Nachgefragt : Sieben Fehler im Variantenmanagement und wie man sie verhindert

Mehr Auswahl, noch individueller, noch aktueller: Kunden erwarten sich maßgeschneiderte Produkte – und kriegen sie auch. Für Unternehmen ist das Fluch und Segen zugleich. Einerseits ermöglichen moderne Produktionsprozesse, die Kundenwünsche zu erfüllen. Andererseits ist der Arbeitsaufwand, der dadurch entsteht, schier unüberschaubar. Die tägliche Arbeit wird zu einem ständigen Spagat zwischen einem rasant wachsenden Produktportfolio und dem immer schwieriger werdenden Überblick über die Kosten. Was man dabei auf keinen Fall tun sollte, erklärt Helmut Zsifkovits, Leiter des Lehrstuhls für Industrielogistik an der Montanuniversität Leoben.

Was falsch läuft: Das Produktsortiment wird immer größer, der Kunde verliert den Überblick – und die Lust am Kaufen.

Das rät der Experte: Vor lauter Möglichkeiten kann man mitunter den Blick für das Wesentliche verlieren. Studien zeigen, dass Kunden sich umso schwieriger entscheiden können, je größer das Angebot ist. Ein unübersichtliches Produktportfolio führt dazu, dass der Kunde verwirrt wird und die Kaufentscheidung verschiebt. Wer seine Kunden zu Stammkunden machen möchte, sollte immer auf Einfachheit und Übersichtlichkeit achten.

Was falsch läuft: Die Erlöse sinken, weil die preiswerten Produkte von den hochpreisigen verdrängt werden.

Das rät der Experte: Eine große Variantenvielfalt bedeutet nicht automatisch mehr Umsatz und mehr Gewinn. Meist ist es so , dass es für jede Variante eine bestimmte Gewinnspanne gibt – aber nicht für alle dieselben. Dann werden die Varianten mit geringerem Ertrag von jenen mit höherer Spanne „getragen“. Was auf den ersten Blick nach Ausgeglichenheit klingt, kann über kurz oder lang aber zu betriebswirtschaftlichen Problemen führen, denn durch die Quersubventionierung kann es passieren, dass sich Varianten gegenseitig kannibalisieren. Das bedeutet, es kann zu einer Verdrängung des hochpreisigen Produktes durch das preiswertere kommen.

Was falsch läuft: Die Herstellung einzelner Produkte („Exoten“) wird immer aufwändiger, kalkuliert wird aber weiterhin mit traditioneller Kostenrechnung und Zuschlagssätzen.

Das rät der Experte: Die gängige Kostenrechnung stößt bei einer Vielzahl an Varianten schnell an ihre Grenzen. Vor allem die Kosten für „Exoten“ im Produktsortiment können so nicht – oder nur schwer – abgebildet werden. Eine bessere Transparenz ermöglicht die Prozesskostenrechnung. Gemeinkosten werden dabei nicht über Zuschlagssätze aufgerechnet, sondern aufgrund der tatsächlich wahrgenommenen Tätigkeiten. Der Aufwand ist zwar größer, aber so können die Gemeinkosten verursachungsgerecht auf die Produkte übertragen werden.

Was falsch läuft: Bei der Entwicklung von Varianten wird nur an deren Verkauf gedacht, nicht an Service und Wartung der verkauften Produkte.

Das rät der Experte: Bei der Entwicklung eines Produkts sollte auch dessen Lebenszyklus beachtet werden. Denn es reicht nicht, ein Produkt herzustellen und zu verkaufen: Einige Jahre später kommen die Kunden, weil sie Ersatzteile benötigen oder das Produkt gewartet werden muss. Hat man eine unendlich große Produktpalette, wird man auch unendlich viele Ersatzteile und viel Know-how benötigen, um dies zu meistern. Deshalb gehört es zum Variantenmanagement, dss alle Phasen eines Produkts beleuchtet werden.

Was falsch läuft: Hunderte Varianten – und jede einzelne muss anders hergestellt werden. Die Kosten explodieren, der Überblick geht verloren.

Das rät der Experte: Eine Vielzahl an Varianten lässt sich nur durch eine gute Produktarchitektur beherrschen. Je mehr Sonderlösungen und Einzelteile angeboten werden, desto schwieriger wird es. Ideal ist es, einen Basissatz zur Verfügung zu haben, der für mehrere Produkte wieder verwendet werden kann.

Was falsch läuft: Der Hype der vielen Varianten führt dazu, dass Unternehmen viel Geld in Automatisierung investieren – in manchen Fällen zu viel.

Das rät der Experte: Viele Jahre lang hat die Industrie versucht, ihre Produkte so gut als möglich zu standardisieren. Durch neue Verfahren in der Produktion – wie beispielsweise dem 3D-Drucker – geht der Trend jetzt hin in Richtung Flexibilisierung. Was einerseits verständlich ist, ist auch mit hohen Investitionskosten verbunden. Eine flexible, automatisierte Produktion kostet viel Geld. Die Frage ist, ob dieses Geld auch wieder erwirtschaftet werden kann.

7. Der Mensch dahinter

Was falsch läuft: Jeder redet über technische Aspekte, das Menschliche wird ausgeklammert. Doch wer beim Variantenmanagement nicht an den Menschen denkt, wird auch nichts verkaufen.

Das rät der Experte: Wenn es um Variantenmanagement geht, wird viel über Verfahren und Produktion gesprochen. Das ist aber nur ein Teil des Ganzen. Wichtig ist es auch, den menschlichen Aspekt zu sehen. Es sind immer Menschen, die Kauf- und Investitionsentscheidungen treffen. Damit sie dies bei einem immer unüberschaubarer werdenden Angebot weiterhin für das eigenen Unternehmen tun, braucht es gute Verkäufer, die gut beraten. Sie müssen dem Kunden das Gefühl geben, sich in einer vielfältigen Produktwelt für die beste Variante entschieden zu haben. Gelingt ihnen das nicht, fühlt sich der Kunde vom Angebot möglicherweise überfordert – und damit wären wir auch wieder bei Punkt 1 („Wildwuchs“). Und wenn der Kunde nicht kauft, bringt das beste Variantenmanagement nichts.