Nachgefragt : Warum die Zukunft der Logistik radikal sein wird

Markus Peschl Universität Wien
© Universität Wien

Frage 1: Von der Ideologie der Kontrolle

Ist es wirklich noch zeitgemäß jeden Handgriff oder Denkschritt in fest vorgegebenen SAP-Mikro-Prozessketten zu fragmentieren?

Es wird heute sehr viel an intellektuellen und monetären Ressourcen in Design, Optimierung von Prozessen für materielle Güter investiert, doch wenn die Frage auf die Gestaltung von expliziter Wissens- und Innovationsarbeit kommt – falls die Frage überhaupt diskutiert wird – wird in Unternehmen plötzlich sehr kleinlich vorgegangen: Etwa dass jedem Mitarbeiter nur wenige Quadratmeter Bürofläche zur Verfügung steht und diese Fläche meist recht trostlos gestaltet ist, sodass wenig Freiraum für offene Wissensprozesse vorhanden ist. Soziale Interaktion wird eher als Störfaktor denn als auch Produktionsfaktor verstanden. Jeder Handgriff oder Denkschritt wird in fest vorgegebenen SAP-Mikro-Prozessketten fragmentiert. Das Bewusstsein, dass radikal Neues viel besser in Räumen, Haltungen und Unternehmenskulturen stattfindet abseits der Ideologie des „Kontrollierens“ ist in vielen Organisationen/Firmen vielfach so gut wie nicht präsent. Es herrschen oft starke Hierarchien; diese sind für Innovation die Haupthindernisse. CEO wollen Kontrolle und wenn sie die Zügel lockerer lassen haben sie Angst, den Boden unter den Füßen zu verlieren. Ich rate zur Balance zwischen klarem Standpunkt in der Gegenwart und Offenheit für die Zukunft.

Frage 2: Von der Ideologie einer Wissensgesellschaft

Wieso denken Unternehmen die Wirkung von Innovationsarbeit zu kurz und zu kleinteilig?

Von einem konsequenten und integrierten Umgang mit der Ressource Wissen sind viele Unternehmen noch meilenweit entfernt. Die Ausstattung von Wissensarbeitsplätzen, Universitäten, Orte der Innovationsarbeit, Netzwerke und Prozesse ist meist halbherzig, dilettantisch und bestenfalls unsystematisch. Dabei ist der potenzielle Hebel in der Wertschöpfung, den die Wissensprozesse bieten, um Vielfaches größer als bei materiellen Gütern, da letztere bei genauerer Betrachtung immer das Resultat mehr oder weniger komplexer Wissensprozesse sind. Zu raten ist: Die Erhöhung der Qualität des Wissens und Innovationsprozesse ist ein fruchtbarer Boden für wirklich erfolgreiche Innovationen sei es in Form von Produkten, Dienstleistungen oder Geschäftsmodellen. Unternehmen denken die Wirkungen von Wissens- und Innovationsarbeit häufig zu kurz und kleinteilig.

Frage 3: Von der Ideologie der Radikalität

Warum die Optimierung von etwas Bestehendem heute einfach nicht mehr ausreicht.

Automatisation und Innovation sind die großen Themen. Was automatisierbar ist, wird in Zukunft auch automatisiert werden. Inkrementell innovieren reicht heute nicht mehr aus, weil sich dadurch nichts fundamental verändert, weil es hier nur um Optimierung von etwas Bestehenden geht. Es braucht radikale Innovationen. Eine radikale Innovation verändert die Dinge an der Wurzel. Auf die Logistik übertragen heißt das: Themen wie Internet der Dinge, 3D-Druck und Logistik müssen gemeinsam gedacht werden. Beim Blick auf dieses Dreieck könnte es für die Logistik schnell eng werden, weil 3D-Druck (fast) keinen Transport mehr bedingt. Die Frage daher: Was bedeutet Logistik in diesem gedachten Dreieck. Radikal innovieren heißt also die Prämissen verstehen und verändern, auf denen das Geschäftsmodell beruht. Und daraus die Frage ableiten: Was passiert, wenn das Geschäftsmodell radikal verändert wird. Radikal verändern birgt ein hohes Risiko in sich, weil sich nicht voraussagen lässt, wie erfolgreich ein (radikal verändertes) Produkt oder Dienstleistung sein wird. Daraus ergeben sich weitere Fragen: Werden die Lieferanten, Mitarbeiter, Kunden die radikale Veränderung mittragen, das Neue akzeptieren und kaufen?

Frage 4: Die Ideologie des Öko-Systems

Warum ein Unternehmen ein gutes Verständnis für die Zukunft auch jenseits der eigenen Branche entwickeln sollte.

Radikal innovieren heißt in einem Öko-System denken. Zum Beispiel: Die Logistik ist ein kleines Glied in der Kette. Wenn daran etwas verändert wird, kann es zum Schiffbruch kommen weil andere nichts verändern. Wie sieht die Umgebung aus, in der agiert wird und wie weit kann die Veränderung reichen. 3D-Druck und Internet der Dinge gibt es bereits, doch so genau lässt sich nicht sagen wohin diese Technologie führt. In dieses Unbekannte gilt es hinein zu innovieren. Es geht um Potenziale ausloten und verstehen. Unternehmen müssen lernen, „aus der Zukunft heraus zu lernen“. Was wird passieren, wenn sich z.B. 3D-Druck, Künstliche Intelligenz etc. weiterentwickeln, in der Logistik die Potenziale zwar erkannt, aber noch nicht ganz verstanden werden. Hier die radikale Innovation zu starten ohne zu wissen wie sie letztlich ausgehen wird, ist die Herausforderung. Davor sollten sich Unternehmen aber nicht fürchten, denn früher oder später gibt es Handlungsbedarf. In die Zukunft denken heißt, Dinge erkennen, obwohl sie noch nicht klar sichtbar sind. Dabei reicht Kreativität allein nicht aus. Es braucht einen mutigen Schritt vorwärts. Radikale Innovation eröffnet die Möglichkeit, die Zukunft zu verstehen und ist in den seltensten Fällen ein verlorenes Investment. Wer als CEO ein Unternehmen leitet, sollte ein gutes Verständnis für die Zukunft auch jenseits der eigenen Branche entwickeln und kann dann erkennen wohin der Weg geht. Gerade die Logistik bietet für radikale Innovation ein breites Betätigungsfeld.

Zur Person: Markus F. Peschl (54) ist Professor für Kognitionswissenschaft und Wissenschaftsphilosophie an der Universität Wien, Abteilung für Philosophie. Seine Forschungs- und Fachgebiete umfassen Innovation, Kognitionswissenschaft, Organisationstheorie und -strategie, Design sowie Räume für Wissens- und Innovationsarbeit (Enabling Spaces).