Nachgefragt : Wie Bombardier Austria sein Lager optimiert

Andreas Ertler Bombardier
© Factory / Thomas Topf

Herr Ertler, Bombardier produziert in seinem Wiener Werk jedes Jahr rund 70 Schienenfahrzeuge für den öffentlichen Nahverkehr. Jedes Fahrzeug ist individuell nach Kundenwunsch und somit in Losgröße 1. Was heißt das für ein Lager?

Andreas Ertler: Dass wir unsere Lagerverwaltung komplett an den Produktionsfortschritt und Bedarf orientieren müssen und auch getan haben. Material wird in unserem Lager zu produktionsrelevanten Arbeitspaketen zusammengestellt und auf vordefinierten Abgabeorten, direkt beim Produktionsarbeitsplatz angeliefert. Der gesamte Lager- und Bevorratungsprozess erfolgt papierlos. Lagermitarbeiter bekommen ihre Aufträge auf ihren Handheld geschickt. Das verwendete Lagerverwaltungssystem gewährleistet eine wegeoptimierte Einlagerung und Auslagerung, sowie Ergonomie und arbeitssicherheitstechnische Aspekte für die Mitarbeiter.

Die größte Herausforderung liegt demnach in der Beschaffung?

Ertler: Fast. Standardisierte Verbindungselemente (Nieten, Schrauben, usw.) sind nicht die Herausforderungen und werden bei uns durch Lieferanten direkt an der Montagelinie gelagert bzw. in einem System bewirtschaftet. Teile aus Glasfaserkunststoff oder auch Windschutz-, Heckscheiben oder bombierte Seitenscheiben sind da schon schwieriger. Hier werden von Beginn an Logistikanforderungen berücksichtigt. Diese stellen sicher, dass auch bei geringen Stückzahlen die Auswahl – von der adäquaten Verpackungen bis hin zu Montagevorrichtungen - definiert und verwendet werden.

Dennoch haben Sie das Lager in Wien drastisch verkleinert ...

Ertler: Richtig. Wir haben die Lagerfläche von 4.000 m2 auf 2.900 m2 reduziert.

Wo lag der größte Hebel?

Ertler: Der lag vor allem in der Lagerung und Anlieferung von Großkomponenten. Hier konnten wir durch eine genauere Steuerung dieser Lieferanten spätere Anlieferzeitpunkt, weniger Lagerbestand und einen aktuelleren Änderungsstand gewährleisten. Auch gehört das Outsourcing von nicht unbedingt kompetenzträchtigen Produktionsaktivitäten dazu, denn hier wurden Rohmaterialien in sperrigen Gebinden gelagert und jetzt schleusen wir Halbfertigprodukte in geringerer Stückzahlen in genau definierten Zeitfenstern in den Produktionsprozess ein, anstelle von Rohmaterialien.

Sie setzen auf eine, wie Sie es nennen „dynamische Lagersystematik“. Was bedeutet das genau?

Ertler: Das heißt, dass die Materialien zwar aus dem Wareneingang in einen bestimmten Lagerbereich geroutet werden, jedoch in diesem Bereich die Lagerplatzvergabe dann dynamisch organisiert ist.

Das Routing findet mithilfe des Montageortes statt?

Ertler. Richtig. Die Zwischenlagerung erfolgt so nah wie möglich am Verbrauchsort. Im Lager befinden sich durchschnittliche 10.500 Materialpositionen. Zusätzlich gibt es ca. 2.000 Materialpositionen, die sich in der Produktion in einem Kanban-System befinden (VMI - Vendor Managed Inventory). Dieses Kanban-System wird direkt von Lieferanten bewirtschaftet.

Wie funktioniert die Steuerung aus dem Lager zu den Arbeitsplätzen in der Produktion?

Ertler: Das verwendete Lagerverwaltungssystem ist online und mit unserem ERP System verbunden. Teamleiter der Produktion lösen mittels elektronischem Pull-Signal sogenannte Transportaufträge aus. Diese entsprechen vordefinierten Montagekits. Diese Transportaufträge werden zu einem oder mehreren Kommissionieraufträgen umgewandelt.

Die Anzahl der Kommissionieraufträge hängt demnach von den angesteuerten Lagerorten und Komponenten ab. Hat das denn Vorteile?

