Automobilproduktion : So wollen Audi, Magna Steyr und Co in Zukunft produzieren

MMS Academy 2015
© Robert Lang

Niederösterreich, Stadt Haag, Orts- teil Knillhof, versteckt neben der Bundesstraße zwischen Apfel- und Birnbäumen, da liegt der Treff- punkt eines handverlesenen Kreises von Managern aus IT, Marketing und Entwicklung von Firmen wie Audi, BMW, Magna oder Volkswagen sowie aus der Forschung – z. B. Fraunhofer-Institut. Es ist der 19. Juni 2015, Mister Tupolev wacht am Eingang, aber nein, er ist kein Geheimagent oder Bodyguard, sondern der silbergraue Hauskater, der am Tor zum idyllischen Vierkanthof auf Streicheleinheiten wartet.

Ein offizielles Codewort gibt es dennoch, zu lesen auf der Einladung: MMS, Manufacturing Management System, denn danach ist das exklusive Treffen benannt: MMS Academy 2015. Veranstalter Kon-Cept Management Information Services GmbH plant, entwickelt bzw. implementiert Prozess- und Produktionssteuerungssysteme für die Automotive Industry. Das Manufacturing Management System MMS von Kon-Cept, eingesetzt beispielsweise von Magna Steyr, BMW oder Audi, hat sich als innovativer Industriestandard für hochflexible, integrative und produktive Automotive-Fertigung etabliert.

Auf zur digitalen Revolution.

Sechzig Experten skizzieren rund um das Manufacturing Management System MMS von Kon-Cept ihren Weg in die digitale Autoproduktion, offen, ohne Konkurrenzdenken und mit konkreten Beispielen und Erfahrungen illustriert. „Wir brauchen einen Fortschritt, der funktioniert“, fordert Kon-Cept-CEO Konrad Klein im Eröffnungsstatement ein. „Denn am Ende muss immer nur eines herauskommen: Autos!“

Audi: Mit Software ist das Geld zu verdienen!

Hartmut Krüger, Leiter CoC Fahrzeug- Fertigung, Audi AG, sieht einen Paradigmenwechsel in den Automotive Industries: „Wir klassischen Hersteller kommen vom ‚Spaltmaß‘ her, aber mit Software ist das Geld zu verdienen!“ Neue Player am Markt – Google oder Apple – drehen den Zugang zur Produktion daher komplett um, getreu ihrem Motto: „Ich kann Software entwickeln, den Rest kaufe ich zu!“ Für Krüger ist es an der Zeit, daher auf Veränderung und Smart Factory in der Automo- bilindustrie zu setzen: „Wir sind dabei, die Daten für die digitale Fabrik durch prozessuale Veränderungen perfekt aufzustellen.“ Er setzt dabei konkret in der Produktionssteuerung der Zukunft auf drei Plattformen: „SAP in der Logistik, FIS als Fahrzeuginformationssystem und MMS als strategische Plattform für die Umsetzung der digitalen Fabrik.“

Fraunhofer: Freiheit der Cyberphysik.

Noch weiter geht ein Modell, das herkömmliche Automobil- produktion – zumindest in der Kleinserie – auflöst. Christoph Mertens, Fraunhofer-Institut für Materialfluss und Logistik IML, testet im Forschungspro- jekt „Smart Face“ Kleinserien- fertigung abseits klassischer Linien: „Der Linienfertigung fehlt die Flexibilität bei der Variantenvielfalt, so müssen etwa bei E-Mobilen Takte hin- zugefügt werden, die bei jeder Standardproduktion für Volumenmodelle zeit- und kostenintensiv leer durchlaufen werden müssen.“

Bei „Smart Face“ werden daher Kleinserien aus der Linie herausgenommen und in freier Fläche gefertigt. „Cyberphysische Systeme arbeiten mit Sensoren und generieren Datenvolumina“, so Mertens zum Grundkonzept des Forschungsprojektes, „durch die dann die Planung der Fertigung in Volumentakten mit flexiblen Zeithorizonten möglich wird.“ So wird Fertigung „statt in Perlenketten mit festen Vorgabezeiten“ (Mertens) mit „freiem Materialfluss in Selbstorganisation“ umgesetzt, für den Experten damit effizienter und kostengünstiger.

Magna Steyr: IT-Modernisierung hat Top-Priorität.

In einer Praxisdebatte zum Thema „Do & Don’t bei der IT- Umstellung“ mit Diskussions- leitung durch Elisabeth Biedermann, Chefredakteurin „FACTORY“, geben die Experten am Podium Einblicke in aktuelle Beispiele, aber auch Ausblicke auf Visionen mit hohem Konkretisierungsgrad. Andreas Peichl, verantwortlich für B.I. und Produktionsapplikationen bei Magna Steyr Fahrzeugtechnik, legt großen Wert auf die Integration neuer IT-Systeme in die bestehenden Strukturen: „IT-Modernisierung hat Top- Priorität bei Magna, von IT- Dienstleistern erwarten wir daher Lösungen statt Produkte, um neue Systeme in bestehende zu integrieren.“ Eine Strategie der kleinen Schritte ist für Peichl der Weg dorthin: „Autonome Systeme müssen von klein auf realisiert werden, um das große Ziel IT-Modernisierung zu erreichen.“

Markus Kropik, CTO Kon-Cept GmbH, Chief Software Architekt MMS, fordert für IT-Veränderungsprozesse hohe soziale Verantwortung und einen starken Fokus auf den Faktor Mensch: „Veränderungen werden von Menschen vorangetrieben, aber auch gebremst – ein professioneller Umgang mit Gruppeninteressen und soziale Kontaktpflege sind dabei unumgänglich.“

Gärtner der IT-Reform.

