Bildungspolitik : Wie politisches Kalkül unsere Kinder verdirbt

Thomas Lutzky
© Phoenix Contact

Factory: Herr Lutzky, wird unser Bildungssystem nur schlechtgeredet oder muss es tatsächlich saniert werden?

Thomas Lutzky: Unser Bildungssystem ist absolut reparaturbedürftig. Schauen Sie, was haben wir in Österreich? Kein nennenswertes Rohstoffvorkommen und einen Tourismus, der zusehends an seine klimabedingten Grenzen stößt. Was wir haben, ist eine Jugend mit viel Potenzial. Nur wie derzeit mit diesem Potenzial umgegangen wird, ist fahrlässig. Es gibt im Bildungssystem eine ganze Reihe von Baustellen, an denen dringend gearbeitet werden muss.

Wie zum Beispiel …

Lutzky: ... ,dass die gesetzliche Klassenhöchstzahl in berufsbildenden höheren Schulen von 36 zu hoch ist oder dass Schule zu sehr auf Schwächen fokussiert anstatt Stärken zu fördern. Begabtenförderung gibt es in der Breite de facto nicht. Auch sehe ich ein großes Problem bei der Erziehung zur Leistungsbereitschaft. Bei uns wird zwischen Lehrern und Schülern darüber verhandelt, was zu tun ist, um ein „Genügend“ zu schaffen. In China geht es darum, wer den besseren 1er schreibt.

Chinas Bildungssystem ist aber nicht unbedingt ein Vorbild. Gerade dort mehren sich die Kritiken über einen viel zu großen Druck für die Schüler.

Lutzky: Das stimmt natürlich. Aber am Ende des Tages stehen wir im internationalen Wettbewerb. Wenn unsere Kinder in der Schule nicht motiviert werden und die richtige Einstellung mitbekommen, spüren wir das später in der Wirtschaft. Und auf diesen Weg müssen wir alle Kinder mitnehmen, unabhängig von Bildung oder Einkommen ihrer Eltern.

Welche Note würden Sie derzeit unserem Bildungssystem geben?

Lutzky: 4.

Sie haben selbst zwei Kinder in einer höheren berufsbildenden Schule. Haben die einmal einen Missstand unmittelbar miterlebt?

Lutzky: Ein klassisches Beispiel dafür sind Supplierstunden. Originalzitat eines Lehrers zur Klasse: „Für diese Stunde werde ich nicht bezahlt, daher unterrichte ich euch nicht.“ So etwas ist pädagogisch grundfalsch und absolut inakzeptabel. Supplierstunden sollten produktiv genutzt werden und nicht zu einer reinen Zeitverschwendung verkommen. Und natürlich müssen sie bezahlt werden.

Sie sind nicht der Erste, der unser Bildungssystem kritisiert. Gerade aus der Industrie verschärfen sich diese Kritiken seit Jahren. Was glauben Sie, warum das Thema verhältnismäßig immer noch so wenig Gehör findet?

Lutzky: Weil die Lehrergewerkschaft immer noch der wichtigste Verhandlungspartner des Ministeriums ist. Unsere Kinder müssen im Mittelpunkt aller Überlegungen im Schulbereich stehen und nicht das Lehrerdienstrecht. Meiner Meinung nach fehlt es auch an einem finanziellen Leistungsanreiz für Lehrer.

Wie könnte so etwas aussehen?

Lutzky: In den USA gibt es Schulen, die Lehrer nach den Prüfungsergebnissen ihrer Schüler bonifizieren.

Sie sind also ein Verfechter der Zentralmatura als Leistungsparameter für die Lehrerschaft?

Lutzky: Noch sucht man bei den Aufgabenstellungen der Zentralmatura die gesunde Mitte. Aber im Grunde ja. Wenn es schon ein objektiviertes Prüfungsinstrument gibt, dann wäre das doch eine gute Basis, einen Teil der Lehrergehälter daran zu knüpfen.

Gerade wurde der erste große Teil der Bildungsreform beschlossen. Direktoren bekommen mehr Mitspracherecht bei der Auswahl ihrer Lehrer und Pädagogen. Finden Sie das gut?

Lutzky: Sogar sehr gut. Ein Chef muss sich seine Mitarbeiter aussuchen können, auch in der Schule. Erst dadurch hat er die Möglichkeit, ein bestimmtes Schulprofil zu forcieren und eine homogenere Teamkultur zu entwickeln. Bis dato war es so, dass schlechte Lehrer über Jahre hinweg sanktionslos nicht performen mussten. Und wenn sie schließlich aus einer Schule hinausgemobbt wurden, wurden sie wie ein Wanderpokal zur nächsten weitergereicht.

2017 sollen sogenannte Schulcluster eingeführt werden. Dort schließen sich mehrere Schulen (vor allem kleine) verwaltungstechnisch unter einem Clusterleiter zusammen. Dieser entscheidet über Schul- und Personalentwicklung. Einzelne Direktoren werden nur noch als pädagogische Leiter eingesetzt. Was sagen Sie dazu?