Ertler: Dieses Vorgehen ermöglicht uns kürzerer Vorbereitungszeiten für die Montagekits. Diese können fast parallel fertigungsgerecht zusammengestellt und zu den Arbeitsplätzen der unterschiedlichen Montagelinien gebracht werden.

Das Thema Lagerkosten war ein großer Punkt. Wie konnten Sie diese senken?

Ertler: Wie in vielen Unternehmen durch einen KVP-Prozess, eben eine kontinuierliche Weiterentwicklung bzw. Verbesserung. So etwas geht aber nicht von heute auf morgen. Angefangen haben wir damit unsere Logistikanforderungen konkret zu definieren. Wir wollten Umpackarbeiten bzw. zu hohe Stückzahlen vermeiden. Ziel war eine vollständige Synchronisation mit unseren Produktionsprozessen und dies in aufeinander abgestimmten, miteinander kommunizierenden Systemen.

Vollständige Synchronisation von Lager und Produktion: Von einer Skala von 1 (gar nicht) bis 10 (vollkommen), wo steht das Wiener Montagewerk heute?

Ertler: 8, da wir uns kontinuierlich weiterentwickeln und einen intensiven Erfahrungsaustausch betreiben, um neue Potenziale zu erkennen.

Das heißt, andere Werke schauen sich Lösungen von Ihnen ab?

Ertler: Das beruht auf Gegenseitigkeit. Wir haben schon Lösungen von uns adaptiert in anderen Werken gesehen, genauso adaptieren wir Anwendungen von anderen bei uns. Aber ja, unsere Lösungen werden sehr häufig angefragt.

In jedem Lager verstecken sich auch schlummernde Kosten, wie zB Instandhaltungskosten. Wie wollen Sie diese nicht planbaren Kosten in Zukunft vermeiden?

Ertler: Indem wir Geld in die Hand genommen haben und zB, unsere Lagertechnik- und Flurfördergeräte auf den neuesten Stand der Technik gebracht haben. Neue Serviceverträge mit den Herstellern gewährleisten somit auch planbare Instandhaltungskosten.

Kämpfen Sie noch mit Inventurdifferenzen?

Ertler: Dank unseres neuen Lager-Verwaltungssystems gelingt es uns sehr geringe Inventurdifferenzen aufzuweisen.

Wie gering?

Ertler: Differenzen von kleiner als 0,5 Prozent. Wesentlich bei der Entwicklung bzw. Einführung dieses Systems, war die Beteiligung der Mitarbeiter. Nur so konnte der Anbieter die Gestaltung der Prozesse und die Anforderungen von uns richtig umsetzen.

Sie sind ein Anhänger des Andon-Prinzips. Was hat es mit dieser japanischen Managementmethode auf sich.

Ertler: Andon ist ein Teil unseres Produktionssystems, das auf mehreren Säulen aufbaut. Eine davon ist das visuelle Management und hier spielt das Andon eine wichtige Rolle. Es ist eine Methode des „Visual Management“ und Bestandteil des Toyota-Produktionssystems, um eine selbsterklärende Symbolik zu erstellen, die zur Vermittlung von Funktionen und Abläufen an einer Maschine oder einem Prozess geeignet ist. Wir verwenden ein sogenanntes Andon Board.

Beim Andon-Board handelt es sich im Grund um ein beleuchtetes Display, das den Status eines Produktionssystems ausgibt.

Ertler: Richtig. Automatisiert oder durch die Mitarbeiter, die einen Fehler entdecken, wird ein Signal ausgelöst und so Hilfe gerufen durch Vorgesetzte oder Kollegen. Dieses Signal wird dann bei uns an die zuständigen Projektmitarbeiter mittels SMS gesandt und leitet somit den Unterstützungsprozess ein. In der schnellen Verständigung und Unterstützung und somit Problemlösung, liegt auch der größte Nutzen bei unserer Art der Fertigung.

Wie hoch ist der Automatisierungsgrad in Ihrem Lager?

Ertler: Eher gering.

Das wundert mich jetzt ...

Ertler: Wir haben zwar einige Shuttle in Verwendung, welche nach dem Prinzip „Ware zur Person“ arbeiten, jedoch wird dies aufgrund unserer Teiledimension nur für rund 20 Prozent unserer Materialen angewandt. Sehr viele Teile, welche einmal Bestandteil dieser Lagerung waren, sind direkt in der Produktion im Kanban System (VMI) platziert.

