mit über 350 identifizierten Kursen mit Industrie 4.0 Bezug ist das WIFI in einer Industrie 4.0 Relevanzreihung etwas vor dem BFI mit über 200 Kursen. So kommt auch der Begriff „Industrie 4.0“ bei WIFI Kursen signifikant häufiger vor. Einzelne WIFI-Standorte in Wien, Niederösterreich und Oberösterreich bieten bereits explizit Industrie 4.0 Kurse an.

Wie bleibt der Lehrplan aktuell?

Um aktuellen Entwicklungen und Trends wie Industrie 4.0 gerecht werden zu können, gibt es je nach Bildungsebene unterschiedliche Ansätze: Auf der Ebene der höheren berufsbildenden Lehranstalten wie der HTL werden Anpassun- gen bzw. Weiterentwicklungen im Bereich Industrie 4.0 derzeit in den Wahlpflichtfächern oder. -modulen sowie in der Fachpraxis und in Abschlussarbeiten umgesetzt. Zu erwähnen ist hier auch, dass Anpassungen oder Weiterentwicklungen von Ausbildungsschwerpunk- ten bzw. Fachrichtungen auch in Form von Schulversuchen umgesetzt werden. Im Bereich der tertiären Ausbildungs-angebote beschäftigen sich sowohl Universitäten als auch Fachhochschulen mit der Thematik. Eine Differenzierung ergibt sich hier aufgrund des starken Praxis- und Berufsfeldbezugs der österreichischen Fachhochschulen: Während praktische Problemstellungen in den universitären Studienangeboten in Form von Übun- gen, Laborprojekten, Lehrwerkstätten und Abschlussarbeiten vermittelt werden, ist in den Fachhochschulangeboten neben Projekten/Projektarbeiten ein Berufspraktikum in einem Unternehmen bis hin zu dualen Ausbildungsangeboten vorgesehen. Bezüglich der Änderungen/Anpassungen im Bereich der Weiterbildungsnangebote ist auffallend, dass kaum neue Angebote mit dem expliziten Titel „Industrie 4.0“ angeboten werden. Durch die fehlende einheitliche Definition des Begriffs und die unterschiedliche Implementierung in den Unternehmen erscheint das Anbieten einer solchen Ausbildung aber auch nicht zielführend.

Was fordern die Unternehmen?

Für die erwarteten Kompetenz- und Qualifizierungsbedarfe wird eine durchgängig stärkere Orientierung an IT-Inhalten erwartet. Gleichzeitig wird jedoch von den Mitarbeitern ein stärker ganzheitlich ausgeprägtes Prozessverständnis vorausgesetzt. Auffällig hierbei ist die starke Erwartungshaltung auf überbetriebliche eLearning-Angebote sowohl für fachliche Anforderungen als auch für Querkompetenzen. Während die grundsätzlichen Trends der erwarteten Qualifizierungsbedarfe über alle Unternehmensgrößen gleich verlaufen (IT- Inhalte + stärker ganzheitlich ausgeprägtes Prozessverständnis), lassen sich Unterschiede zwischen Großunternehmen und mittelständischen Unternehmen erkennen. Großunternehmen priorisieren momentan wesentlich deutlicher technologie- und datenorientierte Unternehmenskompetenzen wie IT-Sicherheit und Cloud-Architekturen. Zudem wird bei den Mitarbeiterfähigkeiten der Entwicklung des interdisziplinären Denkens und Handelns sowie des Prozess-Knowhows wesentlich höherer Stellenwert beigemessen. Bei den mittelständischen Unternehmen lassen sich weniger stark aktuelle Entwicklungsschwerpunkte innerhalb des als notwendig erachteten Qualifizierungskanons erkennen.

Empfehlungen der Studienautoren

1. Es besteht die Notwendigkeit IT-Grundlagen als inhärenten Bestandteil aller natur- sowie geisteswissenschaftlichen Bildungsangebote zu betrachten und die Vermittlung entsprechender Inhalte neu zu evaluieren. Maßnahmenempfehlungen dieser Kategorie sind zum Beispiel die Fachbereichsübergreifende Wissensvermittlung oder die Flexibilisie- rung von Rahmenbedingungen zur Stärkung der kognitiven Flexibilität der Lernenden.

2. Um ein Life-Long-Learning zu ermöglichen, müssen seitens der öffentli- chen Entscheidungsträger und der Unternehmen die entsprechenden Rahmenbedingungen gesetzt bzw. umgesetzt werden. Ein mögliches Ziel ist die Entwicklung von der Work- Life-Balance hin in zu einer Work-Life-Learning-Balance. Maßnahmenempfehlungen dieser Kategorie sind unter anderem das Lehren des selbstständigen Aneignens von Wissen, die Anerkennung früher erworbener Kenntnisse („Recognition of Prior Learning“) oder IT- Kenntnisse als Querschnittskompetenzen in der Ausbildung zu vermitteln.

3. Die Studienautoren fordern die Vergabe von einheitlichen Punkten für Weiterbildungsangebote (ECTS-System) sowie der Aufbau einer organisationsübergreifenden Datenbank der Angebote (evtl. in Zusammenhang mit dem nationalen Qualifikationsregister).

4. Gearbeitet wird verstärkt in komplexen von Wechselwirkungen gekennzeichneten Systemen. Auf diese Veränderungen müssen die betreffenden Akteure auch im Bereich der Qualifi- kation mit neuen bzw. angepassten Organisationsformen reagieren, wobei der Ausbau von bestehenden bzw. die Initiierung neuer Kooperationen eine wesentliche Rolle einnehmen kann. Dafür braucht es dementsprechende Plattformen, auf denen sich potentielle Kooperationspartner kennenlernen und interagieren können. Maßnahmenempfehlungen dieser Kategorie sind zum Beispiel die Einrichtung von Gatekeepern, die aktuelle Entwicklungen beobachten und aufzeigen, welche Anforderungen an zukünftige Qualifikationsprofile gestellt werden oder die Anpassung der Inhalte von Bildungsangeboten an aktuelle Bedürfnisse des Arbeitsmarktes.