Lutzky: Es ist wie bei einem Unternehmen. Eine Verschlankung der Verwaltung ist immer gut. Die Führung von mehreren Schulstandorten aus einer Hand ist ein positiver Modernisierungsschritt. In größeren Einheiten können Ausfälle leichter kompensiert werden und vorhandene Ressourcen besser genutzt werden.

Kann unser Bildungssystem mit der Digitalisierung Schritt halten?

Lutzky: Die Kinder haben manche ihrer Lehrer bei der Nutzung moderner Technologien überholt. Eine Weiterbildungsverpflichtung in Bezug auf Smart Technologies und IT ist für alle Gegenstände unablässig, um mit der Generation „Pokemon“ Schritt halten zu können. Die Schulferien sind der richtige Zeitpunkt dafür.

Man könnte bei Ihren Aussagen meinen, die Probleme unseres Bildungssystems lasten allein auf den Schultern der Lehrer.

Lutzky: Im Gegenteil. Es gibt zum Glück viele sehr engagierte und tolle Lehrer und Direktoren. Sie beeinflussen maßgeblich die Lebenswege ihrer Schüler und ihre Leistung verdient höchste Anerkennung und Respekt.

Hatte denn ein Lehrer Einfluss darauf, dass Sie heute bei Phoenix Contact sind?

Lutzky: Nicht direkt, aber ich erinnere mich gut an meinen Abteilungsvorstand an der HTL, der technische Fächer unterrichtet hat. Er hat es verstanden, uns die Essenz dieser Fächer mitzugeben, nicht zuletzt basierend auf seiner Erfahrung aus der vorherigen Berufspraxis.

Sie kennen die Initiative „Teach for Austria“ der Industriellenvereinigung. Was hat es damit auf sich?

Lutzky: Im Rahmen dieser Initiative verpflichten sich Uni-Absolventen, zwei Jahre an Problemschulen zu unterrichten. Ich habe solche Fellows kennenlernen dürfen und es ist großartig, was sie bewirken. Es gelingt ihnen, nicht nur Schülern neue Perspektiven aufzuzeigen, sie bringen auch in den Lehrkörper frische Ideen und Elan.

Mit dem Programm „EduNet“ engagiert sich Phoenix Contact sehr für Jugendliche. Wohl auch aus Imagegründen, wie so manch andere Initiative aus der Industrie?

Lutzky: Phoenix Contact fördert mit dem internationalen Hochschulnetzwerk EduNet den Austausch und die Zusammenarbeit zwischen Hochschulen und der Industrie im Bereich der Automation. Mithilfe des Netzwerks können Professoren Anwender- und Herstellerwissen der Automatisierungstechnik in ihre Lehre integrieren. Das Studium unterstützt die Studierenden bei ihrem Einstieg in die Berufswelt. Hinter dieser Initiative steckt kein kommerzieller Geschäftszweig sondern die Absicht unserer Gesellschafter, junge Menschen praxisorientiert zu unterstützen. EduNet ist sehr erfolgreich und verzeichnet international schon über 80 Hochschulmitglieder. Nächstes Jahr feiern wir übrigens das 10-jährige Jubiläum mit einer internationalen Konferenz.

Phoenix Contact Österreich hat darüber hinausgehende Projekte mit der FH Campus Wien und mit der Pilotfabrik Aspern. Das geht über Edunet hinaus, richtig?

Lutzky: Richtig. An der FH Campus Wien haben wir ein Technology Competence Center eingerichtet und bei der Pilotfabrik der TU sind wir eines von rund 20 mitwirkenden Unternehmen.

Das Leistungspaket für die Pilotfabrik in Aspern, wie sieht das aus?

Lutzky: Wir haben angeboten Komponenten und Beratungsleistung mit einem Volumen von 100.000 Euro für die Pilotfabrik zur Verfügung zu stellen. Dabei fokussieren wir uns auf Netzwerktechnik, Safety und Security.

Wer wird schlussendlich die Bildungsreform bringen?

Lutzky: Das ist schwierig zu beantworten. Politiker, die ich persönlich kenne, sind extrem frustriert über die jetzige Situation. Egal, welcher Vorschlag kommt, die Gegenseite mauert. Und solange der Beton aus ideologischen Gründen von der jeweils anderen Seite angerührt wird, bleiben unsere Kinder auf der Strecke. Parteipolitisches Kalkül hat im Bildungswesen ebenso wenig verloren wie Föderalismus als Instrument der lokalen Einflussnahme.

Noch ein letzter Appell an die Regierung?

Lutzky: Nehmt bitte eure Verantwortung im Bildungssystem wahr, die Kinder sind das größte Potenzial dieses Landes.

Vielen Dank für das Gespräch!

Zur Person: Nach Abschluss seiner Ausbildung zum Maschinenbauer an der HTL Wels sowie dem Betriebswirtschaftsstudium an der WU Wien verbrachte Thomas Lutzky (47) einige Stationen im internationalen technischen Vertrieb. Seit 2011 bekleidet er das Amt des Geschäftsführers der Phoenix Contact GmbH Österreich.