Industrie 4.0 vergleicht Peichl mit einem Garten. „Wir müssen kleine Pflänzchen setzen, sie wachsen lassen und die Ergebnisse dann abwarten“, meint er mit Hinweis auf Geduld und den Mut, etwas auszuprobieren, auch wenn manches wieder verdorrt: „Die Innovationsfreude ist dabei wichtig! Und die Partnerschaft der Beteiligten, das Mit- einander!“ Da kommt der Faktor Mensch, die humane Komponente der IT-Veränderung in der Debatte mit ins Gespräch, und genau das spricht alle Anwesenden an.

Und Peichl setzt fort: „Einer der wichtigsten Punkte ist die Identifikation zwischen Mensch und System und deren Einbau in den Entstehungsprozess von Veränderung.“ Ist aber dazu die Bereitschaft überhaupt da, fragt Moderatorin Biedermann nach, und Markus Kropik kontert mit Fakten aus der Branche: „In der Fertigung gehen heute die Hälfte bis zwei Drittel der Investitionen in die IT- Modernisierung!“ Dabei nimmt das Tempo immer mehr zu: „Agilität ist das Thema in der IT-Veränderung, stabile Systeme treten immer mehr in den Hintergrund.“ Und das ist für Kropik wieder der Beweis für die soziale Dimension der IT-Revolution: „Die rein technische Ausrichtung ist zu wenig, die Stakeholder müssen mit am Tisch sitzen!“ Kropik setzt deshalb auf ein „Management der Stakeholder und Erwartungen“ sowie auf „IT-Dienstleister, die auch als Mentoren der Veränderung auftreten“.

Ubisense: Einbindung der Stakeholder ist Herausforderung.

Das Thema fasziniert Podium und Publikum, Diskussionsleiterin Elisabeth Biedermann hakt bei dem Thema nochmals nach: „Warum wird der Faktor Mensch so oft aus den Prozessen der IT-Veränderung ausgeklammert?“ Jörg Poswig, COO Ubisense, bestätigt zunächst die Fragestellung: „Die Einbindung neuer Systeme in IT-Landschaften ist kein Problem, jene von Stakeholdern in die Veränderung schon.“ Er kennt aber auch einen Hintergrund für diese Problematik, die zur rein technischen Themenlösung führt: „Verantwortlich dafür sind die enorme Komplexität und Anzahl der IT-Systeme, darin stecken auch enorme Einsparungspotenziale.“ Darin liegen extrem hohe Chancen für Change-Management, aber auch die Gefahr, auf die Einbindung von Stakeholdern und Gruppeninteressen zu verzichten.

Die Diskussion bleibt bei diesem Thema, es interessiert die Branche, das merkt man deutlich. Michael Oetjen, Shop Floor IT, IT Manufacturing und Factory Control, Volkswagen AG, ergänzt in einem Diskussionsbeitrag die Forderung nach mehr Faktor „Mensch und Moderation“ in der IT-Veränderung: „Mentoren sind notwendig, die die Diskussion zu Ende und Ergebnis bringen!“ Die Kultur der Veränderung ist Oetjen daher ein zentrales Anliegen: „Interne oder externe Systementwickler müssen nicht nur Lösungen liefern, sondern auch als Mentoren agieren - und die Auftraggeber müssen das zulassen!“

Gruppe ist stärker als IT.

Nach Praxisdebatte, Networking und Mittagsbuffet lädt Kon-Cept die Expertenrunde zum spielerischen Wettstreit Faktor Mensch versus IT. Es gilt, mit einem kleinen Puch Haflinger, ohne Servo und mit harten Gängen, einen eng gesteckten Parcours zu meistern, mit Toren, Spitzkehren und Rampe. Nicht das Tempo zählt, sondern die Geschicklichkeit beim Manövrieren. Über allem wachen Sensoren, die alle Fehler und Schrammen aufzeichnen - aber das Teamwork wächst mit der Begeisterung.

Soll es ein Vergleich mit dem Weg zu Industrie 4.0 sein? Vielleicht, denn wer kleine Schritte macht, Fehler einsteckt und Spaß am Parcours hat, der freut sich darüber - selbstverständlich im Team und mit der ganzen Mannschaft, aber immer mit klarem Ziel. Wie hat es Konrad Klein bei seiner Begrüßung formuliert? „Am Ende muss immer nur eines herauskommen: Autos!“