Anwenderreportage : Warum bei KMF Maschinenbau Roboter das Nähen übernehmen

YASKAWA Nähroboter
© YASKAWA

Dietmar Kuhn kennt die Herausforderung seiner Branche: „Bei parallel verlaufenden Ziernähten an Ledersitzbezügen für Premiumfahrzeuge gelten Toleranzen von einer halben Fadenstärke. Bei einem 0,4 mm starken Faden bedeutet das eine Genauigkeit von 0,2 mm“, berichtet der Betriebsleiter bei KMF, einem renommierten Hersteller von Nähautomaten. Hochwertige Kurvennähte im Parallelverlauf seien deswegen in Handarbeit kaum oder gar nicht herstellbar. Hinzu kommt, dass gut ausgebildete Näher, die sich dem Stress durch höchste Konzentration bei Akkord- und Schichtarbeit aussetzen, nur schwer zu finden. Eine Herausforderung, der die findigen Schaben nun mit maschinellen Helfern begegnen wollen.

Der Nähroboter kommt

KMF Maschinenbau in Schwäbisch-Gmünd ist bereits seit 1973 auf die Herstellung von Nähautomaten spezialisiert. Zählten beim Unternehmensstart in erster Linie Bekleidungshersteller zum Kundenkreis, kommt die Nachfrage heute vorwiegend aus dem Automobilsektor. Unter dem Diktat von Qualität und Wirtschaftlichkeit sieht man bei KMF ein gigantisches Potential in der Robotik, um zu prozesssicheren Lösungen zu kommen. Das Unternehmen verfügt bereits über Robotikerfahrung beim automatischen Applizieren von Sprühklebern auf Polster und nutzte dieses Know-how für die Entwicklung der robotergestützten Nähtechnik.

Schnelle und präzise Sechsachs-Roboter gefragt

Bei der Auswahl eines geeigneten Roboters spielten die Kriterien Dynamik, Reichweite und Präzision eine entscheidende Rolle. Da die Toleranz am fertigen Teil 0,2 mm beträgt und das Naturmaterial Leder bestimmten Schwankungen unterliegt, sollte es ein Sechsachser mit einer Wiederholgenauigkeit sein, die um etwa eine Zehnerpotenz besser ist. Zudem legte KMF großen Wert auf einen Roboterhersteller mit einem globalen Netzwerk, da die Nähautomaten zu über 75 Prozent in den Export gehen. „Nach intensiver Marktanalyse hatten wir die ideale Kombination gefunden, mit Yaskawa als Systempartner und dem Motoman GP7. Der Roboter ist mit einer Wiederholgenauigkeit von 0,03 mm sehr präzise, die Reichweite geht mit knapp einem Meter ebenfalls in Ordnung und dynamisch kann der Sechsachser mit unseren Nähmaschinen mithalten“, betont Kuhn. Dieser Roboter bildet die Basis für das vollautomatisierte Nähsystem RoQom 6000, das darüber hinaus aus den Komponenten Nähmaschine, Bildverarbeitungssystem, Sicherheits-SPS sowie entsprechenden Schablonen besteht, in denen die Teile sicher fixiert sind.

Aufgabenstellung zur Markteinführung

Bereits zum Launch von RoQom 6000 muss die automatische Nähzelle ihre Performance bei einer anspruchsvollen Applikation unter Beweis stellen. Dabei geht es darum, parallel verlaufende Kurvennähte an Ledersitzbezügen für Fahrzeuge im Premiumsegment herzustellen. Der Aufwand mit diesen Ziernähten hat nicht nur optische Gründe, sondern erfüllt auch eine wichtige Komfortfunktion, wie Kuhn weiß: „Durch diese Absteppungen kommt es zu dreidimensionalen Verformungen der Oberfläche, die zu einer verbesserten Luftzirkulation beitragen und somit der Schweißbildung entgegenwirken.“ Mit der Roboter-Nähzelle gelingt die automatische Herstellung der Kurvennähte im Steppstich schnell, prozesssicher und wirtschaftlich. Lediglich das Einlegen und Entnehmen des Artikels in der fest am Roboterhandgelenk montierten Schablone erfolgt noch manuell.

Kameragestütztem Toleranzausgleich

Die Artikel, die die Anlage verlassen, weisen eine überragende Qualitätsanmutung in einer Präzision auf, die in Handarbeit nicht zu realisieren wäre. „Wer unseren Nähroboter nicht kennt, wird sich zweifellos Fragen zum Herstellverfahren dieser Artikel stellen“, so Kuhn. Im Gegensatz dazu sind manuell geführte Nähprozesse fehleranfällig und erfordern eine intensive abschließende Qualitätsprüfung. RoQom 6000 hingegen dringt mit der Kombination aus Nähroboter und kameragestütztem Toleranzausgleich in ein neues Qualitätslevel vor. Durch den automatisierten Prozess lässt sich die Fehlerquote signifikant reduzieren, Ausschuss an den teueren Artikeln nahezu gänzlich vermeiden, die Liefertreue verbessern und Zeit sparen.

Aber sicher reproduzierbare Qualität und hohe Wirtschaftlichkeit des Verfahrens sind nur die eine Seite der Medaille. Was die Anwender aus der Automobilindustrie besonders begeistert, ist die neue Freiheit im Hinblick auf anspruchsvollste Nahtverläufe: „Der Kreativität der Designer sind im Hinblick auf Nahtverläufe nun kaum noch Grenzen gesetzt. Das wird sich in Zukunft im Interieurbereich auswirken und eine noch stärkere Individualisierung erlauben“, ist sich Kuhn sicher. Neben dem Nähen von Autositzbezügen liegen bei KMF bereits weitere Anfragen seitens der Automobilindustrie vor, bei denen es um Türtafeln für Seitenverkleidungen sowie um dreidimensionales Nähen am Armaturenbrett geht. Zudem kann sich Dietmar Kuhn gut vorstellen, das robotergestützte Nähen auch in anderen Bereichen einzusetzen, wie beim Nähen von Filtern und technischen Textilien.

Industrie 4.0-kompatibles Verfahren

Der Einsatz der Robotik samt modernster Steuerungstechnik schafft endlich die Voraussetzung, Nähprozesse in Industrie 4.0-Umgebungen einzubinden. Dabei lassen sich die modularen Stand-alone-Zellen einfach in bestehende Prozesse integrieren. RoQom 6000-Anlagen sind hochflexibel, sowohl im Hinblick auf die Umstellung auf andere Artikelvarianten sowie in puncto Anlagenerweiterung. So können einzelne Zellen Schritt für Schritt zu kompletten Fertigungslinien ausgebaut werden, bei denen die manuelle Bestückung und Entnahme der Artikel durch automatisierte Beschickungen substituiert werden. „Selbstverständlich können wir den jetzt eingesetzten Motoman GP7 auch durch Yaskawa-Sechsachser mit noch höherer Reichweite ersetzen, so dass wir auch Artikel mit größeren Dimensionen nähen können. Und wir können bei Bedarf auf unsere großen Säulennähmaschinen zurückgreifen, um dreidimensional arbeiten zu können. Unter diesen Voraussetzungen sehen wir großes Potenzial für das robotergestützte Verfahren als Basis für die Zukunft des Nähens“, so Kuhn.