Enterprise 4.0 : Enterprise 4.0: Elf Leitbetriebe stellen sich gegen digitale Leerformeln

Gerhard Kormann Michael Schilling
© Factory / Thomas Topf

FACTORY: Herr Kormann, als das Projekt Enterprise 4.0 vor drei Jahren startete, war die Rede vom „Austrian Way of Digital Success“. Unsere „Schaun ma moi“-Mentalität steht aber nicht gerade für eine pragmatische Umsetzungskultur.

Gerhard Kormann: Es stimmt, dass wir eine ganz eigene industrielle Logik haben. Genau deswegen können wir weder Amerika noch Deutschland kopieren. Dort sitzen ganz andere industrielle Mentalitäten. Wir müssen unseren eigenen Weg finden. Der klassische österreichische Leitbetrieb würde am liebsten alles selber machen und was er nicht selbst kann, sieht er automatisch als eine Art Schwäche. Mit der digitalen Transformation wird diese Logik stark hinterfragt. Deswegen nannten wir es auch den „Austrian Way“.

Das heißt, Sie sehen die Digitalisierung als eine neue Form der radikalen Arbeitsteilung?

Kormann: Richtig. Die „Ich mache alles selbst“- Philosophie im Sinne einer hohen vertikalen Integration ändert sich. Sie wird aber nicht obsolet. Vielmehr geht es darum, dass nur jene Kernkompetenzen im Hause verbleiben, welche den Erfolg nachhaltig absichern, alles andere werden Partner erledigen. Diese Form der neuen radikalen Arbeitsteilung löst bisherhige Firmengrenzen auf.

Was aber recht bedrohlich klingt.

Kormann: Das kann es auch sein, aber für neue Herausforderungen braucht es eben neue Antworten. Wir wenden mit Enterprise 4.0 eine neuartige Innovationsmethodik, basierend auf Cross Industry Innovation, an. In unserem Projekt entdecken die Firmen, dass branchenübergreifende Kooperation ganz konkrete und andere Wege eröffnet. Unsere elf Unternehmen kooperieren mittlerweile auf ganz neuen Ebenen. Gerade in der Ausbildungsebene sehen wir da großes Potenzial. Nur um ein Beispiel zu nennen: Novomatic hat eine amerikanische Methodik für die Ausbildung von Programmierern übernommen. Was innerhalb deren Firmenmauern bereits ein renommiertes System ist, wird nun anhand eines Start-ups auf andere Leitbetriebe übertragen.

Viele Kooperationsprojekte tendieren zu einer recht oberflächlichen Kultur. Warum ist da Enterprise 4.0 eine Ausnahme?

Michael Schilling: Ich kenne viele solcher Kaffeeveranstaltungen, wie Sie das beschreiben. Man geht hin, weil man sich kennt. Leider werden einem dort nur 08/15-Abklatschstrategien vorgekaut. An einer guten Umsetzungsthematik – „Wie löse ich ein Problem“ – fehlt es leider oft. Ein weiteres Problem ist, dass viele dieser Kooperationsprojekte mit Personengruppen erfolgen, die keine verantwortliche Position besetzen, sondern oft nur eine Stabs- oder Serviceverantwortung innehaben. So kommen aber die Themen nicht wirklich in den Kern der Firma.

Kormann: Genau das wollten wir bei Enterprise 4.0 verhindern. Deswegen baut unsere Methodik darauf auf, dass sich die elf Geschäftsführer bis zu viermal, die jeweiligen Projektleiter dann bis zu sechsmal pro Jahr und die jeweiligen Lerngruppen je nach Bedarf im wöchentlichen Rhythmus treffen.

Die Geschäftsführer dafür zu gewinnen ist schon ein kleiner Rekord. Über Zeitnot und mangelnde Personalressourcen scheint hier also keiner zu jammern. Warum nicht?

Schilling: Weil hier die Themen, die sogenannten „Use Cases“, von den Unternehmen selber kommen und nicht irgendwelche Themen von außen an sie herangetragen werden. Das Thema Digitalisierung gelingt nicht in der Analyse, sondern im Tun. Als Industrievertreter erhebe ich deshalb regelmäßig meine Stimme und sage: „Wir machen das wegen den Firmen, nicht wegen uns.“

Kormann: Stellen Sie sich Enterprise 4.0 als eine Art Lernbeschleuniger vor. Wir haben zwar formale Formate, aber es gibt eine unglaubliche Dynamik von bilateralen Abstimmungen. Unsere Firmen machen Digitalisierung schon. Das Thema ist nicht neu. Aber in einem Verbund schnell lernen, Lösungen verifizieren und auch wieder verwerfen zu können, das ist ein Paradigmenwechsel, der viel wichtiger als technische Erneuerungen ist. Für uns ist Industrie 4.0 schon lange kein technisches Thema mehr.

Es ist Ihnen tatsächlich gelungen, dass Unternehmen aus den unterschiedlichsten Bereichen plötzlich zusammenarbeiten. Doch wie kann ein Maschinenbaubetrieb wie Test-Fuchs die gleichen digitalen Anforderungen haben wie der Glücksspielkonzern Novomatic?

Schilling: Gerade dort gab es einen intensiven Austausch. Digital gesehen kämpfen wir alle an der gleichen Front. Bei Novomatic und Test-Fuchs ging es dabei zum Beispiel um eine App für das Ersatzteilmanagement, die jetzt mein ehemaliger Praktikant bei Novomatic weiterentwickelt.