Demnach sind Sie ein Verfechter der „guten alten Zeit“ von Intralogistik mit Förderbändern, Hochregalen und Menschen?

Ertler: Die Anforderungen in der Intralogistik haben sich verändert und werden sich noch verändern. Wenn ich die letzten zehn Jahre betrachte hat sich einiges getan, jedoch sind die damals bestehenden Systeme nicht verschwunden, sondern weiterentwickelt worden. Somit sehe ich mich nicht als Verfechter: Ich glaube, dass diese „guten alten Systeme“ noch nicht ausgedient haben. Jedoch gebe ich zu, dass die kontinuierliche Weiterentwicklung und Verbesserung einen Wandel mit sich bringen.

Der da wäre?

Ertler: Neue Technologie ermöglichen schnellere Verarbeitungsprozesse, auf kleinerem Raum. Damit steht aber ganz klar die Flexibilität des Menschen wie auch der Infrastruktur im Fokus.

Denkt man auch bei Bombardier über intelligent gesteuerte Roboter nach, die bestimmte Tätigkeiten im Lager übernehmen?

Ertler: Aufgrund unserer Ausprägung als Montagewerk haben wir auch unser Lager dementsprechend adaptiert und für die Zukunft ausgerichtet. Und dort werden ganz klar auch zukünftig Menschen tätig sein, die unsere Materialien für die Montagelinie vorbereiten, diese an die Montagelinie liefern und somit den internen Materialfluss sicherstellen.

Es wird sich also gar nichts ändern?

Ertler: Doch gerade die Anforderungen an die Mitarbeiter werden sich aufgrund der Digitalisierung ändern. Ich sehe zwar nicht den sich selber steuernden Roboter anstelle des Menschen, sehr wohl aber unterstützende Automatisierungstechnik und Softwarelösungen.

Welche Rolle spielt der Mensch dann noch?

Ertler: Ich gebe Ihnen ein Beispiel. Vor zehn Jahren hatten wir noch ein mit Auftragspapieren gesteuertes System. 2008 haben wir auf papierlose Lagerprozesse mit Handhelds und WLAN umgestellt. Genau solche Veränderungen sind Teil der Digitalisierung. Systeme werden vernetzt und unterstützen bzw. leiten Mitarbeiter durch den Prozess. Also eine wichtige.

Was war die größte Hürde beim innerbetrieblichen Vernetzen?

Ertler: Da wir für unser Lagerverwaltungssystem eine Kooperation mit einem Anbieter eingegangen sind, war eine der größten Herausforderungen die Zusammenarbeit zwischen der eigenen IT/IS Organisation und der des Anbieters herzustellen. Hier muss man dazusagen, dass wir keine lokale IT/IS Organisation haben, sondern eine zentralisierte.

Airbus war einer der ersten, der das Thema 3D-Druck on demand aufs Tablett brachte. Könnte 3D Druck bald das Lager im heutigen Sinn ablösen?

Ertler: Dass die 3D-Druck Technologie, einen Wandel in der Produktion und Logistik mit sich bringt, steht außer Frage. Im Moment sehe ich jedoch noch nicht die serienmäßige Anwendung. Es fehlen einfach noch Erfahrungswerte und vor allem auch sicherheitstechnische Überprüfungen der produzierten Teile. Es braucht einfach einen längeren Betrachtungszeitraum. Auch wenn die Serienreife vorhanden ist, wird es immer auch Massenware geben (Verbindungselemente, Kleber,..), die auch in Zukunft nicht gedruckt werden.

Vielen Dank für das Gespräch!

Zur Person: Seit Mai 2008 leitet Andreas Ertler (40) den Bereich Production Control & Technical Services bei Bombardier Transportation Austria. Dieser umfasst die Intralogistik und Produktionsplanung, Arbeitsvorbereitung, Vorrichtungskonstruktion und -bau, Werksplanung, Wareneingang, Lager sowie den Transport der fertigen Produkte. Zuvor beschäftigte er sich mit kontinuierlichen Verbesserungsprogrammen in verschiedensten Unternehmensbereichen.