Kormann: Ein gutes Beispiel, denn gerade der Zugang zu Talenten ist ein Thema, das wir am Anfang fast unterschätzt hätten. Indem wir den Unternehmen einen Zugang zu High-Potentials geben, binden wir nicht nur Studenten ein …

… sondern schaffen auch Zugang zu neuen Mitarbeitern?

Schilling: Richtig. Ich kann Ihnen noch ein Beispiel geben: Im Rahmen eines Use Case hat eine Studentin der Wirtschaftsuniversität Wien für Test-Fuchs ein neues Geschäftsmodell für Daten vorbereitet. Um das Thema weiter voranzutreiben, ist sie seit März bei uns fix angestellt.

Haben die elf Unternehmen keine Vorbehalte gegenüber Trittbrettfahrern?

Kormann: Cross Industry Innovation ist der Treiber für digitale Innovationen. Das funktioniert aber nur, wenn diese Unternehmen auch auf Augenhöhe miteinander sprechen. Aber Sie haben Recht, es macht keinen Sinn, wenn die Hälfte Innovationstreiber und die andere Hälfte Trittbrettfahrer sind. Bei der Auswahl der Unternehmen wurde deswegen genauestens darauf geachtet, dass es a) keine Mitbewerber sind und b) sie auf demselben Level sind. Denn Marktführer, die global agieren, haben eine ganz andere Logik als regionale Firmen.

Also ein exklusiver Klub?

Kormann: Im Endeffekt, ja.

Schilling: Man muss aber dazu sagen, dass die Offenheit in dieser Kooperation auch deswegen so gut funktioniert, weil die Unternehmen so unterschiedlich sind. Was aber nicht heißt, dass es zu Anfang keine Skepsis gab.

Sie meinen, die Unternehmen waren skeptisch bei der Themenfindung?

Kormann: Richtig. Es brauchte genügend überlappende Themen, von denen die elf Unternehmen auch profitieren konnten. Und die haben wir mit unseren Use Cases auch gefunden.

Ein Use Case war das Thema Tool Management, der digitale Zwilling der Fertigung. Neben Hörbiger und Welser Profile war auch Test-Fuchs einer der Treiber. Was war der Output dieser Lerngruppe?

Schilling: Im Dreier-Verbund haben wir dieses Thema zuerst bearbeitet. Daraufhin wurden fünf Tool-Management-Lieferanten eingeladen. Diese hielten vor einem 30-köpfigen Expertenteam aus allen elf Unternehmen einen einstündigen Pitch zu ihrem jeweiligen Produkt und mussten danach auch Rede und Antwort stehen.

Das heißt die Arbeit von drei Unternehmen war der Nutzen für alle elf?

Schilling: Genau. An einem Tag zu so viel komprimierter Information zu kommen, ist sehr rar. Alle elf haben davon profitiert.

Apropos profitieren: Ein Projektziel betrifft die Steigerung der Umsatzrentabilität um fünf Prozent. Eine mutige Vorgabe.

Kormann: Ja das war mutig, das so anzugeben, aber wir können es auch rechtfertigen. Denn die Themengebiete, die wir bearbeiten, wirken sich tatsächlich auf die Geschäftsergebnisse aus. Wer sich unsere Use Cases anschaut, wird schnell merken, dass wir hier nicht von zweiprozentigen Veränderungen sprechen, sondern von echten Produktivitätssprüngen. Teilweise haben wir Projekte, wo die Unternehmen ihre Rüstzeiten in der Produktion auf ein Zehntel reduzieren können.

Das Vorbild für Enterprise 4.0 kam aus Schweden. Mittlerweile können Sie den Skandinaviern sogar etwas zurückgeben.

Kormann: Es waren schwedische Kollegen an der Universität Halmstad, die uns zeigten, wie man unterschiedliche Firmen unter einen Hut bringen kann. Jetzt können wir ihnen etwas zurückgeben. Auch dort gibt es Forscher, die versuchen, solche dynamischen Gruppen zu entwickeln. Denn in Österreich haben wir es wirklich geschafft, dass Industrie, Wissenschaft und Politik an einem Strang ziehen. Auch aus der Schweiz gibt es bereits neugierige Anfragen.

Und aus dem restlichen Österreich?

Kormann: So viel kann ich verraten, das Interesse weiterer Leitbetriebe aus ganz Österreich ist groß und bald werden neue Cross-Industry-Gruppen entstehen.

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Gespräch führte Elisabeth Biedermann

Faktencheck Enterprise 4.0

Was: Ein Projekt der Clusterinitiativen Mechatronik und Kunststoff von ecoplus, Niederösterreichs Wirtschaftsagentur

Initiatoren: Gerhard Kormann (FH Krems), Michael Schilling (Test-Fuchs), Harald Bleier (Ecoplus)

Beteiligte Forschungseinrichtungen: IMC FH Krems, FH Oberösterreich, Wirtschaftsuniversität Wien, Technische Universität Wien, FH St. Pölten, FH Wiener Neustadt

Beteiligte Unternehmen: Novomatic, Bene, buntmetall amstetten, Doka Österreich, Franz Haas Waffelmaschinen, Georg Fischer Fittings, Hoerbiger Kompressortechnik Holding, Riegl Laser Measurement Systems, RIC (Regionales Innovations Centrum), Test-Fuchs, Welser Profile